"Tiefer fallen geht kaum noch"
Von Nicole Thurn
Er sagt von sich, er sei eine Edelfeder gewesen, ein Journalist, der sogar Hollywood-Stars auf dem Luxus-Sofa interviewte. Dann kam die Finanzkrise, er wurde freigesetzt, war zu alt und zu teuer. Nach einem halben Jahr Jobsuche fand er sich vorm Ledersofa wieder – in einem deutschen Möbelhaus. Im Tatsachenroman "Möbelhaus", schreibt er in amüsant-bissigem Ton vom Verkäuferkrieg zwischen Polstermöbeln, von herrischen Kunden, intriganten Kollegen und vom ausbeuterischen Chef.
Sein Pseudonym – mit Anlehnung an den großen Reporter Egon Erwin Kisch – ist das einzige, das ihm vom Journalismus geblieben ist.
KURIER: Sie waren ein halbes Jahr arbeitslos. Warum hat Sie Ihr Netzwerk nicht aufgefangen?
Robert Kisch: Weil ich das Netzwerk nicht hatte. Ich bin die Spitze des Eisbergs, es gibt viele Freie, die nicht vom Journalismus leben können. Mir ging es um Festanstellung. Allein hätte ich mich durchgeschlagen, aber ich habe einen Sohn. Als sogenannte Edelfeder bin ich in meinem Repertoire eingeschränkt: Ich bin kein Fachjournalist, kann nett schreiben, das ist nicht überall gefragt. Ich habe erfolglos versucht, meine Kontakte zu nutzen. Dann hat meine Ex-Frau das Jobinserat des Möbelhauses gesehen.
Was haben Sie dort beim Bewerbungsgespräch erzählt?
Dass ich etwas mit Medien gemacht habe. Die dachten, dass ich sicher gut verkaufen kann.
Sie haben in Ihren besten Zeiten 10.000 Euro im Monat verdient, heute sind es 1400 Euro brutto. Warum war es so schwierig, einen Job zu finden – etwa in der PR?
Ich war Ende vierzig, in der PR wollten sie was Junges, so Mitte 20. Sie sehen meine Biografie und denken, der ist schwierig oder etepetete. Die 10.000 Euro bekam ich, als ich auch Radio und Fernsehen machte. Mit Provision verdiene ich heute noch einmal 1400 – wenn ich genug verkaufe.
Sie bezeichnen das Möbelhaus als "mein Gefängnis": Wie waren Ihre Versuche, auszubrechen?
Ich habe Bewerbungen geschrieben, es aber mittlerweile aufgegeben.
Als Verkäufer, schreiben Sie, ist man "lästig, zudringlich, ein Insekt." Wie hat sich das auf Ihren Selbstwert ausgewirkt?
Ich habe Interviews mit Prominenten – unter anderem mit Hollywood-Größen – auf Augenhöhe gemacht, das war spannend. Jetzt bin ich nur noch der Fußabtreter – aber ich nehme es mit Humor. Das Buch ist ja auch amüsant geschrieben.
Wie hat Sie das verändert?
Ich musste mich mit dem Begriff des Scheiterns auseinandersetzen. Die Frage nach dem Sinn stellt sich – auch für die anderen Mitarbeiter hier, die sich sonst nicht mit hochgeistigen Dingen beschäftigen. Man arbeitet zehn, elf Stunden am Tag, es gibt null Interesse an den Mitarbeitern, es ist eine extreme Belastung, mit vielen Krankenständen, hoher Fluktuation. Aber die Entscheidung war richtig – für meinen Sohn.
Sie wurden als Verkäufer von Kunden erkannt. Wie war das für Sie?
Sie hatten mich nach der Wiederholung einer TV-Sendung erkannt. Ich hab das heruntergespielt und über den Preis eines Sofas gesprochen. Dann war Ruhe.Ganz oben zu scheitern – haben Sie früher je darüber nachgedacht, dass das passieren könnte?
Es gab für mich damals nur die Vorstellung von Erfolg. Ich hätte früher ganz trocken gesagt, dass sich so ein Gescheiterter am besten umbringt.
Was war anfangs die größte Herausforderung im Möbelhaus?
Eine Aufgabe zu absolvieren, die mich nicht interessiert. Das ist schwierig, wenn man mit Leib und Seele Reporter ist. Es ist eine ganz eigene Welt aus Intrigen, Neid, Gier und Druck von allen Seiten. Von oben, von den Kollegen, von Kunden. Die Kunden sind auch keine armen Schäfchen, sondern brutal auf der Suche nach dem günstigsten Preis. Ich habe versucht, im Buch die Verkäuferseite darzustellen.
Sie jagen Provisionen hinterher. Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Man wird leer. Man fragt sich nach dem eigenen Wert als Mensch. Macht man viel Umsatz, ist man ein wertvoller Mitarbeiter, macht man wenig, ist man ein unbedeutendes Subjekt, das angebrüllt werden darf.
Wie gehen Sie heute damit um?
Viel gelassener. Es hat keine Bedeutung mehr. Tiefer fallen geht kaum noch.
Sie haben auch Ihr soziales Umfeld verändert, Ihre Sportfreunde sind Arbeiter und Handwerker.
Ja. Auch der Kosmos von Kollegen und Kunden ist spannend. Vor allem aber hat sich mein früherer Freundeskreis extrem reduziert. Ich zog mich zurück – die Trennung von meiner Frau, der Berufswechsel, dann ging das nicht mehr.
Warum wollten Sie nicht mit Ihrem Namen an die Öffentlichkeit gehen?
Ich will nicht, dass die Leute mit dem Finger auf das Möbelhaus zeigen. Das Unternehmen macht ja nichts Illegales, es geht um das Ausbeutersystem an sich. In der Journalismus-Branche bin ich der Blöde – da weiß man mittlerweile, wer ich tatsächlich bin.
Am Ende schreiben Sie: Ich bin alleine, gescheitert, ärmlich – aber stärker als je zuvor voll Frieden und Harmonie, Glück. Inwiefern hat Sie die Erfahrung des Scheiterns stärker gemacht?
Ich fühle mich stärker verbunden mit Menschen, die leiden – körperlich oder geistig. Und ich habe eine starke Verbundenheit mit Menschen, die in früheren Generationen gescheitert sind.
Was ist Ihr beruflicher Wunsch?
Ich möchte noch einmal so eine starke Geschichte erzählen wie in diesem Buch.
Aufstieg
Robert Kisch (Pseudonym) schrieb für renommierte deutsche Magazine und Tageszeitungen, machte sich einen Namen als Edelfeder, u. a. mit Schwerpunkt Literatur und Popmusik. Er erhielt diverse journalistische Preise – u. a. den Theodor-Wolff-Preis der deutschen Zeitungen.
Abstieg
Als das Hochglanzmagazin, für das er als Autor tätig war, eingestellt wurde, wurde Kisch arbeitslos.
Seit drei Jahren arbeitet der Endvierziger als Verkäufer in einem großen Möbelhaus. Sein gleichnamiger autobiografischer Roman ist soeben im Droemer Knaur Verlag erschienen, € 12,99.