Wirtschaft

"Volksabstimmung über TTIP"

Diese Woche läuft die 6. Verhandlungsrunde zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP). Der KURIER bat Elisabeth Köstinger, stellvertretende Leiterin der ÖVP-Delegation im EU-Parlament, und Jörg Leichtfried, Leiter der SP-Delegation, zum Streitgespräch.

KURIER: Am Anfang gab es Euphorie, wie viele Jobs und Wachstum TTIP bringt. Jetzt hört man nur noch, wovor wir uns schützen müssen. Soll man da noch weitermachen?

Jörg Leichtfried: Ich wäre dafür, das Ganze jetzt abzubrechen, zu analysieren, was bis jetzt herausgekommen ist, und dann unter Umständen neu zu verhandeln.

Elisabeth Köstinger: Was soll das bringen? Die Verhandlungen haben ja noch gar keine Ergebnisse. Ich bin auch der Meinung, dass viele der Bedenken berechtigt sind. Aber es geht um eine globale Sache: Wenn es uns gelingt, den größten Freihandelsraum der Welt zu schaffen, dann wird Europa weltweite Standards vorgeben. Wir Europäer haben die historische Chance, etwas zu verbessern. Das liegt am Verhandlungsgeschick der Kommission.

Leichtfried: Die Kommission ist Teil des Problems. Sie verwendet diese Verhandlungen ja, um Dinge durchzusetzen, die sie innereuropäisch gar nicht durchsetzen könnte.

Köstinger: Zum Beispiel?

Leichtfried: Zum Beispiel ihre Liberalisierungsagenda.

Alle Inhalte anzeigen
Köstinger:Das Verhandlungsmandat der Kommission ist von den Mitgliedsstaaten beschlossen worden. Einem schwachen Verhandlungsergebnis werden weder das EU-Parlament noch die Regierungen zustimmen.

Leichtfried: Es geht nicht um ein schwaches oder starkes Ergebnis. Da wird ein Vertrag konstruiert, der internationales Finanzkapital stärkt und Demokratien schwächt.

Köstinger: Das ist doch Kaffeesudlesen. Das Abkommen wird frühestens Ende 2015 fertig. Jetzt liegt noch nichts Konkretes vor.

Leichtfried: Konkret ist, dass die Amerikaner und die Kommission Investitionsschutzklauseln wollen, um eine Sondergerichtsbarkeit für Großkonzerne zu schaffen.

Köstinger: Entschuldigung, aber wir haben 1400 Investitionsschutzabkommen. Es wird jetzt so getan, als ob das erstmals aufkommt.

Leichtfried: Es macht ja Sinn, wenn nur ein Partner ein hoch entwickeltes Rechtssystem hat. Zwischen den zwei am höchsten entwickelten brauche ich aber keine Sondergerichtsbarkeit.

Köstinger: Das ist aber eine ganz andere Geschichte. Ich bin gegen Sondergerichte, aber für Investitionsschutz. Der ist auch eine Vertrauensgrundlage. Aber auch das ist jetzt Kaffeesudleserei: Wir wissen nicht, ob die Sondergerichtsbarkeit drin sein wird. Und wenn sie drin ist, werden wir das eh ablehnen.

Leichtfried: Da nehm’ ich dich jetzt beim Wort!

Köstinger: Das kannst du gerne machen.

Das Chlorhuhn ist zum Symbol für TTIP geworden. Wird da nicht auch Angstmacherei betrieben?

Köstinger: Da geht es weniger um den Einsatz von Chlor, sondern um die großen Unterschiede in den Lebensmittel- und Tierschutzstandards. Wir haben in Europa höhere Produktionsauflagen – das bedeutet höhere Kosten. Da gilt es, das europäische System in der Landwirtschaft zu schützen. Auch bei den Wachstumshormonen: In Europa sind sie nicht zugelassen, in den USA schon – deswegen produziert man dort zu ganz anderen Preisen.

Leichtfried: Natürlich wird Druck von den Amerikanern kommen, dass diese Gesetze abgeschwächt werden. Das Prinzip ist, Gesetze abzubauen, damit einige wenige mehr Gewinne machen können.

Köstinger: Im Gegenteil: Es geht darum, gemeinsam hohe Standards zu schaffen.

Die öffentliche Ablehnung ist zu einem Faktor in den Verhandlungen geworden. Wie könnte man die Menschen besser in die Debatte integrieren?

Leichtfried: Ich hätte eine Idee, die mangels Durchsetzbarkeit auf die Schnelle wahrscheinlich nicht kommt.

Köstinger: Das ist bei dir eh immer so, oder?

Leichtfried: Nein, aber ich hab’ halt auch im Gegensatz zu anderen Fantasie. Warum nicht eine europäische Volksabstimmung über TTIP? Jede Europäerin, jeder Europäer hat eine Stimme.

Köstinger: Auch das geht erst, wenn der Vertrag fertig ist.

Und dann?

Köstinger: Europaweite Volksabstimmungen sind rechtlich noch nicht möglich. Praktikabler wäre, die nationalen Parlamente mit einzubeziehen.

Dann könnte man ja zumindest in Österreich eine Abstimmung durchführen.

Leichtfried: Wenn, dann gesamteuropäisch.

Köstinger: Die Einbeziehung der Parlamente ist sinnvoller, weil es ihre Aufgabe ist, den Bürgerwillen zu vertreten.

Wird es 2015 ein Ergebnis geben und wird TTIP dann auch in Kraft treten?

Köstinger: So schwierig, wie es derzeit ist, bin ich pessimistisch.

Leichtfried: Die Kommission hat es gemeinsam mit der US-Regierung verhaut. Ich hoffe, dass es nicht zustande kommt, habe aber Zweifel, ob die Großkonzerne und die Investmentbanken nicht in der Lage sind, so weit Meinungsbildung zu betreiben, dass es doch noch zustande kommt.

Köstinger: TTIP permanent nur auf Groß gegen Klein und Gut gegen Böse zu reduzieren, verkauft sich sehr gut und wird von der SPÖ bis zum Exzess betrieben. Aber es ist zu eng gegriffen. Europa besteht zu 99 Prozent aus Klein- und mittelständischen Unternehmen. Denen wäre sehr geholfen, wenn europäische Produktionsstandards auch in den USA gelten würden.

TTIP: Handelsabkommen EU/USA

Chancen: Handelsbarrieren, etwa Zölle, zwischen den beiden Regionen sollen fallen, Regeln vereinheitlicht werden. Das soll Jobs und Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks bringen. Die EU-Regierungen haben die Kommission mit den Verhandlungen beauftragt.

Gefahren: Kritisiert wird, dass die Verhandlungen nicht transparent genug ablaufen. Viele Politiker und NGOs warnen, dass mit dem Abkommen Standards, die in der EU höher sind als in den USA – etwa bei Lebensmitteln, Stichwort: Chlorhuhn – abgesenkt werden könnten.