Wirtschaft

Riskantes Bankenhelfer-Syndrom

KURIER: In den 1930ern haben Politiker und Zentralbanken die Wirtschaftskrise verschärft. Haben sie diesmal richtig reagiert?
Harold James: Viel besser. Die Zentralbanken haben die Lektion der „Großen Depression“ verstanden und die Märkte mit enorm viel Geld geflutet. Ein unerwünschter Nebeneffekt war freilich das starke Wachstum der Schwellenländer. Jetzt, wo die US-Notenbank über den Ausstieg aus der großzügigen Geldpolitik nachdenkt, droht womöglich das nächste Krisenstadium – eine klassische Schwellenländer-Krise.

Warum? Weil so viel Geld aus dem Ausland zu- und abfließt?
Genau aus diesem Grund. Wegen des billigen Geldes und der niedrigen Zinsen in der westlichen Welt ist viel Kapital in die Schwellenländer geflossen, hat dort einen Boom ausgelöst. Das kehrt sich nun um: Geld fließt ab und stürzt Länder in die Krise.

Vor fünf Jahren, am 15. September 2008, ging die US-Großbank Lehman Brothers pleite. War das tatsächlich der Auslöser der globalen Finanzkrise?
Ja, das war katastrophal. Ich glaube nicht, dass den Politikern am Wochenende davor bewusst war, welche Folgen das haben würde. Manche waren der Meinung, Lehman fallen zu lassen, wäre ein Signal, dass das Finanzsystem robust ist und verantwortungsloses Handeln nicht belohnt wird. Erst am Montag und Dienstag darauf wurden die Konsequenzen für das globale Finanzsystem deutlich.

Seither wurde aus Angst vor ähnlichen Domino-Effekten so gut wie jede Bank gerettet. Wie lange soll das so weitergehen?
Der Glaube, alle Banken müssten gerettet werden, ist gefährlich. Kleine Länder können es sich unmöglich leisten, das Finanzsystem aufzufangen: Diese Erfahrung hat Irland gemacht. Dass sich die Lage in Europa normalisiert hat, hängt auch mit der Abkehr von diesem Prinzip zusammen. Wir reden jetzt über einen „Bail-in“, also über die Beteiligung der Aktionäre und Gläubiger an den Kosten. Zypern war Anfang 2013 der Wendepunkt: Kleine Sparer werden geschützt, große nicht.

War es nicht genau umgekehrt? Weil sich die Märkte dank der starken Ansagen von EZB-Chef Mario Draghi beruhigt hatten, konnte Europa das fordern?
In einem gesunden Finanzsystem müssen Banken scheitern können. Sonst werden unglaublich hohe Risiken eingegangen. Bankenrettungen waren eine Notmaßnahme, um ansteckende Panikreaktionen zu verhindern. Aber das hat zugleich das Risikoverhalten angetrieben, allem Regulierungsbestreben zum Trotz. Diesen Anreiz zu beseitigen ist ein wichtiger Teil der Normalisierung.

Müssen sich Industriestaaten künftig auf wenig bis gar kein Wachstum einstellen?
Historisch betrachtet haben unerwartete Technologieschübe Wachstum gebracht. Die USA wachsen kräftiger als vor einem Jahr, aber immer noch schwach. Ein Teil geht auf die Förderung von Schieferöl und -gas durch die „Fracking“-Technologie zurück. Länder wie Polen könnten davon ebenfalls profitieren. Manche Euroländer wachsen wieder gut, wären aber sehr verwundbar durch einen Schwellenländer-Schock. Die Gefahr neuer finanzieller Rückschläge ist noch nicht gebannt.

Europa und die Eurozone bewegen sich auf eine engere Zusammenarbeit hin. Der richtige Weg?
Das Konzept der Wirtschafts- und Währungsunion hatte zwei Fehler: die Budgetdisziplin wurde ungenügend kontrolliert und die Banken waren schlecht beaufsichtigt. Beides war übrigens (Anfang der 1990er) umfassend diskutiert worden: in der Kommission von Jacques Delors, beim Maastricht-Vertrag, für die EZB-Statuten. Nur umgesetzt wurde nichts. Jetzt ist es an der Zeit, das nachzuholen. Das soll die Bankenunion tun.

Die nur langsam vorankommt. Haben Sie Bedenken, die Pläne könnten verwässert werden?
Natürlich, aber so etwas zu konzipieren, ist komplex. Der Wiederaufbau und die Stärkung des Finanzsektors werden uns noch länger begleiten. Man kann nicht sofort nach einer Krise die richtigen Instrumente parat haben. Zu einer stabilen Konstruktion gehört eine Bankenunion, die nicht endlose Garantien ausspricht, sondern die Gläubiger-Beteiligung und die Verantwortung nationaler Aufsichtsbehörden über Banken in ihrer Region ernst nimmt.

Fiskalpakt und Schuldenbremse sollen jetzt Budgetdisziplin garantieren. Solche Regeln wurden schon einmal gebrochen.
Und es kann wieder passieren. Anfang der 2000er Jahre waren sogar Deutschland und Frankreich die Schuldigen. Disziplin ist wichtig, kann aber nicht von oben verordnet werden. Das müssen die Länder selbst beschließen.

Deutsche und Österreicher fürchten eine EU-Transferunion, die sie ständig zur Kasse bittet. Sie schlagen sogar ein europäisches Sozialsystem vor: Das kann doch für uns nur eine Verschlechterung bedeuten, oder?
Die Sorge verstehe ich gut. Ich halte die europäische Integration für unmöglich, wenn ständig Zahlungen von einem Land an ein anderes nötig sind. Müsste New Jersey dauernd große Summen an Tennessee oder Arkansas überweisen, wäre auch in den USA der Widerstand groß. Das geht nur über bundesweite Steuern und eine soziale Absicherung, in die die Menschen einzahlen. Diese europäische Absicherung könnten Länder, die das wollen, durch luxuriösere Varianten ergänzen. Auch das Pensionsantrittsalter sollte abgestimmt werden. Das würde in einem integrierten EU-Arbeitsmarkt die Mobilität erleichtern, es wird aber natürlich nicht in einigen Monaten oder Jahren geschehen.

Welche Rolle wird Europa im 21. Jahrhundert noch spielen?
Europa kann eine Rolle spielen, wenn es zusammenrückt. Wenn es nur über Verteilungsfragen streitet, wird es an den Rang gedrängt.

Was haben wir denn zu bieten?
Ich sehe Europa nicht als konventionelle Supermacht, sondern eher als kreatives Patchwork von Traditionen und Ideen. Je heterogener eine Gesellschaft ist, umso einfallsreicher ist sie. Europa muss sich koordinieren, um Schaden abzuwenden, darf dabei aber seine kulturelle Vielfalt nicht verlieren.