Wirtschaft

Zu minder für russische Kunden

Lieferstopp nach Russland: Das ist eine Erfahrung, die 15 österreichische Lebensmittelbetriebe schon seit Anfang Mai machen. Damals beanstandeten russische Auditoren bei Überprüfungen, dass drei Molkereien und ein Dutzend Fleischerei-Betriebe russische Normen nicht erfüllen.

Die Liste liest sich wie ein Who’s who der Lebensmittelbranche: Handl Tyrol, Greisinger Fleischwaren, Berglandmilch, Alpenmilch Salzburg und Ennstal Milch sind darunter. Sind Europas und Österreichs Hygienestandards wirklich lockerer als die in Russland? Oder gibt es doch eine Verbindung zur Ukraine-Krise und den Sanktionen, wie Beobachter vermuten?

Test auf Radioaktivität

„Ich glaube nicht, dass das zusammenhängt“, sagt Maria Kitzler von Österreichs größtem Milchverarbeiter Berglandmilch, der in 55 Länder liefert. Zwei der Berglandmilch-Werke sind seit Mai für russische Kunden blockiert – das betrifft vor allem Schärdinger-Hartkäse und Käse mit Wachsüberzug (Geheimratskäse). Die Bedingungen der Kontrollore seien zwar längst erfüllt. Dennoch heiße es weiterhin, die Sache sei „in Bearbeitung“. Kitzler hofft, dass bis Ende 2014 wieder geliefert werden kann. Beziffern kann sie den Umsatzausfall zwar nicht, er sei aber durchaus schmerzhaft. Russland ist ein wichtiger Markt.

„Es gibt immer wieder Diskussionen über Auflagen“, sagt Oskar Wawschinek von der Sparte Lebensmittel der Wirtschaftskammer. Oft liege das an Sprachbarrieren – oder an Normen, die schwer auf österreichische Verhältnisse umlegbar sind.

So berichten Schlachthöfe, dass russische Prüfer verlangen, dass im Umkreis von drei Kilometern der Fleischverarbeitung keine Tierhaltung stattfinden dürfe. „Das ist bei unserer kleinteiligen Landwirtschaft ein bisserl schwierig. Wir können den Bauernhöfen in der Nachbarschaft wohl kaum die Schweinehaltung verbieten“, sagt ein Betroffener.

Andere russische Richtlinien sehen laufende Überprüfungen für die Produkte vor, die bei uns eher unüblich sind – etwa Tests auf radioaktive Verstrahlung oder auf Antibiotika, die EU-weit verboten und somit gar nicht erhältlich sind. Das stößt auf Unverständnis: „Aus Russland rückt die Schweinepest immer bedrohlicher an uns heran, aber uns sekkiert man mit solchen Absurditäten“, klagt ein Betroffener.

Äpfel essen gegen Putin

Polen, der weltgrößte Exporteur von Äpfeln, ist von einem russischen Embargo für Obst und Gemüse betroffen. Mit dem Slogan „Iss Äpfel gegen Putin!“ greifen die Polen nun zur Selbsthilfe: Immer mehr Prominente lassen sich mit Apfel in der Hand fotografieren. Polens Präsidentenberater Stanislaw Koziej rief zur Unterstützung der Kampagne auf: Die Polen sollten zeigen, dass sie sich durch das Embargo nicht einschüchtern lassen.

Seit Donnerstag ist die Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Russland offiziell: Bis Donnerstag Vormittag wurde an den Details der Rechtstexte gefeilt, gegen Mittag erfolgte die Zustimmung der Regierungschefs im schriftlichen Umlaufverfahren, am Abend die Veröffentlichung im EU-Amtsblatt. Mit Freitag sind die neuen Sanktionen in Kraft.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sprach von einer "starken Warnung" an Russland: "Im Europa des 21. Jahrhunderts kann die illegale Annexion von Territorium und die absichtliche Destabilisierung eines souveränen Nachbarstaates nicht akzeptiert werden."

Neben einem Waffen-Embargo (ausgenommen sind Altverträge) hat sich die EU auch auf einen Export-Stopp von Hochtechnologie, u. a. zur Öl-Förderung, geeinigt. Zusätzlich wird der Zugang von russischen Banken, die mehrheitlich vom Staat gehalten werden, zu den europäischen Kapitalmärkten beschränkt.

Als erste Reaktion hat Moskau den EU-Staaten mit einer Erhöhung der Energiepreise gedroht.

Die 28 Regierungen der Europäischen Union haben heute Mittag die geplanten Wirtschaftssanktionen gegen Russland wie erwartet offiziell beschlossen. Sie treten am Freitag in Kraft. Mit den Sanktionen soll Russland dazu gebracht werden, die Unterstützung für die prorussischen Separatisten in der Ukraine zu stoppen.

Die Maßnahmen gegen Moskau treffen aber auch Österreichs Wirtschaft massiv. Offen ist zudem, wie Russlands Gegenmaßnahmen ausfallen – erste Anzeichen dafür gibt es bereits.

