Unbezahlbare Investition
Von Andrea Hlinka
Katharina drängt sich mit drei Buben auf einer kleinen Plattform in den Baumwipfeln. Sie geht in die Knie, muss nur den Impuls setzen, um mit Karabinern gesichert ein Seil entlang durch den Blätterwald zu sausen. Sie zögert. Die Höhe, die von unten keine Wirkung hat, fordert oben nun doch ihren Respekt. "You can do it, go", ermutigen sie die Bubenstimmen von hinten. Einen Augenblick später saust sie davon.
Die symbolträchtige Situation, die sich da in zehn Meter Höhe über dem Waldboden zuträgt, zeigt: Dass Gebrauchtwerden gerne die Seiten wechselt.
Katharina ruft, unten angekommen nach oben, zum Nächsten in der Reihe: "Are you safe?" Sie checken gegenseitig, ob die Karabiner zugeschnappt sind – "Yes!" – und einer nach dem anderen saust Richtung Katharina. Die Buben sind fast so groß wie Katharina, aber wohl nicht älter als zwölf. Sie lachen, sie jubeln, sie wollen übermütig zum nächsten Parcour. "Boys, we will choose an easier one now", sagt Katharina. "Please a big one", sagen sie. Katharina lächelt und es ist absehbar: Es wird doch nicht der Wichtelparcour.
Zertifiziertes Engagement
Katharina ist Anfang 20 und verbringt, gemeinsam mit ihren drei Samsung-Traineekollegen Elisabeth, Nina und Johannes, einen Tag mit 15 jugendlichen Flüchtlingskindern aus verschiedenen Ländern im Waldseilpark Kahlenberg.
Die Idee stammt von der youngCaritas: Sie verknüpft und organisiert im Rahmen des sogenannten Sozialzertifikats Lehrlinge und Trainees von Unternehmen mit Randgruppen. So sollen sie ihre sozialen Kompetenzen weiter entfalten und den eigenen Erfahrungshorizont erweitern. Agnesa Isufi von der youngCaritas sagt: "Es macht einen großen Unterschied, wenn soziales Engagement vom Unternehmen unterstützt wird. Am Ende profitieren alle davon." In welchem Ausmaß und Rahmen die Zusammenarbeit stattfindet, wird mit dem Unternehmen individuell vereinbart. Am Ende des Programms, das auch über mehrere Lehrjahre laufen kann, halten sie ein Zertifikat in den Händen, das ihre sozialen Kompetenzen bescheinigt.
Samsung stellt den Trainees für das Projekt mit der youngCaritas fünf Arbeitstage zur Verfügung: Die Vier nahmen im Frühjahr an einem Workshop zum Thema Asyl und Flucht teil, machten sich ein Bild von den Lebensumständen der Flüchtlingskinder im Haus Karwan, erdachten und planten den Ausflug in den Waldseilpark. Am Dienstag holten sie die Kinder gemeinsam mit Agnesa Isufi und zwei Ehrenamtlichen in der Früh ab und kauften eine Jause.
Als Mensch wachsen
Die Klettereinführung wird von Elisabeth ins Englische und von einem Mädchen ins Arabische übersetzt. Überraschenderweise haben alle das Gurtzeug völlig korrekt angelegt. Manche der Kinder sind erst Anfang August nach Österreich gekommen und sprechen noch wenig Deutsch. Zu Beginn des Tages trauen sich manche von ihnen nicht, ihren Wortschatz zu gebrauchen. Nach einigen Stunden gemeinsamen Kletterns verwenden sie alle Worte die sie kennen – das Vertrauen ist groß, alle Strapazen, die sie in den vergangenen Monaten durchleben mussten, für diese Stunden vergessen. Es ist schon bemerkenswert, dass sie mit diesen Stunden des Vergessens, den Trainees eine unvergessliche Zeit schenken. Und unbezahlbare Erfahrungen.