Wirtschaft/Karriere

Zukunftsforscher: „Wir haben einen Zukunftssprung gemacht“

KURIER: Die vergangenen Monate waren anstrengend. Wie sieht der Zukunftsforscher die nächsten Wochen?

Harry Gatterer: Die Erschöpfung ist nachvollziehbar. Wir haben eine Phase erlebt, in der wir alle in Situationen waren, die wir nicht gewohnt sind. Es war megaanstrengend. Wir mussten uns umstellen, hatten enorm viel Bildschirm-Zeit, die Kontakte waren reduziert, dazu die Sorge um den Job. Wir mussten viel kompensieren und improvisieren, weil die Routine fehlte. Das ist purer Stress. Die Menschen sind jetzt müde und haben keine Kraft mehr.

Das bedeutet für Juli und August?

Wir sehnen uns nach einem Urlaub und ahnen, dass dieser Urlaub uns nicht komplett erholen wird. Weil da gibt es auch noch die Ungewissheit, was weiter passieren wird. Wir erkennen, das ist alles nicht vorbei und das Leben ist nicht so, wie es einmal war.

Das Virus hat radikale Veränderungen auf vielen Ebenen gleichzeitig ausgelöst.

Ja, wir haben bei vielen Themen einen Zukunftssprung gemacht. Haben sie der Zukunft entrissen und in die Realität geholt. Etwa die Technologie oder die Digitalisierung. Mit der Zukunft müssen wir uns jetzt völlig neu auseinandersetzen. Es geht viel um Resilienz und Zweck – wie macht man sich selbst und ein Unternehmen krisenfest, welchen Sinn verfolgt unser Tun.

Aus einer schleichenden Veränderung, aus punktuellen Disruptionen wurde durch Corona ein Erdbeben.

Alle Systeme der Gesellschaft waren gleichzeitig betroffen, alles war plötzlich auf Stopp. Das hat diese Krise so radikal gemacht. Strukturen lösen sich auf, werden verändert – und wenn sie wieder aufgebaut werden, setzen sie sich anders zusammen.

Wie lange braucht es, um ein System neu aufzubauen?

Da uns das Außen einen relativ hohen Druck vorgibt, werden wir ein bis eineinhalb Jahre brauchen, um uns in der neuen Welt zurechtzufinden. Die Frage ist: Kann man das Gestern schnell verabschieden, das Denken ändern, und den Zukunftssprung machen. Die Schnellen machen das in ein, zwei Monaten – das macht den Unterschied aus.

Was uns die Corona-Krise gezeigt hat, ist, wie sehr die digitale Welt Teil unseres Leben ist.

Und wie. Wer jetzt noch von einer Digitalstrategie für die Zukunft redet, hat die Welt nicht verstanden. Wir schreiben dem Digitalen gerne einen Zukunftsmythos zu – und drücken es damit aus der Gegenwart von uns weg.

Ihre Vorhersage Mitte März war, wir kommen da nie wieder raus. Bleiben Sie dabei?

Völlig. Wir haben einen Zukunftssprung gemacht, durch Corona ausgelöst. Der ist nicht schön und war nicht gewollt, aber er ist da. Jetzt sind wir in einem Zustand der Verarbeitung, sortieren uns neu. Wenn wir damit fertig sind, ist die Welt garantiert nicht mehr so wie 2019.

Was macht so ein X-Event, das alles verändert, für den Job des Zukunftsforschers?

In Krisen erkennt man, was funktioniert und was nicht. Gleichzeitig merkt man, welche Dinge sich beschleunigen und eine Dynamik kriegen. Wenn wir also Zukunft erforschen, schauen wir uns Dynamiken in diversen Bereichen an. Und ziehen daraus unsere Schlüsse.

Wenn sich die Welt radikal verändert, wie wissen wir, was zu tun ist und was richtig ist? Unsere Erfahrungen von früher helfen da wohl nur bedingt weiter.

Indem wir in einen intensiven Austausch gehen. Viel lernen. Es ist ein unheimlich intensiver Lernmodus – man lernt überhaupt nie so viel wie in einer Krise. Das ist die Zeit der Unternehmer: Wer jetzt einen Schritt nach vorne macht, ist gegenüber jenen, die auf der Stelle treten oder gar einen Schritt zurücksteigen, enorm im Vorteil. Es ist eine Zeit der Möglichkeiten, allerdings im Kontext der Unsicherheit. Das macht es so schwierig.

Jede Bewegung hat auch eine Gegenbewegung. Wenn wir jetzt stark isoliert sind, das Digitale so präsent ist, folgt dann wieder die Zeit des Menschlichen, des Miteinanders?

Wir werden die Zukunft menschlicher machen, das glaube ich schon. Die nahe Zukunft könnte stark humanistisch geprägt sein, eben weil die Technologie in die Gegenwart gerutscht ist.