Wirtschaft

Rezeptfreie Pillen: Angriff der Versandapotheken

Spät aber doch fällt auch in Österreich das Versandhandelsverbot für rezeptfreie Medikamente. Nach Zertifizierung und Kennzeichnung mit eigenem EU-Logo geht es 2015 endlich los. Einige Apotheken scharen schon in den Startlöchern, andere sind bereits gestartet und liefern aus dem Ausland. Die Vital & G’sund apotheke-österreich.at agiert besonders preisaggressiv.

Der KURIER sprach mit Clemens Favero, Mitglied der Geschäftsführung, über den Angriff aus dem Web, Kooperationen mit Händler und warum in Österreich so vieles nur mit Rezept erhältlich ist.

KURIER: Sie sind Anfang des Jahres von Tschechien aus gestartet und kooperieren mit Universalversand und Quelle. Wie viele Kunden haben Sie schon in Österreich und wer kauft bei Ihnen hauptsächlich ein?

Clemens Favero: Wir haben inzwischen mehr als 30.000 Kunden. Fast zwei Drittel davon sind Frauen, hauptsächlich ab 40 Jahre. Aber auch die Zielgruppe der 18- bis 24-Jährigen ist sehr aktiv. Und wir haben sogar einen 86-jährigen Kunden, der mit einem Paypal-Konto bezahlt. Es gibt auch viele, die Sammelbestellungen – etwa für das ganze Büro – machen, um Versandkosten zu sparen.

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Was sind Ihre Bestseller?

Schnupfen-, Husten- und Erkältungsmittel, exakt wie bei stationären Apotheken.

Wie bereiten Sie sich auf die Freigabe des Versandhandels in Österreich vor?

Wir stehen Gewehr bei Fuß und haben natürlich einen Startvorteil. Einfach nur einen Webshop ins Internet zu stellen ist zu wenig, da braucht es einiges an Versand-Know-how. Es kann durchaus sein, dass wir unsere Auslieferung nicht mehr von Tschechien, sondern von Österreich aus machen.

Erwarten Sie zusätzliche Konkurrenz?

Natürlich, es haben ja schon einige Apotheken fertige Konzepte in der Schublade liegen. Da wird sich einiges im Markt bewegen.

Es wird gemunkelt, dass auch große Lebensmittelketten in den lukrativen Arzneimittelversand einsteigen werden?

Davon gehe ich aus. Auch an uns ist ein sehr großer Lebensmittelhändler zwecks Kooperation herangetreten und wir haben schon einige Gespräche geführt.

Der Apothekerverband startet im April mit Apodirekt einen eigenen Vertriebskanal. Was halten Sie davon?

Ich bin sehr skeptisch, ob das erfolgreich wird. Wo ist denn da der Vorteil für Konsumenten, wenn sie ein Produkt über die Plattform vorbestellen und dann in der Apotheke abholen müssen? Das ist sogar ein Schritt mehr. Es gibt außerdem keinerlei Preisvorteile. Versandkunden kaufen aber hauptsächlich der Preise wegen ein.

Wo sehen Sie noch Potenzial?

Das größte Potenzial sehe ich bei Wirkstoffen, die woanders längst rezeptfrei sind, aber in Österreich aus protektionistischen Gründen noch immer rezeptpflichtig, etwa bestimmte Hustensäfte. Österreich ist EU-Schlusslicht bei der Zulassung von rezeptfreien Wirkstoffen. Es sind nur 95 zugelassen, während es etwa in Deutschland 140 sind. Die Folge ist, dass viele Medikamente im Ausland bestellt werden. Ein weiteres Thema sind rezeptpflichtige Medikamente, die nicht von der Kassa erstattet werden, etwa die Anti-Baby-Pille oder Viagra. Wenn wir als Versandapotheken das verteilen dürften, wäre es für die Kunden erheblich billiger.

Was bringt der Trend zur Selbstmedikation dem Staat?

Es entlastet das ohnehin angespannte Gesundheitsbudget. Laut einer US-Studie entlastet jeder Euro, der in die Selbstmedikation fließt, das Gesundheitssystem um sieben Euro.

