Wirtschaft

Mitterlehner: Warnung vor Erdgas-Sanktionen

Erdgas wird im Konflikt um die Ukraine zur Waffe: Russland droht, die Lieferungen durch die Ukraine zu beschränken. Die EU denkt über neue Sanktionen gegen Russland nach, die bis zu einem Gasimport-Stopp reichen. Der KURIER fragte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, was passiert, wenn Österreich und die EU kein Gas mehr aus Russland erhalten.

KURIER: Herr Minister, Russlands Präsident Wladimir Putin hat eingeschränkte Gaslieferungen an die Ukraine angekündigt. Hat das Folgen für Österreich und Europa?

Reinhold Mitterlehner: Wenn die Gaslieferungen durch die Ukraine nach Österreich ausfallen, kommt die krisenerprobte Variante 2 zum Tragen. Ich rechne damit, dass es in den nächsten Wochen passieren könnte, sollte die Ukraine die offenen Gasrechnungen nicht begleichen.

Was bedeutet die Variante 2?

Das heißt: Die russische Gazprom wird Erdgas über die Nord Stream Opal-Pipeline nach Deutschland und nach Österreich liefern. Diese Variante ist krisenerprobt. Schon 2009 als er zu einem Gasliefer-Stopp kam, wurde eine ähnliche Umkehr des Gasflusses angewendet.

Reicht die Variante 2 als Krisenplan?

Wir füllen zudem derzeit die Erdgasspeicher auf. Österreich hat Platz für 7,8 Milliarden Kubikmeter Gas. Die Speicher sind jetzt zur Hälfte gefüllt. Diese Menge reicht für mehrere Monate. Die russische Gazprom lagert ebenfalls Gas in Österreich ein. Die Russen sind ja interessiert daran, die Verträge einzuhalten und Gas zu liefern.

In der EU mehren sich die Stimmen, die einen völligen Gasimport-Stopp als Sanktion gegen Russland befürworten. Gefährdet sich Europa damit nicht selbst?

Wir sind gegen Sanktionen, gerade was Gas anbelangt und versuchen unsere Meinung auch einzubringen. Das wird immer schwieriger durchhaltbar, weil momentan alles auf eine Eskalation hindeutet und nicht auf eine andere Lösung. Das heißt im Endeffekt, wenn Gas bei den Sanktionen dabei ist und es zu einem Verbot von Gasimporten aus Russland kommt, dann wird ganz Europa in spätestens vier Monaten schwere Probleme haben.

Steht Österreich mit seiner Meinung allein da?

Wichtig wird das Treffen der Staats- und Regierungschefs am 27. Mai. Nach der EU-Wahl wird die nächste Entscheidung fallen. Wir versuchen, die anderen Länder für das Thema Gas-Sanktionen gegen Russland zu sensibilisieren. Rumänien, Bulgarien und Ungarn sind unserer Meinung. Deutschland und Italien argumentieren ähnlich, aber schwächer.

Wie lange kann Europa ohne russisches Gas auskommen?

Die EU bewegt sich sehenden Auges auf einen Riesen-Konflikt zu, der zum Versorgungsproblem für alle Betroffenen werden könnte. Im November ist es manchmal schon kalt. Dann habe ich genau das Problem.

Was passiert in Österreich in so einem Krisenfall. Wird Gas rationiert?

Zuerst wird Gas aus allen Speichern entnommen. Gleichzeitig wird versucht, Erdgas aus anderen Länder – etwa aus Algerien über Italien – zu beziehen. Dauert der Lieferstopp länger, müsste eine Krisenverordnung erlassen werden. Die legt dann weitere Maßnahmen, zum Beispiel Rationierungen, für einzelne Branchen fest.

Wer ist für diese Rationierungen zuständig?

Die Verordnung erlässt der Wirtschaftsminister. Als beratendes Gremium wird der Energielenkungsbeirat einberufen, in dem Vertreter der Sozialpartner und der Bundesländer sitzen. Gemeinsam mit der Energiemarktaufsicht E-Control werden die Inhalte der Krisenverordnung festgelegt und unter Einbindung des Parlaments umgesetzt.

Die EU denkt über eine Unabhängigkeit von russischem Gas nach. Ist das möglich?

Die Bemühung zur Unabhängigkeit von Russland ist wunderbar. Wenn man von den Zahlen ausgeht, sieht man, wie schwierig das ist: Die Internationale Energieagentur erwartet, dass 2020 rund 35 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas aus anderen Ländern in die EU geliefert werden könnten. Das klingt viel, ist aber nur ein Viertel des Russen-Gases für Europa.

Rund ein Drittel des Erdgases, das die EU verbraucht, kommt derzeit aus Russland. Und weil die EU-eigenen Gasvorkommen – etwa in den Niederlanden – weniger werden, könnte der Russengas-Anteil in der EU sogar weiter steigen. Österreich ist zu rund 60 Prozent von russischen Gaslieferungen abhängig, manche EU-Staaten wie etwa Bulgarien sogar zu hundert Prozent.

Ein völliger Ausstieg aus dem Bezug von Erdgas der russischen Gazprom ist kurzfristig unmöglich. Denn der Ersatz der enormen Gasmengen durch andere Quellen braucht Zeit, weil erstens die Pipelines gar nicht vorhanden sind und zweitens auch ausreichende Hafen-Kapazitäten für Flüssiggas, das mit Schiffen transportiert wird, fehlen.

Die USA produzieren zwar erhebliche Mengen an Schiefergas, exportieren aber derzeit noch nichts. Dafür müssten zunächst Hafenanlagen errichtet werden, in denen das Erdgas verflüssigt wird und in Schiffscontainer gepumpt werden kann. Europa wiederum braucht zusätzliche Anlagen, in denen das Flüssiggas wieder in Gas umgewandelt wird.

Neue QuellenLieferländer für Flüssiggas gäbe es grundsätzlich genug. Katar hat große Gasmengen, ebenso Nigeria, aber auch Australien. Das Hauptproblem dabei: Das Flüssiggas ist teurer. E-Control-Vorstand Walter Boltz schätzt, dass der Gaspreis um gut 20 Prozent steigen müsste, damit sich der Bezug von Flüssiggas in großen Mengen rechnet.

Noch viel schwieriger als der Umstieg auf Flüssiggas ist der Bau neuer Pipelines. Mit dem Plan, Gas aus dem Kaspischen Raum über die Türkei nach Europa zu liefern und dazu die Nabucco-Pipeline zu errichten, ist die EU gescheitert. Die einzige neue Pipeline, die Chancen auf Umsetzung hat, ist die South Stream. Diese liefert aber wieder nur Russen-Gas nach Europa, allerdings unter Umgehung der Ukraine. Das heißt: Auch die Russen haben größtes Interesse, Erdgas in den Westen zu verkaufen.

Am 19. Mai diskutiert Bernhard Painz, Leiter der Gas-Abteilung der E-Control, von 11 bis 12 Uhr mit KURIER-Leserinnen und -Lesern zum Thema Gasversorgung in Österreich.

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