Mögliche Auswirkungen im Detail:

Fallen die Sanktionen auf Österreich zurück?
Ja. Es trifft Österreichs Wirtschaft im EU-Vergleich sogar "deutlich überdurchschnittlich", sagt Christian Helmenstein von der Industriellenvereinigung (IV). Im Vorjahr boomten die Russland-Exporte noch – das ist vorbei, die Sanktionen sorgen für ein sattes Minus. Die Wirtschaftskammer befürchtet einen Einbruch um 20 Prozent, bis zu 700 Mio. Euro weniger als im Rekordjahr 2013.

Wie viele österreichische Firmen sind betroffen?
Der Flaute kann sich kein Exporteur entziehen. Der Konflikt schadet somit 1200 Firmen, die mit Russland Geschäfte machen – davon haben 550 eigene Niederlassungen. Direkt treffen die EU-Sanktionen bis zu 160 Firmen. Das Exportverbot umfasst Neuverträge für Rüstungsgüter, militärisch und zivil nutzbares Gerät und Ölfördertechnologie. In diesen Bereichen hat Österreich zuletzt Waren um 125 Mio. Euro nach Russland exportiert – so weit die mögliche Schadenshöhe.

Kann man die gesamten Kosten beziffern?
Seriöse Studien gibt es nicht. EU-weit werden die Kosten mit 100 Mrd. Euro bis Ende 2015 veranschlagt. Allerdings hängt das davon ab, wie lange der Konflikt dauert und wie Russland reagiert.

Welche Firmen sind betroffen?
Grundsätzlich Hightech-Lieferanten, deren Produkte für Militärzwecke und für Ölbohrungen verwendet werden können. Laut Erste-Group-Analyse betrifft das Österreichs Börseunternehmen kaum. Die Umsatzanteile seien bei Andritz, bei Palfinger und der voestalpine, die Rohre für die South-Stream-Pipeline liefert, gering. Einigen Unternehmen könnten aber verschlechterte Beziehungen schaden: etwa KapschTraffic, die auf einen Maut-Auftrag wartet. Oder der Immofinanz, die Immobilien im Wert von 1,83 Mrd. Euro in Russland hat. Hohe Wertberichtigungen drohen.

Ist der Firmenstandort Österreich gefährdet?
Wien ist zur Ost-Drehscheibe für russische Firmen geworden. Nach dem Kauf der Volksbank International steuert Sberbank Europe von hier aus ein Netzwerk von 277 Filialen in 10 Ländern. An der Österreich-Tochter der VTB hängen die Bankgeschäfte in Frankreich und Deutschland. Dazu haben die Energiekonzerne Gazprom und Lukoil Niederlassungen gegründet. Dieser Wien-Bonus ist künftig in Gefahr.

Wie treffen die Sanktionen die Banken?
Die Bank Austria und Raiffeisen Bank International sind die acht- bzw. zehntgrößte Bank in Russland. Die EU-Sanktionen haben für ihre Geschäfte direkt keine Folgen, allerdings würde sie die geringere Kreditnachfrage treffen. Bisher war Russland für die Banken der größte Gewinnbringer – das steht auf dem Spiel. In Österreich sind von den Sanktionen die VTB Austria und Sberbank Europe umfasst. Ihr Kredit- und Einlagengeschäft sei wohl nicht betroffen, heißt es. Fraglich ist, ob sie Geld über Anleihen in Europa und den USA aufnehmen könnten. Die VTB-Mutter in Moskau erklärte mit Blick auf die US-Sanktionen, man sei zuversichtlich, neue Geldquellen zu finden. Die russischen Banken zapfen nun die Finanzmärkte in China und Südkorea an.

Wird Russland mit Gegenmaßnahmen kontern?
"Noch ist nichts bekannt", sagt der Wirtschaftsdelegierte Dietmar Fellner. Optimisten betonen, Russland könnte sich einen Wirtschaftskrieg nicht leisten. Allerdings gibt es Anzeichen, dass sich Moskau rüstet: In der Duma brachten Parlamentarier einen Gesetzesentwurf ein, der "Aggressorstaaten" droht. Die Zentralbank erhebt gerade, welche Ausländer bei Banken in Russland Geld liegen haben – was auf Kontosperren hindeutet.

Wie könnte die Retourkutsche aussehen?
Bisher benutzte Russland für Importstopps gerne einen Vorwand – wie verletzte Hygienestandards, was jüngst 15 österreichische Molkerei- und Fleischbetriebe zu spüren bekamen. Jetzt büßen niederländische und polnische Obstfirmen – die Lebensmittelaufsicht will Motten entdeckt haben. Zudem droht Russland bereits offen mit höheren Energiepreisen.

Was, wenn Moskau ausländische Firmen enteignet?
Das wäre die ärgste Eskalation der Sanktionsspirale. Aus Bankkreisen heißt es, so einfach könnte Russland Enteignungen nicht durchführen. Ausländische Banken würden im Gegenzug russische Spareinlagen blockieren. Unternehmen wie der börsenotierte Kartonagenhersteller Mayr-Melnhof betonen, sie seien gegen Politrisiken versichert – etwa über die Kontrollbank.