Kirche und Pensionskassen sollen Zypern vor Pleite retten
Von Panik kann auf Zypern noch keine Rede sein, aber die Nervosität wächst. Die Schlangen vor den bis Dienstag geschlossenen Banken werden immer länger, die Kreditanstalten kommen mit dem Nachbestücken der Bankomaten kaum nach. Die Bürger plagt die Sorge, wie es mit ihrem pleitebedrohten Inselstaat weitergeht.
Eigenleistung
Der Auftrag der Europäer und des Internationalen Währungsfonds (IWF) an Zypern ist klar: Das Land muss – zusätzlich zu geplanten 1,2 Milliarden Euro durch Steuererhöhungen und Privatisierungen – weitere 5,8 Milliarden Euro an Eigenleistung auftreiben. Wobei die EU klarstellte: Ein Kredit von Russland, mit dem Zypern eifrig verhandelte, werde nicht anerkannt. Es gelten ausschließlich Mittel, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Nur dann erhält die Insel von den internationalen Geldgebern ein in Aussicht gestelltes Zehn-Milliarden-Hilfspaket. Und die EZB würde die maroden Banken weiter am Leben erhalten.
Unter diesem Druck einigten sich die politischen Parteien in Nikosia auf einen Plan B: Ein „Solidaritäts“-Fonds mit Kapital der griechisch-orthodoxen Kirche, den staatlichen Pensionskassen und anderen Einrichtungen soll Staatsanleihen ausgeben. Auch die Goldreserven der zypriotischen Zentralbank sollen dazu beitragen. Damit, hofft Nikosia, sollen 4,8 Milliarden Euro zusammenkommen.
Unbestätigten Informationen zufolge soll die restliche Milliarde durch eine begrenzte Zwangsabgabe auf Bankeinlagen von über 100.000 Euro lukriert werden. Das Parlament will heute, Freitag, über das neue Rettungspaket abstimmen. Die EU-Finanzminister haben in einer Telefonkonferenz Donnerstag Abend über den zypriotischen Vorschlag beraten. Man zeigte sich skeptisch: Mit der Auflage zypriotischer Staatsanleihen – die erst noch Käufer finden müssen – drehe sich Zypern nur noch weiter in der Schuldenspirale. Die Wurzel des Problems werd e nach wie vor nicht auf Zypern gesucht.
Zudem dürfte das Zurückgreifen auf die Pensionskassen bei den Zyprioten für ähnlich große Aufregung und Wut sorgen wie zuvor die geplante Zwangsabgabe auf alle Sparguthaben.
Die Zentralbank von Zypern hat indes gestern erste konkrete Entscheidungen zur Sanierung angeschlagener Geschäftsbanken getroffen. Damit solle die Popular Bank (Laiki Bank), die zweitgrößte Bank der Insel, vor dem Zusammenbruch bewahrt werden, sagte der Chef der Zentralbank, Panikos Demetriades. Die Popular Bank wird in eine funktionsfähige und eine „Bad Bank“ aufgespalten.
Neue Empörung
Das Zurückgreifen auf die Pensionskassen sorgte bei den Zyprioten für ähnlich große Aufregung und Wut wie zuvor die Zwangsabgabe auf alle Sparguthaben. Die Wurzel des Problems wird nach wie vor nicht auf Zypern gesucht. Die Stimmung ist anti-europäisch.
Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem betonte im EU-Parlament: „Wir wollen einen fairen Deal, so schnell wie möglich.“ Es liege an Zypern, „neue Vorschläge zu machen. Der alte Deal ist nicht vom Tisch, weil wir wenig Alternativen sehen. Die einmalige Abgabe auf Einlagen ist aus Sicht der Eurogruppe unvermeidbar, aber wir sind offen für Alternativen, die fairer sind.“ Es sei nicht seine Idee gewesen, dass kleine Sparer mitzahlen müssen, „aber ich übernehme als Vorsitzender der Eurogruppe die volle Verantwortung“.
Wie sehr Kanzlerin Merkels Nervenstärke in der Zypernkrise gefordert ist, zeigen nicht nur die zyprischen Schmähungen von ihr als Reinkarnation Hitlers. SPD-Chef Sigmar Gabriels Vorwurf, der Aufstand zyprischer Sparer und die Verunsicherung in Europa trügen „die Handschrift Merkels“, sorgen auch für innenpolitischen Druck.
