Wirtschaft/Karriere

„Wir sind ja keine Affen im Zoo“

KURIER: In Ihrem neuen Dokumentarfilm „Kick out your Boss“ porträtieren Sie drei Firmen, die ohne strenge Hierarchien und Zwängen auskommen. Wie kam’s zum Film?
Elisabeth Scharang: Naja, ich arbeite eben. Ich mache meine Arbeit sehr gerne und trotzdem geht es mir nicht immer gut damit.

Was ist der Grund?
Überforderung, Erwartungen von außen, die man nicht erfüllen kann, wodurch man Stress hat und viel zu viel arbeitet und kein Ende findet, existenzielle Sorgen. Irgendwann bin ich aber stehen geblieben und dachte, es muss Leute geben, die andere Wege gehen. Ich habe über Ricardo Semler, (Mehrheitseigner von Semco, für die radikale Demokratisierung des Unternehmens bekannt, Anm.) gelesen und dachte, dass klingt nach Schlaraffenland. Ich wollte natürlich wissen, ob es Schlaraffenland wirklich gibt und bin nach Brasilien gefahren.

Was war Ihr Eindruck?
Ich war unglaublich erstaunt, dass es tatsächlich eine Firma gibt, die einfach die Türen öffnet und sagt: Macht’s halt. Redet mit wem ihr wollt, wer Zeit und Lust hat.

Wo waren die Chefs?
Ich habe die ersten zwei Tage nicht gewusst, wer der Chef ist, weil er kein eigenes Büro hat und sich auch nicht bemüßigt gefühlt hat, sich als Gesicht der Firma aufzudrängen. Dort war eine unglaubliche Offenheit.

Ihr Film zeichnet ein sehr positives Bild: Der Industriebetrieb Semco, die Designagentur En Garde und die Pharmafirma Jugoremedija, die alle alternative Arbeitsmodelle mit viel Selbstbestimmung leben – kein Haken?
Die Grundhaltung „wo ist der Haken“ kenne ich. Aber es gab keinen. Die Leute bei Semco haben es einfach nicht als ihre Aufgabe gesehen, mich zu überzeugen, dass es ihnen gut geht. Nach dem Motto: Wir sind ja keine Affen im Zoo. Und wir müssen keine Werbung machen. Man versteht, wieso die Leute gern dort sind: Weil du ernst genommen wirst, weil du Respekt hast, weil du Selbstverantwortung bieten musst. Je nach deinen Lebensumständen kannst du dort wachsen und dich neu einrichten, wechseln. Auch wenn du in einer Führungsposition warst, kannst du wechseln, ohne dass du einen Gesichtsverlust hast. Das ist in den meisten Firmen nicht möglich. Da steigst du unflexibel eine Leiter empor. Das ist gar nicht mit deinem Leben abgestimmt.

Viele haben Zweifel, dass es möglich ist profitabel zu sein, wenn jeder tut, was er will.
Im Gegenteil. Es ist eher ein Wunder, dass es bei uns noch funktioniert, bei all den Ausfällen und Widerständen, die die Leute verständlicherweise mitbringen.

Nicht alle Chefs werden sich selbst rauskicken.
Ich habe ja auch kein Problem mit Chefs. Ich finde es gut, wenn Leute Verantwortung übernehmen. Womit ich ein Problem habe, sind Chefs, die so eingesetzt werden, dass sich ein sozialer Abstand ergibt – wie das Büro im 5. Stock mit Vorzimmerdame und der Parkplatz vor der Tür. Das löst Ungleichheit und Ungerechtigkeit aus. Die Zeiten der fetten Parkplätze werden irgendwann vorbei sein. Aber es geht nicht darum, Hierarchien abzuschaffen, sondern darum, wie man Hierarchie sieht und lebt.

Kann man diese alternativen Arbeitsmodelle, die Sie bei den drei Firmen gesehen haben, auf den gesamten Arbeitsmarkt übertragen?
Ganz sicher. Aber das bedeutet, dass man diese Angst, Fehler zu machen und die falschen Entscheidungen zu treffen, loswerden muss. Arbeit darf dich nicht krank machen – weil dich der Chef oder die Kollegen schlecht behandeln oder sie dir überhaupt keine Freude macht. Ist das der Fall, muss man schauen, ob man dort etwas verändern kann – manchmal sind nur kleine Schritte notwendig. Das ist auch ein Stück Eigenverantwortung. In Betrieben ist es letztlich oft so, dass die Leute viel jammern, aber keine Verantwortung übernehmen wollen.

Wie haben die Protagonisten reagiert, als sie den Film zum ersten Mal gesehen haben?
Die Premiere bei der Diagonale in Graz war total emotional, weil Leute von En Garde da waren, wo sich seither viel getan hat. Mario Rampitsch, einer der Gründer von En Garde und Geschäftsführer, hat schon während der Dreharbeiten für sich beschlossen, dass er nicht Geschäftsführer sein will. Er hat seine Anteile hergegeben und macht jetzt Stadtentwicklung in seinem Heimatort. Das find’ ich irgendwie schön. Das ist, als würdest du ein Kaffeehaus aufmachen, weil du das immer wolltest. Das geht auch gut, aber du musst nicht die nächsten 40 Jahre im Kaffeehaus zu sitzen – du kannst weitergehen. Ich glaube, dass viele Leute gewisse Schritte nicht machen, weil sie sie Angst haben, dass es ihnen nicht taugt. Aber dann kann man weitergehen.

Geboren 1969 in Bruck/Mur, lebt und arbeitet Elisabeth Scharang als Drehbuchautorin, Filmemacherin
und Radiomoderatorin in Wien. Die Autodidaktin ist seit siebzehn Jahren als Dokumentarfilmerin durch alle Genres und Kontinente unterwegs. In ihrer neuen Dokumentation „Kick out your Boss“ stellt sie drei alternative Unternehmensmodelle in Brasilien, Serbien und Österreich vor, die den Begriff der Arbeit neu definieren, mit Hierarchien brechen und Selbstbestimmtheit und -verantwortung leben. Der Film läuft derzeit in den Kinos – in Wien im Admiral Kino.