Wirtschaft

Botschafter: "Wir erwarten weniger vom Staat"

Nach vier Jahren wechselt der Schweizer Botschafter Urs Breiter von Wien nach Holland. Ein Gespräch über Steuerwettbewerb und was Österreich von der Schweiz lernen könnte.

KURIER: Für die österreichischen Befürworter einer Vermögenssteuer gilt die Schweiz als Vorbild. Unter welchen Voraussetzungen könnte man dieses Modell übernehmen?

Urs Breiter: Im Grunde kann man gar nicht von einem Schweizer Modell reden, denn bei uns ist die Steuerhoheit zwischen Bund und Kantonen aufgeteilt. Selbst innerhalb der Kantone haben die Gemeinden unterschiedliche Steuersätze.

Gibt der Bund die Höhe der Vermögenssteuer vor?

Nein, der Bund hebt keine ein, das können die Kantone tun. Die Vermögensbesteuerung ist damit erstens nicht für alle gleich und zweitens nur minimal. Der Prozentsatz am gesamten Steueraufkommen macht nur maximal acht Prozent aus.

Wo ist es für Reiche steuerlich am interessantesten, sich in der Schweiz anzusiedeln?

Manche Kantone sind tatsächlich steuergünstiger, etwa Zug oder der Kanton Schwyz. Aber das kommt wiederum darauf an, in welchem Einkommensbereich man liegt. Man kann die Dinge nicht so leicht über einen Leisten schlagen.

Was ist der Vorteil dieses Steuerwettbewerbs der Kantone?

Wettbewerb ist prinzipiell positiv und führt dazu, haushälterisch mit dem Geld umzugehen. Man passt auf, dass das Budget nicht aus dem Ruder läuft. Denn ein Hochsteuerkanton hat Mühe, gute Steuerzahler anzuziehen. Der Witz daran ist, dass man nicht einfach von irgendwoher Geld kriegt und es dann verteilt.

Klingt nach dem Prinzip, wie es in Österreich herrscht.

Das ist wirklich so: Den Löwenanteil des Geldes, das die Länder ausgeben, kriegen sie vom Bund. Die Krux des hiesigen Föderalismus ist, dass es ein Verteilföderalismus ist. In den untergeordneten Gebietskörperschaften – seien es Länder oder Gemeinden – findet das Management des Steueraufkommens relativ weit vom Bürger entfernt statt. Bei uns müssen Steuererhöhungen auch in den Gemeinden bewilligt werden. Es gibt immer die Möglichkeit einer Bürger-Teilnahme.

Glauben Sie, dass die Schweiz einen "Kanton Kärnten" mit aberwitziger Bank-Haftung pleite gehen lassen würde?

Ausschließen würde ich es nicht. Auch in der Schweiz hat der Staat allerdings eine Rettungsaktion durchgeführt (UBS), die letzten Endes für den Staat in einem Überschuss resultiert hat. Das Nachsehen hatten die Aktionäre.

Was könnte Österreich von der Schweiz lernen?

Die Strukturen sind kaum vergleichbar. Den hiesigen Föderalismus kann man aber hinterfragen und die Grundsatzfrage stellen: Ist das wirklich das beste Modell oder will man Ländern und Gemeinden mehr eigene Finanzkompetenz geben, samt der Möglichkeit, selbst Steuern einzuheben?

Und was kann die Schweiz von Österreich lernen?

Also in Bezug auf Steuern fiele mir nichts ein, was die Schweiz übernehmen sollte. Die Steuerbelastung ist im Durchschnitt wesentlich höher als bei uns.

Dafür sind die Lebenshaltungskosten in der Schweiz hoch.

Ja, die sind bei uns höher, etwa die Mieten. Und unser Sozialsystem ist anders ausgestaltet. Wir können vieles selbst wählen, dafür ist nicht so vieles inkludiert, wie hier. Der Bürger muss eine Eigenleistung erbringen.

Ist man in der Schweiz nicht überhaupt mehr zu Eigenverantwortung bereit?

Ja, wahrscheinlich erwarten wir weniger vom Staat. Es ist auch im Sinne des Einzelnen, wenn der Staat zu Eigenverantwortung anregt.

Da gibt’s in Österreich noch Spielraum, oder?

Könnte sein.

Kann Österreich irgendwo ein Vorbild für die Schweiz sein?

Ja, hinsichtlich des internationalen Engagements in friedenserhaltenden Operationen. Österreich ist, etwa im Rahmen der UNO und der EUFOR, mit 1100 Leuten im Auslandseinsatz, wir nur zirka mit 360.

Aber ist das heimische Bundesheer gegenüber jenem der Schweiz denn nicht fast eine Spaßtruppe?