Merkel antwortet zwar auf beides nicht, ihre Leute lassen aber immer mehr Details zu den Verhandlungen durchsickern. Danach hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in der entscheidenden Sitzung der Eurogruppe wie die meisten nordeuropäischen Finanzminister zwar auf der Eigenleistung Zyperns von 5,8 Milliarden Euro bestanden. Zugleich hat er aber drei Mal ausdrücklich davor gewarnt, Sparkonten unter 100.000 Euro dafür heranzuziehen. Dies sei nur der Wille des zyprischen Präsidenten Anastasiadis gewesen, um russische Großanleger zu schonen, die sonst mehr hätten beitragen müssen.
Auch in der EZB liegen die Nerven blank: In seinem ersten Schreiduell mit EZB-Chef Marion Draghi hat der deutsche EZB-Direktor Jens Asmussen – obwohl Sozialdemokrat ein Vertrauter Merkels – dessen unbeschränkte weitere Finanzierung zweier quasi bankrotter zyprischer Banken mit frisch gedrucktem Geld verhindert. Draghis riskante Kredit-Hilfe für hoch verschuldete Euro-Südländer ist in Berlin ein Dauerthema. Trotz allen Drucks auf sie dringt Merkel weiter auf die Eigenleistung Zyperns, bevor sie Rettungsmaßnahmen mit dem 27-Prozent-Anteil an deutschem Steuergeld genehmigen will.
Das liegt auch an der zerstrittenen SPD: Während Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier Merkel bisher die Zustimmung der SPD im Bundestag versprach, so sie Zypern zur Eigenleistung zwinge, kritisierte SPD-Chef Sigmar Gabriel die Kanzlerin dafür – um damit im Wahlkampf zu punkten.
Dmitri Medwedew verzichtete zu Beginn der EU-Russland-Konferenz am Donnerstag in Moskau auf allzu viele diplomatische Floskeln. Stattdessen hielt er den Gästen aus Brüssel – Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso mit nicht weniger als 16 Kommissaren im Anhang – gleich einmal eine ordentliche Standpauke: „Wie ein Elefant im Porzellanladen“ führe sich die EU bei der Zypern-Rettung auf. Die Rettungspläne vom vergangenen Freitag seien „um es milde zu sagen, überraschend, absurd, grotesk“, polterte der Regierungschef. Und überhaupt: Wieso war Russland nicht früher davon unterrichtet?
Zumindest darauf wusste Barroso eine – entwaffnend ehrliche – Antwort: „Russland war nicht früher informiert, weil auch die Regierungen der EU nicht informiert waren.“
Pokern um Einfluss auf Zypern
Für Moskau ist das unprofessionelle Krisen-Management der EU ein gefundenes Fressen. Hilflos steht die EU bei der Zypern-Rettung vor dem Dilemma, auch russische (Schwarzgeld-)Milliarden mit europäischem Steuergeld zu retten – oder die Insel aus dem Euro und in die Arme des Kremls zu treiben. Dazu passt, dass Finanzminister Sarris nach dem „Nein“ des Parlaments zum EU-Hilfspaket in Moskau wegen Finanzhilfen vorsprach.
Für Russland geht es bei der Zypern-Rettung um Macht in einer heiklen Region – und Rohstoffe: Man könnte eine zypriotische Bank kaufen – oder Lizenzen zur Gasförderung vor der zypriotischen Küste.
Streitfragen Energie und Demokratie
Die Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau waren in der jüngeren Vergangenheit schwierig, zuletzt belastet vom Syrien-Konflikt: Während die EU ein Waffen-Embargo beschloss, sorgte Russland für Nachschub.
Seit Jahren gibt es zudem vor allem bei Fragen zu Energie und Demokratie offene Kritik. Russlands Regierende machen keinen Hehl daraus, dass sie es leid sind, auf „angebliche Probleme mit den Menschenrechten“ angesprochen zu werden. Auch ist man verärgert darüber, dass die EU versucht, Russlands Einfluss auf dem europäischen Energiemarkt zu begrenzen. So schreibt die EU etwa eine Trennung von Energie-Lieferanten und Leitungsbetreibern vor. Ein Hindernis für den Gasriesen Gazprom, gegen den Brüssel noch dazu ein Kartellverfahren eingeleitet hat.
