Wirtschaft

"Putin versteht die Sprache der Macht"

KURIER: Wie sehr sind Sie über die Entwicklung in der Ostukraine beunruhigt?

Jan Švejnar: Die Eskalation ist besorgniserregend. Springt der Funke auf die ganze Ukraine über, müsste der Rest der Welt Position beziehen. Würden die USA und EU geschlossen auftreten, wäre das ein stärkeres Signal an Moskau. Macht und Stärke sind Botschaften, die Putin versteht. Er würde zwei Mal über eine Intervention in der Ostukraine nachdenken.

Also doch harte Sanktionen, selbst wenn es auf einen Handelskrieg hinausläuft?

Švejnar: Es ist zumindest hilfreich, das durchzudenken. 80 Prozent der russischen Rohstoff-Einnahmen kommen aus Ölexporten. Würde der Westen diese mit einem Embargo belegen, hätte das massive Folgen. Gas bringt für die Russen nur 14 bis 15 Prozent, ist aber für Europa extrem wichtig. Und es ist nicht ganz klar, ob und wie rasch Norwegen, Algerien und die USA einspringen könnten, wenn die Russen den Gashahn zudrehen.

Was will Putin? Mit der Ukraine jeder künftigen EU-Osterweiterung einen Riegel vorschieben?

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Švejnar: Ja, aber mehr noch will er eine NATO-Mitgliedschaft verhindern. Putin sieht den Zerfall der Sowjetunion als tragischstes Ereignis der jüngeren russischen Geschichte. Er will ganz klar den Einflussbereich ausweiten.

Wie fällt Ihr Fazit für die zehn osteuropäischen Länder aus, die 2004 der EU beigetreten sind?

Švejnar: Alles in allem positiv. Sie profitieren vom Handelsaustausch, vom freien Arbeitsmarkt, wachsen schneller als der Rest Europas. Viele Vorteile sind freilich schon in den zehn Jahren davor geschehen. Am 1. Mai 2004 ist nichts Dramatisches mehr passiert.

Michael Landesmann: Der EU-Beitritt sorgt dafür, dass die Institutionen eines Landes einen Sprung vorwärts machen. Länder wie Polen haben sich wirtschaftlich dramatisch verbessert. Ungarn hat hingegen fast 10 Jahre Stagnation hinter sich. Und Slowenien ist im Schockzustand, weil das einst so erfolgreiche Land durch die Bankenkrise abgesackt ist.

Warum sehen die Menschen die EU so negativ?

Švejnar: Keiner will die Grenzen zurück. Die EU wird aber als selbstverständlich wahrgenommen – die Reisefreiheit, das Warenangebot. Viele haben das Gefühl, zu kurz zu kommen oder dass die EU diktiert. Und obendrein ist der Irrtum weit verbreitet, dass Brüssels Bürokratie überbordend sei – dabei ist die EU-Verwaltung sogar recht schlank.

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Landesmann: Die Früchte des Wachstums sind ungleich verteilt. Vor allem ältere Menschen haben Angst vor Veränderung, selbst wenn diese positiv ist. Obendrein machen die nationalen Regierungen Brüssel für vieles verantwortlich. Und ein wenig gibt es auch eine Art Woody-Allen-Effekt. ("Ich möchte keinem Verein beitreten, der mich als Mitglied akzeptiert.")

Herr Švejnar, Sie gingen 1970 ins Exil. Wie kam das?

Švejnar: Ich musste das Land mit 17 Jahren praktisch über Nacht verlassen, einen Monat vor der Matura. Keine Schule oder Universität in Europa wollte mich aufnehmen. Überall hieß es: "Du bist ein spezieller Fall, aber wir können nichts für dich tun." Die US-Unis waren flexibler: "Komm ein Jahr her, wenn du Erfolg hast, nehmen wir dich." So schloss ich mein Studium samt Doktorat ab – und habe in Europa exakt an jenen Unis unterrichtet, die mich acht Jahre zuvor abgewiesen hatten.

Wann konnten Sie nach Prag zurückkehren?

Švejnar:Ich habe meine Verwandten und Freunde in der Tschechoslowakei erstmals 1984 besucht. Da war ich bereits US-Bürger und habe es vermieden, Ökonomen zu treffen. Die hätten sicher Probleme gehabt zu erklären, warum ein Amerikaner an ihre Tür klopft.

Mit welchem Gefühl sind Sie zurückgekehrt?

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Švejnar: Es war sehr emotional. Ich wollte meiner Frau und meinem Sohn zeigen, wo ich herkomme. In 14 Jahren hatte sich nichts verändert: Jedes Geschäft war exakt an derselben Ecke, nur mehr heruntergekommen. Völlige Stagnation, es war frustrierend – der Fall des Eisernen Vorhangs war damals nicht absehbar.

Jan Švejnar: Der Ökonom wurde 1952 in Prag geboren. Zwei Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings (1968) folgte er zunächst den Eltern ins Exil nach Genf, studierte dann in den USA Wirtschaft, wo er an der Eliteuni Columbia lehrt. 2008 kandidierte er als tschechischer Präsident und unterlag Amtsinhaber Václav Klaus erst im dritten Wahlgang. Er arbeitete primär als Berater, halte sich die Option einer Polit-Funktion aber offen, sagte Švejnar zum KURIER.

Michael Landesmann ist Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) und unterrichtet als Professor an der Johannes Kepler Universität in Linz.