Wirtschaft

Pensionen: "Wir brauchen die Enkel"

KURIER: Sie fordern für ein zukunftsweisendes Pensionssystem Fairness und Gerechtigkeit ein. Was ist fair und gerecht?

Christoph Krischanitz: Das zu definieren, ist Aufgabe der Politik gemeinsam mit der Bevölkerung. Gerechtigkeit ist ein sehr oft strapaziertes politisches Schlagwort, das aber nie definiert wurde und unter dem jeder etwas anderes versteht. Sind 45 Beitragsjahre und 80 Prozent des Durchschnittsgehalts genug oder nicht? Was sind Luxuspensionen und sind sie gerechtfertigt? Die Definition muss immer im Zusammenhang mit einem gewissen Lebensstandard stehen, der auch die individuelle Situation der Menschen umfasst, die Pension sollte ja jedem seinen individuell gerechtfertigten Lebensstandard sichern.

Was ist ein „gewisser Lebensstandard“? Darunter versteht erst recht jeder etwas anderes.

Die Politik muss eine allgemein gültige Definition finden, die von der Bevölkerung akzeptiert wird. Dafür sollte man die direkte Demokratie über Volksbefragungen nutzen.

Die Ergebnisse solcher Volksbefragungen kann man sich ausrechnen. Wer wird schon freiwillig Kürzungen zustimmen?

Wenn die Schweizer das bei Zinssätzen zur Bewertung von Pensionen schaffen, dann werden wir wohl auch in der Lage sein, Meinungen über das Gesamtsystem einzuholen. Da muss sich natürlich erst eine Kultur entwickeln. Die Bevölkerung ist kritischer, als die Politik glaubt. Die Frage ist, wo man die Mindest-Standards setzt. Und wo die Armutsgrenze. Wenn die Durchschnittsgehälter steigen, steigt auch die Armutsgrenze. Sind deswegen mehr Leute arm?

Aber Fairness und Gerechtigkeit muss es nicht nur innerhalb einer Generation geben, sondern auch zwischen den Generationen. Wenn ich daran interessiert bin, dass meine Kinder auch eine Pension bekommen, brauche ich die Enkel dafür. Dafür muss ein Bewusstsein geschaffen werden.

Dieses Bewusstsein ist doch ohnehin vorhanden. Parallel zum konservativen Backlash, die Frauen wieder zurück an den Herd zu schicken.

Mehr Kinder heißt ja nicht, dass die Frauen zurück an den Herd sollen. Das hängt zusammen mit der Kinderbetreuung. Wenn die Babyboomer in Pension gehen, brauchen wir mehr Arbeitskräfte, Männer wie Frauen. Und man muss die Frage stellen, ob Kinderlose weniger Pension erhalten sollen.

Aber Österreich hat doch innerhalb der OECD ohnehin schon die höchste Familienförderung. Kinderlose finanzieren alle Leistungen mit, ohne mit einer eigenen Familie zu profitieren.

Die mit Nachwuchs sagen, die Kinderlosen können sich alles leisten. Die ohne Kinder sagen, dafür haben die anderen eben Kinder und Enkel. Es geht darum, dass das System transparent wird und jeder nachvollziehen kann, wer wofür bezahlt. Wobei auch die Frage gestellt werden muss, ob die Pensionen richtig adressiert sind.

Wie darf man das verstehen?

Soll die Pension mit abdecken, dass Großeltern ihre Enkel mit finanzieren? Wenn die Oma den Enkel finanziell unterstützen kann, dann braucht sie vielleicht doch nicht so viel Pension. Soll man das der Oma ermöglichen oder soll für die Enkel mehr Geld da sein? Auch das ist eine politische Frage. Womit wir wieder am Anfang der Diskussion wären. Sollen alle Pensionisten Luxusreisen machen können oder soll die Pension nur die Armutsgrenze abdecken. Wenn diese Frage erst einmal geklärt ist, weiß man, welche Leistungen zu finanzieren sind. Jeder Bürger soll verstehen, wie viel er bezahlt und was er dafür bekommt.

Pensionistenvertreter argumentieren ständig mit den wohl erworbenen Rechten.

Die Leute glauben, das steht ihnen zu. Ist auch verständlich, denn das hat man ihnen immer gesagt. Jetzt geht es um nachhaltige Reformen, nicht um ständige kleine Änderungen. Garantien gibt es nicht.

