Wirtschaft

Schweizer Nationalbank hebt Euro-Mindestkurs auf

Die Schweizer Notenbank gibt den vor mehr als drei Jahren eingeführten Euro-Mindestkurs von 1,20 Franken auf. "Der Mindestkurs wurde in einer Zeit der massiven Überbewertung des Frankens und größter Verunsicherung an den Finanzmärkten eingeführt", erklärte die Schweizerische Nationalbank (SNB) am Donnerstag. "Der Franken bleibt zwar hoch bewertet, aber die Überbewertung hat sich seit Einführung des Mindestkurses insgesamt reduziert." Die Wirtschaft konnte diese Phase nutzen, um sich auf die neue Situation einzustellen. Die Unterschiede in der geldpolitischen Ausrichtung der bedeutenden Währungsräume haben sich in letzter Zeit markant verstärkt und dürften sich noch weiter akzentuieren. Auf der Handelsplattform EBS rutschte der Euro auf ein Elf-Jahres-Tief von 1,15795 Dollar. Zur Schweizer Währung sackte er zeitweise um rund 28 Prozent auf ein Rekordtief von 0,8639 Franken ab.

150.000 Österreicher betroffen

Mit dem Informationsstand vom November 2014 haben 150.000 österreichische Privathaushalte Fremdwährungskredite mit einem Volumen von 24,9 Mrd. Euro in Franken laufen, bestätigt Christian Gutlederer, Sprecher der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) dem KURIER. Dazu kommen 4,6 Mrd. Euro an Franken-Krediten von Unternehmen. Alleine bei der UniCredit Bank Austria laufen rund 40.000 private endfällige Fremdwährungskredite, so der Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer, weitere rund 4400 Fremdwährungskredite seien auf eine tilgende Variante umgestellt worden.

"Wenn der Franken um ein Prozent aufwertet, dann ist das kein Thema. Aber wenn es größere Schwankungen gibt, dann kann es natürlich wieder zu Bewertungsthemen bei den Häusern kommen", so Josef Schmidinger, Chef von s-Bausparkasse und s-Wohnbaubank. Das Problem sei, dass die meisten Kredite von Hausbauern in den Jahren 1999 bis 2008 aufgenommen worden seien. Viele der mit dem Geld gebauten Häuser hätten inzwischen eher an Wert verloren und würden daher zur Besicherung der nun plötzlich größer gewordenen Kreditschulden nicht mehr ausreichen, erklärt Schmidinger weiter. "Es könnte nun sein, dass die Banken Nachbesicherungen verlangen."

Wenn man dazu nicht in der Lage sei, werde man von der Bank aufgefordert werden, den Kredit in Euro zu konvertieren. "Dann haben Sie als Kunde den Kursverlust endgültig kassiert und müssen den höheren Eurobetrag zurückzahlen, wenn Sie sich das finanziell leisten können." Allerdings seien Euro-Kredite derzeit sehr günstig, "daher hat man da von der Kreditfähigkeit her etwas Luft."

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Wiens Schulden steigen um 300 Mio. Euro

Für die Stadt Wien und andere österreichische Gemeinden könnte das Erstarken des Schweizer Franken zu einem Mega-Problem werden, wenn der Kursanstieg länger anhält. Laut Wiens Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ) drohen derzeit keine Verluste, weil die Kredite nicht aufgelöst werden, sondern rolliert, sprich erneuert, werden. Fakt ist aber: Wien muss künftig höhere Zinsen zahlen. Rein rechnerisch würden die Schulden derzeit um rund 300 Mio. Euro steigen. Mit Stand Ende 2014 dürften die Frankenkredite der Bundeshauptstadt umgerechnet 1,66 Mrd. Euro ausmachen.

Ö: Keine Auswirkungen auf Staatsanleihen

"Dass die Schweizer Notenbank SNB den Euro-Mindestkurs von 1,20 Franken aufgibt, hat auf österreichische Staatsanleihen keine Auswirkungen", sagte die Chefin der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur ÖBFA, Martha Oberndorfer, am Donnerstag im Klub der Wirtschaftspublizisten. "Wir haben keine Fremdwährungsrisiken", erklärte Oberndorfer, die mit positiven Effekten auf Österreichs Wirtschaft rechnet. Fremdwährungen seien bei der für die Schuldenaufnahme zuständigen Agentur grundsätzlich abgesichert.

"Die Wechselkursparität tangiert uns daher nicht", so die Finanzmanagerin weiter. Für die österreichische Wirtschaft könne es durchaus positive Effekte geben. "Eher ein Vorteil" sei es etwa für den Tourismus im Westen Österreichs, weil ein Winterurlaub gegenüber einem in der Schweiz billiger werde.

Der Schweizer Leitindex SMI brach am Donnerstag um bis zu 14 Prozent ein - das ist der größte Verlust seiner Geschichte. Dabei büßten die dort gelisteten Unternehmen zusammen etwa 140 Mrd. Franken (rund 117 Mrd. Euro) an Marktkapitalisierung ein. Das entspricht in etwa der Schweizer Wirtschaftsleistung eines Quartals. Der Aktienumsatz lag schon zu Mittag fast vier Mal so hoch wie an einem gesamten Durchschnittstag.

