Michael Buhl: "Anleger sind doch keine Spekulanten"
Von Christine Klafl
In Deutschland gehen Politiker mit dem Thema Börse und Eigenkapital viel positiver um als in Österreich, kritisiert Michael Buhl, der mit Birgit Kuras die Führung der Wiener Börse bildet. Heuer gab es keinen einzigen Neuzugang auf dem Kurszettel (der KURIER berichtete). Buhl hofft, dass es 2016 doch Neulinge geben wird.
KURIER: In Deutschland gab es heuer etliche Börsengänge, in Österreich gar keinen. Was ist hier so anders?
Michael Buhl: Es ist zum Teil eine Frage der Größe. In beiden Ländern wird die Wirtschaft von Klein- und Mittelbetrieben dominiert. Bei uns sind diese aber ein Häuserl kleiner als in Deutschland. Und in den vielen Familienbetrieben gibt es Angst vor der Abgabe von Kontrolle.
Das heißt, nach der Zeit der Patriarchen kommen die Börsengänge von ganz allein?
Das ist möglich. Oft ist keine nächste Generation da, die das Unternehmen führen will. Dann steigen Private Equity und Venture Capital ein. Die sind eher bereit, über die Börse zu verkaufen. Grundsätzlich sind wir aber bei der Aktienkultur hinten nach.
Sie meinen die Politik?
Ja, wenn man Frau Merkel oder Herrn Schäuble zuhört, klingt das ganz anders als in Österreich. Bei uns sieht die Politik das Thema Eigenkapital nicht so positiv, wie das in Deutschland der Fall ist. Alles, was die Politik in Österreich in den vergangenen Jahren getan hat, war gegen den Kapitalmarkt gerichtet.
Die Einführung der Kursgewinnbesteuerung und jetzt auch noch die Erhöhung der Steuer?
Diese Steuer gehört wieder abgeschafft. Nach einer Behaltefrist von drei bis fünf Jahren sollten Kursgewinne steuerfrei sein. Aber es geht auch um die Einstellung. Anleger, die Aktien besitzen und damit vorsorgen wollen, sind doch keine Spekulanten. Für viele Politiker sind sie das aber. Wir brauchen ein klares Bekenntnis der Politik zum Kapitalmarkt.
Ob Bene oder HTI – auch ganz ohne Politik ist die Liste der Wiener Aktien heuer um sechs Titel geschrumpft, zwei weitere Unternehmen überlegen den Rückzug. Was ist da los?
Übernahmen, Sanierungsfälle – da gab es unterschiedliche Gründe. Wenn Unternehmen mit kleinem Streubesitz sagen, dass sich der Aufwand nicht auszahlt, kann ich das verstehen. Da geht es gar nicht um die Kosten des Listings. Die liegen bei 3500 bis höchstens 7500 Euro pro Jahr. Aber da gibt es Ängste vor der Regulierungswut der EU und vor überstrenger Prüfung durch die Aufsicht, da gibt es Investor-Relations-Aufgaben. Das sind Dinge, die Kapazitäten binden.
Wird der Abgang dieser acht Unternehmen in den Börsenumsätzen spürbar sein?
Da geht es um einen Umsatz von weniger als hundert Millionen Euro, also weniger als ein Tagesumsatz in Wien. Trotzdem muss ich sagen: Jeder tut mir weh, um jeden tut es mir leid.
Wie könnte man Börsengänge ankurbeln?
Mit der steuerlichen Förderung der Kosten von Börsengängen und weniger Regulierungen. Der Entfall von Quartalsberichten für kleinere Unternehmen sind ein erster Schritt. Da muss noch mehr kommen. Alleingänge sind aber schwer möglich. Wir sind in einem europäischen Umfeld.
Sind die tiefen Zinsen für Fremdkapital nicht eine direkte Konkurrenz zu Eigenkapital in Form von Aktien?
Das stimmt, aber Unternehmen können diese Phase ja auch für Akquisitionen nützen. Man sieht allerdings eine große Zurückhaltung bei Investitionen. Immerhin haben Unternehmen heuer bereits 5,2 Milliarden Euro über Corporate Bonds an der Wiener Börse aufgenommen. Die Hälfte wurde von inländischen, die andere Hälfte von ausländischen Firmen aufgenommen. Den Vorjahreswert von 7,2 Milliarden werden wir heuer nicht erreichen.
Unternehmensanleihen sind aber doch ein erster Schritt an den Kapitalmarkt, oder?
Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Für kleinere Unternehmen ist das sicher ein Hineinschnuppern. Wir hatten heuer schon 30 Unternehmen in Börsengang-Workshops. Ich hoffe, dass es 2016 doch Börsengänge geben wird. Das weinende Auge bei Unternehmensanleihen: Für große Unternehmen sind Corporate Bonds eine günstige längerfristige Finanzierung. Sie haben dadurch weniger Druck, sich Eigenkapital zu besorgen.
Zum Unternehmen Börse selbst: Sie haben heuer die Töchter in Laibach und Budapest verkauft. Aus der Traum vom Börsennetzwerk?
Wir haben zwei Offerte bekommen, die wirtschaftlich Sinn gemacht haben. Daher haben wir verkauft. Es ist wahr, wir haben zwei Töchter verloren. Aber wir haben die Börse Zagreb als Kunden dazugewonnen. Die Börsentochter in Prag bleibt aber bei uns. Hier haben wir Handel und Abwicklung in einer Hand.