Komarek: "Stronach ist ein alt gewordenes Kind"
Von Simone Hoepke
In Krisenzeiten haben es Menschen mit "windigen Berufen" leichter, findet Komarek, der im Nachhinein froh ist, mit Ende 20 einen gut bezahlten Job verloren zu haben. Geld bedeute heute keine Sicherheit mehr für die nächste Generation. Und wütend machen ihn Politiker, die das Friedensprojekt der EU infrage stellen.
KURIER: Wie viele Bücher muss man eigentlich verkaufen, um in die österreichischen Bestsellerlisten zu kommen?
Alfred Komarek: Das kann man so nicht sagen. Im Oktober, wenn viele Bücher verkauft werden, etwa doppelt so viele wie im August. Da ist man mit ein bissl Glück schon ab 3000 Stück dabei. Als Autor sollte man die Bestsellerlisten aber nicht überbewerten, da wird viel getrickst. Reich werden aber die wenigsten Autoren. Jene im deutschsprachigen Raum kann man an seinen Fingern abzählen.
Hatten Sie Glück?
Rückblickend war es ein großes Glück, dass ich mit Ende zwanzig einen gut bezahlten Job beim Radio verloren und von einem Tag auf den anderen null verdient habe. Da hab ich – zu einem Zeitpunkt, als es pädagogisch noch wertvoll war, begriffen, dass man sich nicht von einem Arbeitgeber abhängig machen darf. Ich hab mich dann mit Werbetexten gerettet, für viele Zeitungen geschrieben, irgendwann sind Bücher dazugekommen und ich hab gewusst: Das passiert mir nicht noch mal. Im Nachhinein betrachtet ein großes Glück.
Was raten Sie jungen Unternehmern?
Hartnäckig bleiben, sich nicht um jeden Preis verkaufen. Ich hab jetzt leicht reden, weil ich seit 45 Jahren Angelhaken ins Wasser halte und statistisch gesehen eine höhere Wahrscheinlichkeit habe, dass ein Fisch anbeißt. Den Jungen sage ich aber auch, dass Talent allein nicht reicht. Die Leute müssen einen auch kennen und man muss für was stehen. Und es braucht eine profunde Skepsis gegenüber schnellen Erfolgen. Sie bedeuten nicht automatisch den Durchbruch. In Krisenzeiten tun sich Leute in windigen Berufen – Autoren, Schriftsteller, Filmemacher – glaub’ ich, leichter als andere.
Inwiefern?
Weil sie es gewohnt sind, Durststrecken zu überdauern. Jemand, der 40 Jahre im Vorstandsbüro gesessen ist, ist ja völlig fassungslos, wenn er seinen Job verliert.
Beunruhigt Sie die Euro-Krise?
Die Wirtschaftskrise 2008 hat mich aus der Bahn geworfen. Ein Blick auf mein Depot hat mir gezeigt, dass ich ärmer geworden bin, ohne etwas auszugeben. Heute schau ich mir die Berichte aus einer gewissen Distanz an, bin aber nicht der, der alles besser weiß. Ich denke, dass es weltweit keine Handvoll Leute gibt, die sich bei der Komplexität der Krise noch auskennen.
Ihre Schlüsse daraus?
Seinen Kindern eine Million Euro und damit Sicherheit zu hinterlassen, funktioniert so nicht mehr. Das beste Kapital für die Zukunft ist eine gute Ausbildung und gesundes Selbstvertrauen. Es dreht sich überhaupt vieles um. Was früher für arme Leut’ war, ist heute für moderne, reiche Leut’. Bio-Essen zum Beispiel ...
Haben Sie Angst um den Euro?
Nicht um den Euro, aber um die europäische Idee und das Friedensprojekt. Menschen wie HC Strache und Frank Stronach, die vorsätzlich und mutwillig bei diesem Gemeingut zündeln, würde ich gern ausrichten: "Geht’s zurück in die Steinzeit." Ich glaube, Stronach ist ein alt gewordenes Kind, dass sich mit der Politik ein neues Spielzeug gönnt. Ich halte ihn aber nicht für einen Bösewicht …
Sondern?
Es gibt viele gescheite, erfolgreiche Unternehmer, die wie Kinder ein Defizit an Anerkennung haben. In der Gesellschaft sind sie nur die Reichen. Das war schon zu Kaisers Zeiten so. Leute, die sich verdient gemacht haben, haben einen Titel bekommen, aber trotzdem nicht dazugehört. Im Urlaub sind sie wie der Adel auf den Semmering gefahren und haben dort viel Geld ausgegeben. Heute ist das nicht viel anders, nur fährt man nach Kitzbühel. Das ist ein perfekt inszeniertes Theater für Leute, die nicht wirklich oben sind. Eigentlich arme Figuren.
