Vom Außenseiter zum Millionär
Von Andrea Hlinka
KURIER: "Du, lieber Jens, bist merkwürdig, anders und nicht normal" – das, so schreiben Sie in Ihrem Buch, hat Ihnen die Umwelt lange Zeit vermittelt. Würden Sie sich heute als "normal" bezeichnen?
Jens Hilbert: Aus meinem Blickwinkel der Welt bin ich normal – auch wenn ich meinen Blumenanzug trage. Es ist immer subjektiv, was als Normalität empfunden wird. Bill Gates würde mich wahrscheinlich als Hartz-IV-Empfänger bezeichnen, aber ich bin für mich sehr reich – nicht nur finanziell.
Sie haben das Unternehmen hairfree gegründet. Ist es als Homosexueller schwieriger, sich in der Wirtschaft zu etablieren?
Ich behaupte ja. In der Unterhaltungsbranche ist es ja vielleicht ganz interessant. Ich bin auch in der Schönheitsbranche, habe 400 weibliche Mitarbeiter – da ist es auch anders. Im Finanzsektor oder in der Politik ist es nach wie vor schwierig – und überall, wo man vermeintlich männliche Rituale hat, zum Beispiel am Golfplatz.
Können Sie die Vorbehalte nachvollziehen?
Ich kann nachvollziehen, dass jeder Mensch bewertet und wertet – jeder aus seiner Prägung heraus. Wenn ich aus einem streng katholischen Ort komme, bin ich 20 Jahre lang davon geprägt worden, dass Schwulsein schlecht ist. Für mich etwa ist Conchita Wurst eine Herausforderung mit ihren Brüsten, dem Vollbart und einem Penis. Ich frage mich, wieso sie diese Sexualität hat. Genauso denken andere auch über mich.
Sie sind in einem 600-Einwohner-Ort in Deutschland aufgewachsen – wie war das für Sie?
Aus einem kleinen Dorf kommend wusste ich nicht, was Schwulsein ist. In meinem Umfeld gab es keine Community. Meine Eltern haben bemerkt, dass ich lieber mit Puppen spiele als Fußball, haben meine Attitüden gesehen. In der Schule wurde ich bespuckt und als blöde Tunte beschimpft.
Was haben Sie dagegen getan?
Ich habe Schule gewechselt. Ich konnte in meiner Schulzeit nie ein positives Selbstbild aufbauen, wollte unsichtbar sein, weil ich immer ausgegrenzt wurde. Ich wusste nicht warum, weil ich doch nicht anders sein konnte, als ich eben war. Mit zwölf, 13 hatte ich Selbstmordgedanken. Danach kam die Phase der Dominanz: Ich wollte nicht mehr Opfer sein und habe begonnen um mich zu schlagen – auch nicht gut. Ich habe zurückgeschrien und geschimpft, mich geprügelt. Am Ende des Tages war ich jedoch wieder einsam: Mir hat zwar keiner mehr ans Bein gepinkelt, aber es wollte auch niemand mit mir befreundet sein.
Wann haben Sie begonnen, sich so zu akzeptieren, wie Sie sind?
Ich habe zwar schon früh begonnen, mich mit Psychologie zu beschäftigen, aber erst Anfang 20 konnte ich meine Andersartigkeit als Einzigartigkeit erkennen und bin damit in die Offensive gegangen. Ich dachte mir: "Trag doch einen pinken Anzug, wenn er dir gefällt. Geh auf die Menschen zu und frage sie, wieso sie dich erniedrigen." Das habe ich getan und ruck zuck waren die Argumente vom Tisch. Das ist heute auch mein Geschäftsmodell: Wir akquirieren Kunden ausschließlich auf der Straße, gehen auf sie zu, reden mit ihnen.
Sie fallen überall auf – nervt Sie das nicht?
Nein. Wenn ich bei der Fashion Week in New York auffalle und fotografiert werde, kann das nur förderlich für meine Karriere sein und für mein Glücksgefühl, wenn ich Lob von außen bekomme. Ich habe keine Angst vor Prominenz und Status. Außerdem macht mich Mode und Fashion einfach happy. Wenn jemand sagt, dass mein Blumenanzug scheiße ist, sage ich "okay, ich versteh’ dich, aber ich bin da anderer Meinung".
Und trotzdem tragen Sie manchmal auch Nadelstreif. Wie sehr bleiben Sie also wirklich bei sich?
Ich gebe zu, dass ich auch einen Gang zurückschalten kann, wenn es für mich Sinn macht. Aber bitte, mein Anzug ist skinny geschnitten und ich trage rote Schuhe dazu.
Für wen wollen Sie eigentlich ein Vorbild sein?
Ich würde gerne eine Vorbild für all jene sein, die von ihrer Umwelt gesagt bekommen: Du bist nichts, du kannst nichts, du wirst nichts schaffen. Ich habe lange die Träume meiner Umwelt geträumt, aber ich habe das Ruder herumgerissen. Ich stelle zum Beispiel nicht unter 45 Jahren ein. Manche meiner Mitarbeiterinnen waren jahrelang Hausfrau, wurden vom Mann verlassen, wollen wieder zu arbeiten beginnen. Aus diesen Pflänzchen mit wenig Selbstvertrauen mache ich starke Frauen. Ich möchte demnächst eine Stiftung gründen, die gehänselte Kinder in der Schule mit der Klassengemeinschaft zusammenführt.
Wer ist Ihr Vorbild?
Ich habe viele, ich kopiere von den Besten: Von Karl Lagerfeld den hohen Hemdkragen, von Donald Trump Immobilientipps, von Richard Branson sein visionäres Denken und von Heidi Klum, der Mittelmäßigkeit vorgeworfen wird, dass sie es zu Weltruhm geschafft hat. Ich versuche zu lernen. Ich habe immer einen Stift dabei, bin immer demütig.
Jens Hilbert (35) ist in einem 600-Einwohner-Dorf im deutschen Odenwald aufgewachsen. Er machte sein Abitur und studierte Betriebswirtschaft, um dann einen mutigen Schritt zu wagen: Er wurde Geschäftsmann – gründete 2004 das Unternehmen "hairfree" mit Sitz in Frankfurt, das dauerhafte Haarentfernung per Laser bietet. Zehn Jahre später arbeitet hairfree mit 70 Instituten und gesamt 400 Mitarbeitern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Jahresumsatz ist im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich. In seinem Buch „Den Mutigen gehört die Welt“, erschienen im Redline-Verlag, erzählt er von Hürden und seinem Aufstieg.