Wirtschaft/Karriere

Neuanfang am Ende der Flucht

Herr Watzek hat Jause mitgebracht. Für seinen Lieblingsverkäufer im T-Mobile-Shop in Wien-Favoriten. Er kommt jedes Monat. Tamim Bahadori lächelt, zeigt ihm ein Handymodell. „Wegen solchen Kunden liebe ich meinen Job“, sagt er.

Der 22-jährige Afghane hat seine Lehre bei T-Mobile soeben mit Auszeichnung abgeschlossen. Dabei hatte er einen viel schwierigeren Start als seine österreichischen Kollegen. Im Alter von 17 Jahren flüchtete er in einer dreimonatigen Odyssee von Afghanistan über Griechenland und Italien nach Österreich. Ganz allein floh er vor den Schrecken des Krieges. „Ich bin geflüchtet, weil ich mich selbst und meine Zukunft retten wollte“, sagt er. Wie er seinen Lebensmut bewahrt hat, erklärt der junge Mann mit einem afghanischen Sprichwort: „Der Berg ist hoch, aber es gibt einen Weg hinauf.“

Ein Jahr lang suchte Tamim Bahadori über das AMS eine Ausbildung – erfolglos. Über einen Freund kam er schließlich zum gemeinnützigen Verein lobby.16, der junge unbegleitete Flüchtlinge bei der Integration auf dem Arbeitsmarkt unterstützt, für sie bei Firmen lobbyiert.

Die Kooperation von T-Mobile und lobby.16 geht bereits ins vierte Jahr. Über die Leerstellen im Lebenslauf und die mangelnden Deutschkenntnisse sah man beim Konzern bewusst weg, sagt Joachim Burger, Personalchef bei T-Mobile: „Wir unterstützen lobby.16, um solche Lücken bei den jugendlichen Flüchtlingen zu schließen, die wir als Lehrlinge aufnehmen.“ Das anfangs mangelhafte Deutsch war für Tamim Bahadori nach zwei Monaten im Verkauf kein Problem mehr. Der Konzern fühlt sich bestätigt: Zwei der drei Lehrlinge mit Flüchtlingsstatus – darunter Bahadori – sind heuer Jahrgangsbeste.

Kaum Drop-out

186 Jugendliche hat der gemeinnützige Verein im Jahr 2012 betreut, ihnen Berufsorientierung geboten. Seit 2010 wurden insgesamt 72 Lehrlinge an Firmen wie die ÖBB und Kapsch vermittelt, nur vier haben die Lehre abgebrochen, ist Geschäftsführerin Veronika Krainz stolz: „Ich finde es schön zu sehen, wie sie ihren Weg gehen.“ Seit 2012 bietet lobby.16 das fünfmonatige Förderprogramm „Bildungswege“ an: Die Flüchtlinge erhalten Deutsch-, Mathe- und Englischkurse, die sie für eine Lehrstelle qualifizieren.

Die Jugendlichen kommen meist über Mundpropaganda, über Freunde zu lobby.16.So war es auch bei Youssef Gazraui. Er flüchtete mit 18 Jahren aus dem Irak, holte hier den Hauptschulabschluss nach, schlug sich als Kellner und Verkäufer durch. Im Herbst 2011 begann er seine Lehre als Hotel-Gastgewerbeassistent bei NH Hoteles. „Ich wollte unbedingt eine Ausbildung machen“, sagt er. Er und Tamim Bahadori bringen ihren Arbeitgebern einen unbezahlbaren Mehrwert – nämlich ihre Sprachkenntnisse. Während Bahadori seine Kunden auf Persisch und Urdu berät, spricht Youssef Gazraui fließend Arabisch. Ein immenser Vorteil, der die Kollegen entlastet, sagt NH Wien Deputy Manager Alexandra Rassl: „Im Sommer haben wir sehr viele arabische Gäste. Sie lieben Youssef. “

Die beiden jungen Männer haben ihre Zukunft wiedergefunden. Tamim Bahadori möchte später Ingenieurswesen studieren, „dann meine eigene Firma gründen“, Youssef Gazraui will künftig als Rezeptionist arbeiten.

Andere haben diese Chance nicht, sagt Veronika Krainz: „Wir müssen viele Jugendliche wegschicken.“ Von der Bildungspolitik wünscht sie sich mehr Einsatz. Zurzeit erstellt sie ein Positionspapier – ihr Projekt soll als Modell dienen.

lobby.16

Der gemeinnützige Verein wurde 2008 von KURIER-Journalistin Irmgard Kischko, Veronika Krainz, Doris Lücking und Christian Nitschmann gegründet. Er vermittelt unbegleitete junge Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt.

Projekt „Bildungswege“

2010 hat lobby.16 das Projekt „Bildungswege“ initiiert. Ehrenamtliche Nachhilfelehrer unterstützen die Jugendlichen. Seit 2012 erhalten angehende Lehrlinge im fünfmonatigen Programm Deutsch-, Mathe- und Englischkurse, finanziert von der Stiftung Sinnstifter. T-Mobile bietet Praxistage und Mentoren.