Warum nicht? Die Politik sieht das ganz anders.

Weil die Höhe der Pensionen von der künftigen Entwicklung der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik abhängt. Ein nachhaltiges Pensionssystem besteht aus einer nachhaltigen Familien- und Bildungspolitik. Ein ganz wichtiger Faktor sind auch Forschung und Entwicklung und die Qualität des Standortes, in die massiv investiert werden muss. Wenn Sozialminister Hundstorfer sagt, eine gute Arbeitsmarktpolitik sei die beste Pensionsreform, dann gilt das vielleicht für die nächsten fünf Jahre. Er vergisst dabei, dass Arbeitsmarktpolitik alleine das Problem der Demografie nicht lösen kann.

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Dann muss Österreich die Zuwanderung erhöhen und wir haben genügend Beitragszahler.

Es geht um qualifizierte Arbeitskräfte. Wir müssen eine höhere Wirtschaftsleistung produzieren, um in 15 Jahren konkurrenzfähig zu sein. Wer soll denn bei einem schrumpfenden Sozialsystem und einer schrumpfenden Wirtschaft nach Österreich kommen? Fachkräfte gehen in wachsende Märkte. Asien, Südamerika – welche Regionen auch immer dann vorne sind. Wenn Österreich so weitermacht, sind wir in 15 Jahren alles andere als eine Boom-Region. Wie’s dann politisch bei uns aussieht, daran will ich lieber gar nicht denken.

Österreich lagert Altersarbeitslosigkeit in das Pensionssystem aus. Sehen Sie andere Lösungsmöglichkeiten?

Wir belügen uns selbst mit der niedrigen Arbeitslosigkeit. Wenn man die älteren Arbeitslosen nicht in Pension schicken würde, hätten wir eine Arbeitslosenrate von zehn bis zwölf Prozent. Das Problem ist, dass wir die Jobs nicht haben. Dafür müsste das Arbeitsumfeld geändert werden. Österreichs Wirtschaft muss so innovativ werden, dass ältere Arbeitnehmer integriert werden können. Das muss sich die Wirtschaftspolitik überlegen. Vielleicht müssen wir beim Lebensarbeitseinkommen auch einen Schritt zurückgehen, den Kündigungsschutz für Ältere überlegen und bei den Lohnnebenkosten und der Flexibilisierung der Arbeitszeit ansetzen.

Als Chef eines privat finanzierten Instituts sind Sie ein Anhänger der privaten und betrieblichen Altersvorsorge. Wie hoch sollte ein vernünftiger Anteil an kapitalgedeckter Vorsorge am Pensionssystem sein?

Wenn die Geburten boomen würden, dann sollte der Anteil des Umlageverfahrens (im staatlichen System finanzieren die Beitragszahler direkt die Pensionen, es wird nichts angespart und am Kapitalmarkt veranlagt) höher sein. Wenn die Zahl der Pensionisten hoch ist, sollte mehr aus der Kapitaldeckung kommen. Mein Vorwurf an Sozialminister, Arbeiterkammer und Gewerkschaft ist, dass sie das Umlageverfahren so verherrlichen und nichts anderes zulassen. Dabei geht es doch um ein gemeinsames System.

Aber wie sollte sich dieses gemeinsame System zusammensetzen?

Derzeit ist das Verhältnis zwischen Umlageverfahren und Kapitaldeckung 90 zu 10. Sinnvoll wäre 75 zu 25, das wäre schon sehr hilfreich. Das System muss atmen können und flexibel sein. Kapitaldeckung kann über die Zeit ausgleichen. Jetzt sollte das Kapital zur Verfügung gestellt werden, das wir später brauchen. Es geht nicht so sehr um die Vermehrung des Kapitals, sondern um den Erhalt.

Christoph Krischanitz: Zur Person

Der Mathematiker ist seit 2002 Geschäftsführer der arithmetica. Er ist Präsident der Aktuarvereinigung und Mitglied etlicher internationaler Gremien. Außerdem Vorsitzender des mathematisch-statistischen Komitees und der AG Stresstest des Versicherungsverbandes.
Institut arithmetica gehört zum VIG-Konzern und berät im Bereich von Versicherungs- und Finanzmathematik. Spezialist in Altersvorsorge, Versicherungstechnik und Risikomanagement.