Nein, es ist gut ausgebildet, die Akademien sind sehr gut, und es gibt ein sehr gutes Offizierskader. Das österreichische Bundesheer ist nur einfach unterfinanziert.

Die Schweiz gilt manchmal noch immer als Steueroase für Leute, die ihr Geld vor dem eigenen Fiskus verstecken wollen.

Steueroase waren wir nie, dieses Etikett hat uns die Konkurrenz aufgedrückt. Es gab Dinge, die man in Ordnung bringen musste. Deshalb haben wir unsere Gesetze dem OECD-Standard angepasst.

Profitiert die Schweiz davon, dass Russen und Ukrainer ihr Geld in Sicherheit bringen?

Es gibt keine massive Zunahme russischer Gelder. Man kann auch nicht einfach illegales Geld in die Schweiz bringen, die Gesetzgebung ist sehr streng geworden.

Wobei sich die Schweiz aus den russischen Sanktionen herauszuhalten versucht. Schützt man damit die eigene Wirtschaft?

Wir sind etwas zurückhaltend, weil wir nicht nur wie Österreich eine neutrale Rolle, sondern momentan auch die OSZE-Präsidentschaft haben. In dieser Funktion reden wir mit beiden Seiten. Abgesehen davon ist Russland als Wirtschaftspartner für die Schweiz weniger wichtig als für Österreich. Unsere Banken zum Beispiel sind in Russland nicht so stark engagiert.

Im Februar votierten die Schweizer für harte Zuwanderungsregeln. Wie kam das?

Die Zuwanderung hat stark zugenommen. Als Folge gab es eine starke Belastung der Infrastruktur – also Wohnraum zu halbwegs anständigen Preisen, Straßen, Bahn. Viele Menschen hatten den Eindruck: Jetzt sind wir überlastet. Tatsächlich kommen zirka 24 Prozent der in der Schweiz Lebenden aus dem Ausland, bei der Arbeitsbevölkerung ist es beinahe ein Drittel. So einen hohen Prozentsatz gibt es nirgendwo in Europa, außer in Luxemburg.

Wie geht’s jetzt weiter?

Wir haben ein Zeitfenster bis 2017, um den Entscheid umzusetzen. Wie es weitergeht, sollten wir die durch die Volksabstimmung nötige neue Verfassungsbestimmung nicht befriedigend lösen, weiß niemand. Ernsthafte Abschottung will keiner.

Die Schweizer sind seit der Finanzkrise wahrscheinlich dennoch froh, nicht in der EU zu sein.

Würde man in der Schweiz die Frage über den EU-Beitritt stellen, wären 75 bis 80 Prozent dagegen.

Sind Sie in Ihren Wiener Jahren österreichischer geworden?

Ja, ich sage "eh schon" und "machma" (lacht). Ich fühlte mich hier von Anfang an sehr willkommen, gebe aber zu, dass man einen Botschafter-Bonus hat. Bei Österreich und Wien denke ich an Herzlichkeit, Musik, Kultur und auch ein bisschen Schmäh.

Die Befürworter von Vermögenssteuern plädieren oft für das Schweizer Modell. Wie funktioniert es? Alle Kantone und ihre Gemeinden nehmen neben der Einkommenssteuer auch eine Vermögenssteuer ein, sie wird jährlich veranlagt. Die Höhe ist – wie auch bei anderen Steuern – regional unterschiedlich.

Die Vermögenssteuer soll explizit die Vermögens-Substanz nicht angreifen, sondern das aus Vermögen stammende Einkommen. Pensionskapital – auch wenn es privat angespart ist – zählt nicht dazu. Schulden werden abgezogen. Vom verbleibenden Nettovermögen wird ein je nach Kanton variabler Freibetrag abgezogen.

Die Steuer greift ab einem Nettovermögen von über 200.000 Franken (cirka 165.000 Euro). Mit steigendem Vermögen nimmt der Steuersatz überproportional zu. In der Schweiz gilt das Prinzip der Familienbesteuerung, das Vermögen beider Ehepartner wird also zusammengerechnet. In den meisten Kantonen gibt es einen steuerlichen „Verheiratetenabzug“. Einer beschränkten Vermögenssteuerpflicht unterliegen Personen, die nur eine wirtschaftliche Beziehung zum Steuergebiet haben, aber woanders wohnen. Grundstücke werden unterschiedlich bewertet, Hausrat und Gebrauchsgegenstände gar nicht besteuert.

Als Ausgleich für die kalte Progression (durch Teuerung entstandene steuerliche Mehrbelstung) enthält eine Reihe von Steuergesetzen Indexklauseln.