Es wird aber auch kritisiert, dass im Versandhandel Liefer- und Lagerbedingungen oft nicht wie vorgeschrieben eingehalten werden?

Dieses Thema wird weit überschätzt und soll wohl bewusst Ängste vor Versandapotheken schüren. Wir beziehen die Ware temperaturkontrolliert vom Hersteller oder Großhändler und versenden über die österreichische oder deutsche Post DHL, die Erfahrungen im Arzneimittelversand haben.

Und was ist mit der Beratung?

Bei der Beratung können wir natürlich nicht mit einer stationären Apotheke mithalten, aber der wichtigste Ansprechpartner bei Medikamenten ist ohnehin der Arzt und nicht der Apotheker.

Die Versandapotheke Apotheke-österreich.at ist Teil der Austria Versandapotheken s.r.o mit Sitz in Mimon/Tschechien. Das Unternehmen gehört mehrheitlich Tiroler Investoren und beschäftigt derzeit 15 Mitarbeiter. Der Versandhändler bietet mehr als 1500 in Österreich zugelassene rezeptfreie Arzneimittel an und kooperiert mit Universal Versand, Quelle und Weltbild. Die durchschnittliche Preisersparnis liegt bei 20 Prozent, einige Produkte sind um bis zu 40 Prozent billiger als in einer stationären Apotheke. Clemens Favero (Bild) ist Mitglied der Geschäftsführung.

Die Freigabe des Versandhandels von in Österreich zugelassenen rezeptfreien Medikamenten dürfte den Markt neu aufmischen. Erwartet wird, dass 2015 neue, große Anbieter in den Arzneimittel-Markt drängen werden.

Neben den beiden Drogerieketten dm und Bipa, die mit ihren Kooperationspartnern "Zur Rose" und "mycare" bereits jetzt gut positioniert sind, sollen sich auch Lebensmittelhändler bereits in Stellung bringen. Lidl Deutschland verlinkt seine Homepage bereits seit einigen Jahren mit dem Pillenversender Apo-Discounter, und könnte sein Angebot auch auf Österreich ausweiten. Diskonter Hofer soll ebenfalls mit Kooperationen liebäugeln. Offiziell halten sich beide bedeckt.

Auch Kaffeeröster Tchibo warf sich schon die eine oder andere Pille ein und kooperierte bei Aktionen mit Versandapotheken. Kunden in Deutschland konnten etwa vergangenen Herbst über die Tchibo-Webseite bei der Versandapotheke Besamex mehr als 200 Gesundheitsartikel um bis zu 55 Prozent billiger einkaufen. So kostete die 24-er Packung Grippostad-C in der Aktionswoche nur 5,19 Euro statt 9,95 Euro.

Der Schweizer Versandriese Zur Rose, der im Vorjahr die beiden deutschen Mitbewerber DocMorris und VfG schluckte, will gemeinsam mit dm auch in Österreich weiter expandieren. "Wir werden die Marktbearbeitung weiterhin offensiv angehen", kündigt eine Firmensprecherin im Hinblick auf die Freigabe des Versandhandels an. Geliefert werde aber weiterhin aus Deutschland und den Niederlanden. Eine exakte Kundenzahl wird nicht verraten, laut dm gibt es mehr als 100.000 Versandkunden in Österreich.

Preisschlachten

Während stationäre Apotheken auf Preis-Wettbewerb verzichten, tobt im Internet ein harter Preiskampf. In Deutschland sind Versandapotheken seit 2004 zugelassen. Im wesentlichen matchen sich zehn große Anbieter um die Versandkunden, alle haben Kassenverträge abgeschlossen. Ihr Marktanteil am gesamten Arzneimittelmarkt beträgt rund drei Prozent. Das befürchtete große Apothekersterben ist bisher ausgeblieben, die Preisschlachten im Internet blieben dennoch nicht ohne Folgen. Die Umsätze schrumpfen, die Folge sind Pleiten – wie etwa Sanicare – und Fusionen.