Der deutsche DAX knickte nach den Meldungen um mehr als 1,5 Prozent ein und stabilisierte sich bis 11.00 Uhr auf minus 0,70 Prozent. Zuvor war der DAX noch im Plus gelegen. In Wien rutschten Bankaktien nach einem freundlichen Frühhandel weit in den roten Bereich ab, nachdem die Titel zuvor noch deutliche Kursgewinne verbuchen konnten. Raiffeisen büßte 1,86 Prozent auf 10,28 Euro ein. Erste Group sacken um 4,8 Prozent auf 19,04 Euro ab und waren damit zweitschwächster Wert im prime market. Stärkere Kursverluste gab es nur bei Valneva-Aktien, die um satte 13,72 Prozent im Minus notierten.

Größter Dollar-Rutsch seit 1971

Auch der US-Dollar fiel zum Franken massiv auf einen Wert von 0,8864 Franken, der größte Rutsch seit mindestens 1971. Der Euro hat sich gegenüber dem US-Dollar deutlich abgewertet, wodurch sich auch der Franken zum US-Dollar abgeschwächt hat, so die Schweizer Nationalbank. Vor diesem Hintergrund ist die Nationalbank zum Schluss gekommen, dass die Durchsetzung und die Aufrechterhaltung des Euro-Franken-Mindestkurses nicht mehr gerechtfertigt sind. Damit die Aufhebung des Mindestkurses nicht zu einer unangemessenen Straffung der monetären Rahmenbedingungen führt, senkt die Nationalbank die Zinsen deutlich.

Die Entscheidung der SNB ist für Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek "völlig unverständlich". Diese habe ihre Glaubwürdigkeit damit stark ramponiert. Brezinschek rechnet damit, dass sich ein neues Kurs-Gleichgewicht in zwei bis drei Wochen bei 1,10 bis 1,13 Franken pro Euro einpendeln wird.

"Glaubwürdigkeit stark ramponiert"


"Kaum eine Notenbank hat so eine Glaubwürdigkeit ausgestrahlt wie die Schweizerische Notenbank mit dieser Untergrenze Schweizer Franken/Euro", sagte Brezinschek am Donnerstag. Durch den unerwarteten Schritt sei diese Glaubwürdigkeit "stark ramponiert" worden. Die SNB habe sich in den vergangenen Jahren zusehends mit Interventionen zurückgehalten, und Interventionen seien auch nicht mehr so notwendig gewesen wie es knapp nach der Einführung der Wechselkurs-Untergrenze angesichts der Eurokrise der Fall gewesen sei.

Seit 2013 sei die Zentralbank-Bilanz der SNB nicht mehr gestiegen, erklärte Brezinschek. "Um einen Wechselkurs nicht zu stark werden zu lassen, hat eine Notenbank alle Möglichkeiten. Sie kann die Geldmenge unbeschränkt ausweiten." In dem Schritt, denn die Schweizer Notenbank nun gesetzt habe, könne er keinen Vorteil sehen. Brezinschek geht davon aus, dass es zwei bis drei Wochen dauern wird, bis sich der Franken-Euro-Wechselkurs bei einem neuen Gleichgewicht einpendeln wird, das er bei 1,10 bis 1,13 Franken pro Euro sieht. Die Kaufkraftparität liege sogar bei etwa 1,28 Franken.

"Das kann jetzt ziemlich holprig werden"


Für die Schweizerische Exportindustrie sei der Schritt der SNB ein harter Schlag, "das kann jetzt schon ziemlich holprig für die werden". Für den österreichischen Tourismus sei es hingegen ein Segen, "Vorarlberg und Tirol werden sich wahrscheinlich ins Fäustchen lachen".

Kurzfristig werde durch den starken Franken die Inflation in der Schweiz, die sich im Vorjahr mit 0,1 Prozent "hart an der Nulllinie" bewegt habe, wahrscheinlich "in die Minuszone rutschen", weil sich die Importe für die Schweizer verbilligen würden. Das sei aber keine Deflation, sondern eine einmalige Preissenkung auf Grund einer Einmalentwicklung. Ursprünglich habe man für heuer in der Schweiz mit einer Teuerungsrate von 0,4 Prozent gerechnet.

Der Chef der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Thomas Jordan, hat die überraschende Aufgabe des Franken-Mindestkurses gerechtfertigt. "Der Moment sei richtig gewesen, das Kursziel von 1,20 Franken je Euro aufzugeben", sagte Jordan am Donnerstag. "Der Ausstieg musste überraschend erfolgen." Jordan trat auch Vermutungen entgegen, die SNB könnte faktisch zu dem Schritt gezwungen gewesen sein. Marktdruck sei nicht ausschlaggebend gewesen, so der Notenbankchef. In den vergangenen Wochen war der Euro-Franken-Kurs an der Grenze von 1,20 Franken förmlich geklebt. Ein wichtiger Grund dafür waren Erwartungen einer noch lockereren Geldpolitik im Euroraum. Die SNB musste deswegen den Franken mit stetigen Devisenkäufen schwächen, um die Kursgrenze zu verteidigen.

"Die Schweizer Wirtschaft hatte der Mindestkurs vor schwerem Schaden bewahrt", sagte Jordan. In der letzten Zeit hätten sich die Unterschiede in der geldpolitischen Ausrichtung der bedeutenden Währungsräume aber verschärft. Das dürfte sich fortsetzen. Der Euro wertete gegenüber dem US-Dollar deutlich ab. Dadurch schwächte sich auch der Franken zur US-Währung ab, wie der SNB-Präsident ausführte. Vor diesem Hintergrund sei die Notenbank zum Schluss gekommen, dass die Durchsetzung und die Beibehaltung des Franken-Euro-Mindestkurses nicht mehr gerechtfertigt sei.