Wenn Manager meditieren
Von Nicole Thurn
Ich platze mit einem fröhlichen "Guten Morgen" in den "Donau-"Raum" im Benediktinerstift Göttweig, das hoch über Krems thront. Er ist leer, vom Nebenraum eilt Friedhelm Boschert herbei und flüstert: "Wir haben gerade die Morgen-Meditation." Er führt mich in den Nebenraum. Fünf Männer sitzen im Kreis, es ist so still, dass man ein Taschentuch fallen hören könnte. Ich setze mich auf einen Stuhl, schließe die Augen. Die Stille umfängt mich, im alten Gemäuer schlummert wohl die selige Ruhe. Zwei Minuten später sitzen wir im Donau-Raum, wo der Beamer "Sich selbst führen – Ressourcen besser nutzen" an die Wand wirft. Wir – das sind ein Unternehmer, ein PR-Manager, ein Personalchef, ein Abteilungsleiter, ein Pater und ich – wollen erfahren, wie das geht.
Innen beginnen
"Wir stehen in der Wirtschaft vor einem fundamentalen Wandel", sagt Friedhelm Boschert, Leiter des International Institute for Leadership and Meditation in Wien. Die Gesellschaft werde mehr berücksichtigt, die Führungskräfte müssten sich stärker in die Lebenswelt der anderen hineinversetzen. Der Mann mit dem freundlichen Lächeln und dem Silberhaar zitiert Lao Tse und Goethe, um uns klar zu machen, wie wichtig die Beschäftigung mit dem Inneren ist, denn: "Wir führen Mitarbeiter nicht über Zahlen und Worte, sondern über unsere innere Haltung." Erst wer sich selbst reflektiere, könne seinen Mitarbeitern Wertschätzung entgegenbringen. Das bringe Vertrauenskultur – und Erfolg.
Boscherts Seminar basiert auf dem Ansatz des "Presencing" von Ökonom Otto Scharmer, der am MIT in Boston lehrt. "Presencing" verbindet als Grundlage von Leadership Gegenwart (Presence) und Spüren (Sensing). Klingt abstrakt. Laut Otto Scharmer ist das sogenannte "Downloading", also das Abrufen von bisherigem Wissen in der heutigen komplexen Welt nicht mehr zielführend. Besser: Die inneren Schubladen ausräumen, den Wahrnehmungsfilter lüften und alte Vorstellungen loslassen. Nur mit dem Kopf zu führen, reiche nicht – auch Herz und Bauch gehören dazu. Um komplexe Entwicklungen zu erfassen, sollten Führungskräfte ihre Intuition schulen.
Und das tut man durch Beobachten und Wahrnehmen, erklärt Boschert. Also machen wir eine Atemübung, spüren hin, wie der Atem in die Nase ein- und ausströmt. Ich muss aufpassen, dass ich nicht einschlafe. Dann sollen wir uns im Loslassen von Gedanken üben.
An nichts denken funktioniert nicht. Hundert Gedankenfetzen stattdessen: Ich muss tanken, ich muss den Herrn C. anrufen, ich muss den Fotografen für das Interview bestellen.
Wir sollen die Gedanken ziehen lassen. Sie formen sich in meiner Vorstellung zu Glaskugeln mit Bildern. Ich sehe die Tankstelle in der einen Glaskugel vorbeiziehen, Herrn C. in der nächsten. Plötzlich kann ich die Gedanken nicht mehr denken. Gar nicht schlecht, denke ich. "Meditation", mahnt Boschert, "ist keine Beruhigungspille." Er spricht sonst lieber von Achtsamkeitstrainings, das klinge weniger esoterisch.
Esoterisch mutet das alles nicht an. Es ist eine Wahrnehmungsschulung, besonders, als jeder von uns drei Cranberries verkosten muss. Die erste wie üblich, sie schmeckt süß und sauer, wenig überraschend. Die zweite sollen wir am Gaumen entlanggleiten lassen, langsam zerbeißen, genießen. Die süße Säure fährt ins Gehirn, der Geschmack ist intensiver. Bei der dritten entscheide ich mich für die Genussvariante. Das sollte man mit allen guten Momenten machen, denke ich.
Zwischendurch schreibt jeder seine Eindrücke in sein schwarzes Reisebuch, das wir bekommen haben. Dann üben wir in Zweierteams beim Hofspaziergang das aktive Zuhören – ohne zu urteilen. Wir sprechen darüber, was uns im Job Energie raubt und bringt. Je länger ich zuhöre, desto gesprächiger wird mein Gesprächspartner. Umgekehrt ist es ungewohnt, dass der andere zuhört, ohne seinen Senf dazuzugeben.
Gedachte Zukunft
Schließlich sollen wir unser Inneres mit unserer Zukunft verbinden. Auch dazu hat Boschert eine Übung parat. Er führt uns gedanklich zu einer Tür, hinter der sich unsere Zukunft eröffnet. Danach stellt er Fragen, die wir mit intuitivem Schreiben in unser Reisebuch beantworten. Was tust du in der Zukunft? Was brauchst du, um es umzusetzen? Als hätte jemand einen Korken aus meinem Gehirn gezogen, fließen die Gedanken. In wenigen Minuten schreibe ich vier Seiten voll.
Am Ende lächeln wir gelöst. Und ratlos. Wie soll man das in den Führungsalltag integrieren? Herr Boschert rät uns zu zehn Minuten Achtsamkeit pro Tag – das schärfe die Intuition. Die unachtsamen Kopfmenschen wird das Seminar nicht ansprechen, sage ich. Willkommen zurück im Kopfdenken.
Friedhelm Boschert ist Gründer des International Institute for Leadership and Meditation. Er hat 20 Jahre internationale Führungserfahrung in Großunternehmen gesammelt und war fünf Jahre als Vorstand sowie zehn Jahre CEO in Banken tätig, unter anderem bei der DZ Bank. Damals führte er Executive Training- und ZEN-Leadership-Programme mit eigenen Führungskräften durch. Boschert meditiert seit 1996 und ist zertifizierter Meditationslehrer. Zudem ist er als Lektor an der IMC FH Krems für Unternehmensführung tätig.
Publikation Im Jahr 2010 hat er das Buch: „Sich selbst führen. und dann die anderen“ publiziert.