Schellhorn: "Wir haben eine Inaktivitätsfalle"
Von Martina Salomon
Der Salzburger Gastronom und Neos-Abgeordnete Sepp Schellhorn hat im vorigen Frühjahr 40 Flüchtlinge aus fünf Nationen aufgenommen. Riesenwirbel löste kürzlich ein Interview aus, in dem er meinte, die Anreize zum Nichtstun seien zu groß. Ein Flüchtling, der Job und Wohnung bei ihm in Gastein hatte, sei nach einer Caritas-Beratung nach Wien übersiedelt, weil es für ihn und seine Familie attraktiver sei, von der Mindestsicherung zu leben. Caritas und Grüne dementierten empört. Schellhorn beschäftigt insgesamt 100 Mitarbeiter.
KURIER: Sie haben Riesenwirbel ausgelöst. Ein Experte in der "Presse" wirft Ihnen vor, Mindestsicherungsbeziehern "nachzutreten". Dabei sei das Problem der niedrige Lohn.
Sepp Schellhorn: Ich gebe ihm in einem Punkt recht: Die Mitarbeiter kosten zu viel und verdienen zu wenig. Den Menschen bleibt zu wenig übrig vom Gehalt. Darunter leiden auch die Unternehmen. Ich will keine Neid-, sondern eine Motivationsdebatte.
Derzeit kommen sehr viele Menschen ohne Qualifikation zu uns. Ist unser Lohnniveau für sie nicht sogar zu hoch?
Im Tourismus nicht. Bei mir verdient eine syrische Küchenhilfe, die ich letzten Sommer ausgebildet habe, das Gleiche wie eine österreichische: 1980 Euro brutto, das sind 1450 netto. Das Problem ist: Es dauert zu lang, bis ein Asylwerber zum Arbeiten kommt. Erst acht der 32 bis Dezember bei mir untergebrachten Flüchtlinge hatten die Einladung zum Erstgespräch.
Was braucht es, um Asylwerber zu integrieren?
Ein Problem ist, dass die Regierung die Beratung an die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) abgegeben hat. Erst etliche Monate nach dieser Erstberatung bekommen die Asylwerber einen Status, dann erst dürfen sie sich beim AMS melden. Dort muss man in zehn Minuten seine Qualifikation erklären – meist in gebrochenem Deutsch. Wir machen 80.000 Asylwerbern kein Angebot zur Integration, bieten ihnen keine Perspektive. Man lässt sie in einer Endlosschleife hängen, wo sie abtauchen, andere Möglichkeiten finden, einen Freundeskreis aufbauen. Daher wollen sie dann nicht mehr von Wien nach Kärnten ziehen, wo es eventuell einen Job gäbe.
Ist es möglich, dass jemand mit Nichtarbeit mehr verdient als mit Arbeit? Liegt es daran, dass das Steuerrecht die Kinderzahl nicht berücksichtigt, die Mindestsicherung aber schon?
Ja, das ist so. In Deutschland ist die zusätzliche Auszahlung des Kindergeldes für Harz IV Empfänger gesetzlich ausgeschlossen. Der syrische Küchenarbeiter ging nach Wien zurück mit dem Argument, dort bekomme er 2050 Euro im Monat ohne Arbeit. Er hat derzeit zwei, demnächst vier Kinder. Wir haben hier mit der Mindestsicherung eine Inaktivitätsfalle.
Aber die Mindestsicherung wird gekürzt, wenn jemand einen Job ausschlägt.
Die Chance, ohne anerkannte Ausbildung und Deutschkenntnisse in Wien einen Job zu bekommen, ist sehr schlecht. Und Sozialmissbrauch wird de facto nicht sanktioniert.
Die Mindestsicherung ist in Wien jedoch nicht höher als in Salzburg.
Flüchtlinge wollen nach Wien, weil hier schon so viele aus ihrem jeweiligen Herkunftsland leben. Man bleibt unter sich. Daher glaube ich, dass wir auch auf eine Integrationskrise zusteuern. Dabei sind wir schon einmal gescheitert: bei den Tschetschenen. Aber das war noch gar nicht diese große Anzahl an Menschen, die jetzt gekommen ist. Wir müssen die Fehler analysieren, die zu Desintegration führen.
Was müssen wir tun?
Die Asylwerber besser steuern, ihre Kompetenzen standardisiert erheben. Gleich im Erstgespräch schauen, was sie können. Und dann motivieren, dorthin zu gehen, wo die Jobs sind. Im Pongau zum Beispiel gibt es 300 offene Lehrstellen und nur 30 Suchende. Wir müssen Asylwerber coachen, und es braucht geförderte Unterkunft-Angebote. Junge Asylwerber unter 25 Jahren dürfen nur in Mangelberufen eine Lehre absolvieren. Das sind laut AMS derzeit 143 Asylwerber. Natürlich braucht auch das Arbeitsmarktservice mehr Mitarbeiter.
Hatten Sie vor der Flüchtlingswelle schon Erfahrungen mit Asylwerbern?
Ich bilde seit 15 Jahren aus. Mein zweiter Küchenchef in Salzburg ist Afghane. Das hatte einen Schneeballeffekt, weitere kamen. Ich habe auch Niederlagen erlebt: dass Leute zum Beispiel die Lehre abgebrochen haben, weil sie meinten, zu wenig zu verdienen.
Was haben Sie aus Ihrem Engagement gelernt?
Es gibt ein Drittel hochmotivierte Asylwerber, ein Drittel motivierbare und ein Drittel nicht motivierbare. Natürlich sind Letztere auch zum Teil traumatisiert. Es gab aber auch kein psychotherapeutisches Angebot für sie. Ich kenne viele Unterkünfte, wo die Menschen eine Stunde pro Woche Deutsch haben und die restliche Zeit gar nichts zu tun.
Eigentlich müssten auch Unternehmer gecoacht werden in ihrer Arbeit mit Flüchtlingen.
Stimmt. Wir waren auf uns allein gestellt. Niemand sieht die Chance, dass ja ein Teil der Asylwerber die Arbeitskräfte der Zukunft sind.
Sind die Anreize fürs Nichtstun für alle – also auch bei Österreichern – zu groß?
Bei Mitarbeitergesprächen habe ich oft gehört: "Wissen S’ was, für 1500 Euro netto, da verdiene ich in der Schattenwirtschaft mehr."
Wie geht’s Ihnen als Gastronom mit dieser Regierung?
Ich bemerke – auch als Politiker – eine große Resignation. Viele Gastronomen wollen nur mehr "downsizen", schränken Öffnungszeiten ein, bauen Personal ab. Ich bin kein Gegner der Registrierkasse, aber gegen dieses chaotische Vorgehen. Der fatalste Fehler aber war die Verlängerung der Abschreibungsdauer (Afa, Abschreibung für Betriebsgebäude und Instandhaltungen, Anm.). Das ist eine riesige Konjunkturbremse. Tischler, Baumeister, Wirte investieren weniger. Mit dem steigenden Einfluss von Arbeiterkammer und Gewerkschaft auf die Regierung wächst auch das Unverständnis für die Wirtschaft. Wir müssen die beiden Schattenregierungen zurückdrängen: Landeshauptleute und die Sozialpartnerschaft. Wolfgang Schüssel hat das versucht, das war gut. Denn sie sind die Protagonisten des Stillstands.