Schwarz, weiß, Mann, Frau? Wurst.
Bethlehem Tilahun Alemu betritt den Raum. Die Äthiopierin ist klein und bis auf die Schuhe aus Eigenproduktion europäisch gekleidet. Sie ist bescheiden und selbstsicher. Freundlich und ernsthaft. Ruhig und doch redebereit. Sie macht aus alten Autoreifen Schuhe und aus einem Arbeitsplatzprojekt in Äthiopien das öko-ethische Nike Afrikas. Sie produziert regional, denkt aber weltweit. Ihre Geschäftsidee ist sozial und gewinnbringend. Bethlehem Tilahun Alemu macht aus Gegensätzen Möglichkeiten.
Laut CNN ist die 34-Jährige die viert-wichtigste Unternehmerin dieses Jahrhunderts. Ist ihre Art des Unternehmertums die Zukunft?" Die Krise hat Männer so gebeutelt, dass der Weg frei wird für Frauen", freute sich das feministische Magazin EMMA 2010.
2014 sprechen die Zahlen eine andere Sprache: 0,9 Prozent beträgt die Frauenquote in den Führungspositionen in Japan, 7,5 Prozent in Österreich, 11,2 Prozent in Deutschland, 15,7 Prozent in den USA. Ob es durch Frauenquoten rascher zu mehr Gleichberechtigung kommt wird genauso ideologisch diskutiert wie darüber, ob Frauen überhaupt in Führungspositionen wollen.
Ideologiefrei
Bethlehem Alemu hatte keine Zeit für Ideologien. Sie arbeitete tags, studierte nachts und sah, dass es in ihrer Gemeinde ein Problem gab: keine Jobs. Das Problem machte sie zu ihrer Business-Idee. 2005 griff sie die äthiopische Tradition der Schuhherstellung aus Autoreifen auf und gründete ihr eigenes Unternehmen. Aber nicht irgendeines: soleRebels ist die erste Schuhfabrik mit einem Siegel der World Fair Trade Organisation; die Materialien Bio-Baumwolle, Jute, Koba-Fasern und Lkw-Reifen stammen ausschließlich aus der Region. Zehn Jahre später ist der Erfolg überwältigend, soleRebels setzt jährlich 3,5 Millionen Dollar um, agiert weltweit und Bethlehem Alemu ist mit Auszeichnungen überschüttet: Sie steht auf der Liste der 20 einflussreichsten Frauen der Welt, ihr Name findet sich neben Bill Gates oder Mark Zuckerberg auf der Liste der 1000 kreativsten Unternehmer, sie gewann 2010 den Eco-Bold-Green Award und 2012 am Weltwirtschaftsforum Davos den Social Entrepreneur Award – und das ist nur eine kleine Auswahl ihrer Würdigungen.
"Organisiert und direkt heraus", so würde sich die 34-Jährige als Managerin selbst beschreiben. Die Auszeichnungen bedeuten für sie "mehr Verantwortung, mehr Erwartungen." An sie und ihr Unternehmen. Das belastet sie nicht: "Schüchtern? Nein. Das war ich nie." Dass sie Risiken eingegangen und Fehler gemacht hat, kostet sie nur ein Wimpernzucken. "Ich würde alles wieder genau so machen", so die dreifache Mutter. Woher sie ihr Management-Wissen hat? "Ich bin eine Frau. Das ist eine Management-Fähigkeit an sich. We just do it" – borgt sie sich bei Nike auch den Wahlspruch.
Besser? Anders!
Bethlehem Alemus Art des Geschäftemachens beweist, dass es andere Wege gibt, als sie die weiße, männliche Wirtschaftselite glauben macht. Den Erfolg von soleRebels sieht Alemu als Signal für ihren Kontinent, für mehr Mut zu neuem Unternehmertum – für Frauen und Männer. Aber: Führen Frauen anders? "Ich glaube weniger an unterschiedliche Führung, wohl aber an unterschiedliche Meinungen über geschlechtsspezifische Führungsstile", sagt dazu der Wiener Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler. Vorgefasste Meinungen wieder bewirken, dass dieselbe Verhaltensweise anders interpretiert und beantwortet wird, weiß der Forscher. Gender-Stereotype auf Führungsebene sind Tatsache. "Den typisch weiblichen Führungsstil gibt es nicht", sagt Manuela Vollmann, Geschäftsführerin des abz*austria. Eine Tendenz sieht sie aber: "Frauen in Führungspositionen sind offener in Sachen Bildung, flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice oder Top-Job-Sharing." Dienstwagen und Extraprämien stehen bei weiblichen Führungskräften dafür nicht oben auf der Agenda, so Vollmann.
Eigene Wege
Kritiker mögen sagen, dass die lobüberschüttete Alemu es ja wieder "nur" in einer Frauenbranche geschafft hat. Es stimmt. In der "Frauen, die unsere Art, Business zu machen, verändert haben"-Liste von CNN stehen Namen wie Make-up-Ikone Elizabeth Arden, Modemacherin Coco Chanel oder Sara Blakely, die Erfinderin figurformender Unterwäsche (siehe Bilderleiste rechts). Aber auch Namen wie Carrie Crawford Smith, die 1918 als erste schwarze Frau eine Stellenvermittlung gründete, Kiran Mazumdar-Shaw, Gründerin der Biotechfirma Biocon oder Cheung Yan, die an Papierrecycling verdient.
Und eben Bethlehem Alemu, die sagt: "Wir können über Probleme jammern. Oder wir können sie lösen und unternehmerisch kreativ sein. Genau hier, wo wir sitzen. Es liegt an jeder Einzelnen, es zu tun."
Eine WU-Wien-Studie untersuchte Stereotype über geschlechtsspezifisches Führungsverhalten mittels Inhaltsanalysen von Todesanzeigen. Ergebnis: Am häufigsten werden Chefs als „engagiert“ beschrieben (9,3 % Frauen, 5,6 % Männern). Das zweithäufigste Attribut war bei Männern „starke Persönlichkeit“ (5,4 %), bei Frauen „fürsorglich“ (4,6 %). „Experte“ (5,1 %) wurde bei Männern am dritthäufigsten genannt, bei Frauen deutlich seltener (1,7 %). Tendenziell näherten sich in den 36 untersuchten Jahren die Geschlechterstereotype an.