Wie wenig Präsident Wladimir Putin von derlei Eurokratie hält, zeigte sich im Dezember in Brüssel. Barroso hatte bei der gemeinsamen Pressekonferenz gerade lange und diplomatisch erklärt, dass die EU nicht versuche, Gazprom zu behindern, sondern gleiche Regeln für alle durchzusetzen. Der Auftritt war vorbei, Barrosos Sprecher rief „Frohe Weihnachten“ in den Saal, als Putin sich das letzte Wort und Barroso den würdevollen Abgang nahm: „Mein lieber Freund Barroso argumentiert nur deshalb so detailliert und emotional, weil er eines weiß: Dass er unrecht hat.“
Zypern wird nicht pleitegehen, das wird verhindert werden können, nimmt Wifo-Chef Karl Aiginger an. Und IHS-Leiter Christian Keuschnigg wünscht sich ebenfalls: "Zur Pleite soll es nicht kommen."
Das Verhältnis zwischen einem Drittel Eigenleistung und zwei Dritteln Hilfskrediten von EU und lWF sei "gut". Falsch sei aber gewesen, dieses Thema in wenigen Stunden am vergangenen Freitagabend in großer Hektik zu verhandeln, ohne das betroffene Land wirklich einzubinden, kritisierte der Wifo-Chef bei einem Pressegespräch zur neuen Konjunkturprognose. "EU-Rat und EU-Kommission hätten das in Ruhe besprechen sollten mit den Abgeordneten Zyperns", das erfordere eine gute Vorbereitung und vierzehn Tage Zeit.
Spareinlagen auf Zypern bis zur Grenze von 100.000 Euro sollten verschont bleiben, betonte Aiginger und verwies dazu auf den entsprechenden europäischen Einlagenschutz bis zu dieser Höhe. "Den Einlegerschutz überhaupt anzutasten, war falsch, da ja gerade das Bankensystem des Landes krisenfester gemacht und ein Sturm auf die Institute verhindert werden soll", sagte der Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS) dazu.
Wäre die Bankenunion in Europa schon installiert, wäre das Zypern-Krisenmanagement viel leichter möglich gewesen, meinte Keuschnigg. Aiginger sieht dies ähnlich, er vermisst außerdem noch das Bankeninsolvenzrecht. "Europa hat sicher den Fehler gemacht, zu wenig Problembanken in die Insolvenz zu schicken", anders als die USA, meinte er. Zudem sei es "sicher auch ein schwerer Fehler gewesen, Zypern geteilt in die EU zu lassen". Der griechische Teil der Insel, um den es jetzt als Euro-Mitglied gehe, habe damals eine Lösung abgelehnt.
Wie die griechische Regierung das aktuelle Finanzierungsproblem löst - zu 10 Mrd. Euro Kredit über die EU-Kommission und 1 Mrd. vom IWF soll das Land ja 5,8 Mrd. Euro selbst beisteuern -, sei allein ihre Sache, sagt der Wifo-Chef. Es werde jetzt über einen "Plan B" verhandelt. Und wie viel etwa durch Privatisierungen oder eine Einbindung von Kirchenvermögen hereinkommen könne, "weiß ich nicht".
Eine Bestrafung der Eigentümer der zypriotischen Banken werde aber wohl nicht gehen, dafür stünden die Institute auf zu schwachen Beinen. Die zwei größten Banken des Inselstaates sollen faktisch zahlungsunfähig sein. Die EZB hat schon gedroht, ihre Nothilfe für die zypriotischen Banken nur bei Vorliegen eines Rettungsplans mit EU und IWF über den kommenden Montag hinaus aufrechtzuerhalten.
Ob und in welcher Form Zypern eine Einlagen-Besteuerung vornehme, sei Sache des Landes selbst. Letztlich gehe es um einen nationalen Beitrag "mit einer Verteilungsfunktion, die von allen als gerecht empfunden wird", betonte Aiginger. Allerdings habe das auch in anderen südeuropäischen Ländern nicht funktioniert, erinnerte er an Griechenland, Portugal und Spanien. Und auch dort hätten es die Länder verabsäumt, selbst zu sagen, welchen Reformprozess sie wollen. "Zypern muss sagen, wo sein Geschäftsmodell ist, wenn die Rolle mit fragwürdigen Finanzströmen verlorengeht", meinte der Wifo-Chef.