Wirtschaft

Billig-Pharma im Hochpreisland

Sechs Milliarden Dollar waren es am Höhepunkt, fast zehn Prozent des Konzernumsatzes: Der Blutdrucksenker Diovan war für Novartis jahrelang das, was die Pharmabranche einen "Blockbuster" nennt. Jetzt läuft der Patentschutz aus; soeben haben die USA einen indischen Diovan-Konkurrenten zugelassen. So geht es vielen Massenmedikamenten, die Anfang der 1990er entwickelt wurden – nicht nur bei Novartis. Das Ende des Schutzes ruft Nachbauprodukte (Generika) auf den Plan, die Preise brechen bis zu 80 Prozent ein.

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Schon jetzt setzt Novartis mit Diovan nur noch die Hälfte des Spitzenwertes um, sagt Christopher Snook, Chef-Manager über alle Novartis-Regionen, zum KURIER. Dennoch habe man die gefürchtete "Patentklippe" erfolgreich umschifft: "Jene Medikamente, die wir in den vergangenen fünf Jahren herausgebracht haben, erzielen bereits 32 Prozent der Konzernumsätze", betont Snook.

Tirol: 190 Mio. Packerln

Jeder fünfte Umsatzdollar von Novartis Pharma fließt in die Forschung. Einen möglichen Blockbuster hat man in der Zulassung LCZ696 – das Mittel gegen eine tödliche schleichende Herzschwäche, hat in Tests überraschend gut abgeschnitten. Weltweit leiden 26 Millionen Menschen an Herzinsuffizienz, Analysten reagierten euphorisch: Dem Mittel werden schon Jahresumsätze von fünf Milliarden Dollar und mehr zugetraut. LCZ696 könnte frühestens 2016 auf den Markt kommen.

Das zweite Standbein, das die Umsatzeinbußen ausbalancieren soll, betrifft Österreich: Mit dem Tochterunternehmen Sandoz spielt Novartis selbst groß im Generika-Geschäft mit – von Tirol aus: In Kundl und Schaftenau bei Kufstein werden Biosimilars (aufwendige bioähnliche Produkte) und Generika erzeugt. 190 Millionen Arzneimittelpackungen sind es im Jahr, gut 95 Prozent gehen in den Export. Zusätzlich führt Sandoz bei der früheren Ebewe in Unterach (OÖ) seit 2009 das weltweite Kompetenzzentrum für generische Chemotherapie.Wie kann sich Österreich als Hochpreisland im Billig-Pharmasegment behaupten? Snook: "Wir wollen, dass Sandoz konkurrenzfähig zu den großen Herstellern in Südasien ist. Das geht nur durch Wissensvorsprung. Bei schwierig zu produzierenden Generika haben wir eine Alleinstellung." Kundl sei die letzte verbliebene Produktionsstätte für Penicillin in der westlichen Welt.

Zuverlässigkeit zieht

Qualifiziertes Personal hat oberste Priorität. Sakrosankt ist dabei kein Standort, nicht einmal die Schweiz. Dass dort wegen des Zuwanderer-Referendums Kontingente für EU-Ausländer drohen, bereitet Kopfzerbrechen: "Noch sehen wir keine negativen Folgen, aber es könnte schwierig werden", sagt Snook.

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In Österreich wurde zum Beispiel 2008 das Forschungsinstitut in Wien-Liesing zugesperrt. Allerdings hatte Novartis noch nie so viele Mitarbeiter in Österreich, 4600 sind es aktuell. Seit 1996 wurden 2,1 Milliarden Euro investiert, allein im Vorjahr 140 Millionen. In Schaftenau eröffnete im Frühling 2014 ein Zubau für 70 Mitarbeiter, in Unterach startet am 20. Oktober eine Produktionslinie für Fertigspritzen.

Und die hohen Steuern? "Steuern an sich sind nicht das Problem, aber Änderungen können es zu einem machen. Wir brauchen Planungssicherheit", sagt Snook. Das gelte auch für Behörden- und Umweltauflagen, schließlich dauert es bis zur Marktreife eines Medikaments zehn bis zwölf Jahre. Das habe er auch beim Besuch von WKO-Präsident Christoph Leitl besprochen, so Snook. Weiteres Dauerthema: die Bildung. Novartis wünscht sich mehr Wissenschaft an den Schulen.

Von der Färberei zum Pharmagiganten

Anilinfarbstoffe Novartis entstand 1996 aus der Fusion der Basler Traditions- firmen Ciba-Geigy und Sandoz. Wie für viele Chemiekonzerne liegen die Wurzeln in der Farbstoffproduktion im 18./19. Jahrhundert. Der Hauptsitz ist unverändert Basel (Schweiz).

Forschung als Konzern-DNA Ende 2013 beschäftigte der Konzern 135.696 Mitarbeiter weltweit. Mit seinen Produkten erzielte Novartis in 155 Ländern 58 Mrd. US-Dollar Nettoumsatz. Spitze ist die Forschungsquote – sie beträgt bei Novartis Pharma 22 Prozent des Umsatzes.

Der Pharmakonzern kapert in Basel einen Stadtteil Links dribbeln Dutzende Personen mit Basketbällen, rechts gibt es großes Hurra beim Torwandschießen. Müssen die Novartis-Mitarbeiter am Baseler Konzernsitz eigentlich auch arbeiten?
Die Begleiterin klärt auf: Es ist „Be healthy“-Woche, alle Konzernmitarbeiter weltweit sollen etwas für die Gesundheit tun. Für ihre eigene. Ein besonderes Anliegen von Novartis-Oberboss Joe Jimenez.

Der Campus des Wissens, der mit 220.000 Quadratmetern einen Großteil von Basel-St. Johann belegt, will Talente aus aller Welt anziehen. Das hippe, grüne, moderne Image soll helfen. Und die perfekte Infrastruktur mit Restaurant-Turm, Kindergarten, Wäscherei, Fitnesscenter, Poststelle und sogar einem Passamt: Im Endausbau werden hier 12.000 Mitarbeiter aus 90 Ländern arbeiten, hauptsächlich in Labors und der Verwaltung. Das Areal ist rauch- und autofrei, Hunderte Räder stehen zur Fortbewegung parat.

Die chemische Produktion ist schon ins Eck gedrängt: 90 Mitarbeiter rühren hier in drei Schichten Arzneien an, aber die Drehschalter, Zeiger und Blinklampen versprühen den Charme der 1980er. „Die Methoden sind im Grunde seit 100 Jahren unverändert“, sagt die Auskunftsperson. Es klingt wie eine Rechtfertigung.

Der Kontrast zum übrigen Areal könnte kaum größer sein: Jeder Neubau stammt von einem Stararchitekten wie Frank Gehry (Guggenheim Bilbao), Herzog & de Meuron (Elbphilharmonie) oder Adolf Krischanitz. Die Stadt Basel hat auch was davon: Der Campus ist eine Touristenattraktion. Und bald kann man auf dem früheren Hafenareal den Rhein entlangflanieren bis nach Frankreich. Das beginnt gleich hinter Novartis-Land.