Sie haben ein Buch über den Semmering geschrieben, sich viel mit Bad Aussee und dem Weinviertel beschäftigt. Wie wirkt sich der Tourismus auf Regionen aus?
Katastrophen und Wunder liegen nah beieinander. Wer seine Identität verkauft, ist gefährdet. Kometenhaften Aufstiegen folgen kometenhafte Abstürze. Der Tross der Reichen und Schönen zieht weiter, wenn sich Moden ändern. Dem Semmering ging es so, als das Auto die Eisenbahn als Reisemittel abgelöst hat.
Kann sich das Ihrer Meinung nach wieder ändern?
Das Einzugsgebiet und die internationale Reputation sind groß, die Semmeringbahn Weltkulturerbe. Letzteres darf man speziell bei Touristen aus den USA und Asien nicht unterschätzen. Kommt der Semmeringtunnel, könnten auch wieder die alten Dampfloks mit Touristen über den Semmering fahren.
Wie beurteilen Sie die Hallstatt-Kopie in China?
Das ist eine fürchterliche Geschmacklosigkeit, aber die Hallstätter können damit nur gewinnen. Sie sind auf jeden Sommergast angewiesen und hoffen, dass nun mehr Chinesen kommen. Hallstatt wurde seinerzeit von der Salzindustrie hingeknallt. Dass es finster und kalt war, war dem Salzamt egal. Mit Romantik hatte das damals nichts zu tun. Dennoch haben viele ihre Häuser erhalten. Ich verstehe, dass sie keinen Denkmalschutz wollen, weil damit viele Verbote verbunden sind. Das würde enden wie in Venedig, wo heute niemand mehr leben will.
Andererseits passieren gerade in Tourismusregionen viele Bausünden …
Weil Investoren kommen, die sich als Wohltäter aufspielen. Die Bürgermeister, meist verschuldet und überfordert, fallen auf sie rein. Mit immer demselben Argument: neue Arbeitsplätze. Die Grünen protestieren, das ist jedem egal, weil sie immer dagegen sind, und am Ende kommt das böse Erwachen. Das wiederholt sich zigmal in Österreich. So wie in Bad Gastein, wo ein Investor den ganzen Ortskern gekauft hat und jetzt alles verfallen lässt. In Aussee wollen sie ein Parkhaus über die Traun bauen, das ist ja ein Wahnsinn. Ich bin deswegen schon mit halb Aussee über Kreuz, mit dem Bürgermeister aber noch per du. Das ist auch schon das Beste, was ich dazu sagen kann.
Haben Sie über die Piefke-Saga lachen können?
Sie wurde als Satire gemacht, fünf Jahre später waren Episoden davon Realität. Der Tourismus sucht Identität. Da diese oft verloren gegangen ist, muss er Kulissen hinstellen und Schauspieler holen, die zum Beispiel in Tiroler Tracht schuhplatteln. Vor dem Hintergrund bin ich gespannt, wie es mit den Kellergassen, die ein wirtschaftliches Auslaufmodell sind, weitergeht ...
Zur Person: Alfred Komarek
Österreich-Kenner Alfred Komarek, geboren 1945 in Bad Aussee, ist ein leiser aber scharfer Beobachter und ein Kenner der österreichischen Seele. Als Jus-Student fing er an, für Zeitungen zu schreiben, weil er Geld brauchte. Später arbeitete er fürs Radio und als Werbetexter. Sein jüngstes Buch über den Semmering ist im Haymon Verlag erschienen (17,90 Euro). Sein erster Kriminalroman "Polt muss weinen" wurde mit dem "Glauser" als bester deutschsprachiger Krimi des Jahres 1998 ausgezeichnet. Vier Polt-Romane wurden bisher verfilmt. Zuletzt schrieb er Drehbücher für die Reihe "Universum" und an den Dokumentationen "Wasserwege", "Der Stephansdom", "Leben im Stein", "Salzkammergut", "Schönbrunn" und "Weinviertel" mit. Gemeinsam mit Julian Pölsler erhielt Komarek 2002 die "Romy" für das beste Drehbuch. Als seinen Luxus bezeichnet Komarek seine drei Wohnsitze in Wien, Bad Aussee und im Weinviertel.
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