Wirtschaft/Karriere

"Schmerzfrei und ohne Panik"

Sein Chef Nicolas Hayek senior, der Gründer der Schweizer Swatch Group, nannte ihn "Mein Schla-Wiener". Rudi Semrad erklärt: "Er hat mich geschätzt, weil ich wusste, wie ich mit ihm umgehen muss. Wir Österreicher sind da ein bisschen geschickter als die Schweizer, weil wir gerne Geschichten erzählen." Rudi Semrads Geschichte zeugt von seinem Temperament: Als jüngster von vier Brüdern machte er eine Schlosserlehre, heuerte als Nichtakademiker bei Procter&Gamble an, stieg in den Vorstand der Schoellerbank auf, bis es ihn schließlich ins Uhrengeschäft zog. Dort blieb er für 20 Jahre. Semrad war der erste Nicht-Schweizer in der Konzernführung der Swatch Gruppe. Seit Jänner ist er im "Unruhestand", wie er sagt und investiert als Business Angel in Start-ups.

KURIER: Sie sind Ende 2014 in Pension gegangen – von Ruhestand kann aber nicht die Rede sein.

Rudi Semrad: Der alte Hayek hat einmal zu einem Journalisten gesagt: "Pensionist ist der gefährlichste Job der Welt. Den hat noch keiner überlebt." Er ist mit 82 Jahren am Schreibtisch nach vorne gefallen. Das habe ich zwar nicht vor, aber so lange ich mich wohlfühle und fit bin und die Welt verstehe, möchte ich dabei bleiben.

Wie war Ihr letzter Arbeitstag?

Ich bin am 31. Dezember eigentlich völlig schmerzfrei und ohne Panik aus dem Büro gegangen. Ich habe meinen Autoschlüssel abgeben, habe meine Tochter angerufen und sie gebeten mich abzuholen – ich bin ja 40 Jahre nur Firmenwagen gefahren. Ich konnte alles sauber übergeben. Meine letzte Tat war die Swatch Group Türkei aufzubauen – ich habe noch nie in meinem Leben so viel Tee getrunken. Und das Grausamste ist, dass man dort, wenn alles gelungen ist, nicht mal ein Glas Wein oder einen Cognac bekommt. Nachdem die Eröffnung gelungen war, dachte ich, "Was soll jetzt noch kommen?". Dann habe ich den Hayek angerufen und ihm gesagt, dass ich keine Lust mehr habe.

Sie sind mit 66 Jahren in Pension gegangen. Wieso investieren Sie Ihr lang verdientes Geld jetzt in risikoreiche Start-ups?

Wissen Sie, ich komme aus schlichten Verhältnissen. Ab Donnerstag hat sich meine Mutter nicht mehr ins Milchgeschäft getraut, weil wir ein Kilo Brot und eine Milch anschreiben lassen mussten. Da hat sie mich geschickt – diese Peinlichkeit als 12-Jähriger. Daher war ich immer ängstlich. Aber irgendwann habe ich gemerkt, Sicherheit gibt es eh nirgends im Leben. Ich dachte, ich werde das Leben auch schaffen, wenn es mal eng wird.

Da hatten Sie aber bereits Geld in der Tasche oder?

Ja, da war schon Geld da – mit vollen Hosen ist leicht stinken. Ich hatte ein relativ geschicktes Händchen mit Aktien. Ich habe mich immer an den Spruch gehalten: Lass die anderen die letzten 20 Prozent machen. Ich habe immer rechtzeitig verkauft. Aktien sind lustig, aber als Business Angel kann man selber operativ mitarbeiten und hat nicht nur ein Blatt Papier. Ich bin Anfang des Jahres Business Angel Hansi Hansmann und Runtastic-Co-Gründer Florian Gschwandtner in die Hände gerannt. Sie haben mir ein paar Start-ups vorgestellt und ich habe mich entschieden in mediclass und renésim zu investieren und ich bin Investor bei Speedinvest.

Wie entscheiden Sie, worin Sie investieren?

Ich muss spüren, dass ein Feuer brennt. Fachliches kann man jedem beibringen, aber Enthusiasmus nicht. Er muss seinen Markt kennen, nicht schwafeln und einen Plan B haben.

Sie kommen aus einem Schweizer Konzern. Die Start-up-Welt ist ganz anders: schnelllebig, wenig Sicherheit, da muss in zwei Minuten alles geklärt sein.

Ich bin aufgewachsen mit ständigen Bugdet-Meetings, Geschäftsberichten und Präsentationen. Das ist die Old Economy – das kann man heute vergessen. Die Start-up-Welt ist völlig anders, das musste ich lernen. Ich hätte zum Beispiel meine Beteiligungsverträge nie unterschrieben, hätte mir Hansi Hansmann nicht gesagt: "Entweder du vertraust mir oder nicht. Hier gibt es keine Garantie." Ich komme aus einer Zeit, wo alles hinauf gegangen ist. Einfach so – weil nach dem Krieg Wirtschaftswachstum da war. Die Jungen müssen sich heute anders orientieren.

Wie macht man heute gute Geschäfte?

Man macht nur gute Geschäfte, wenn es keine Verlierer gibt. Man muss wissen, was das Visavis will und ihm das so präsentieren, dass er den Nutzen versteht und selber Freude hat.

Sie sind als sehr kontaktfreudiger Mensch bekannt – wie wichtig ist das beim Geschäftemachen?

Ich war sehr präsent. Das ist mir auch manchmal zum Vorwurf gemacht worden. Ein Freund hat sich abgewendet, weil er meinte, ich sei zu viel in den Medien. Ich war der einzige neben den Hayeks, der Interviews über Swatch geben durfte – ich bin immer nur zu Events gegangen, wenn es einen Bezug zu den Uhren gab. Ich habe einer Uhrenmarke ein Gesicht gegeben. Der ganze Kuchen ist dadurch größer geworden. Ich mag Menschen. Ich habe immer versucht offen zu sein.

Geboren am 26. November 1948 als jüngster von vier Brüdern. Rudi Semrad machte mit 13 Jahren die Schlosserlehre und spielte am Abend Fußball – unter anderem gegen Hans Krankl und Herbert Prohaska. In den 60er-Jahren heuerte er bei Procter&Gamble an, obwohl sie damals großteils Akademiker einstellten. Sieben Jahre lang lernte er in der P&G-Schule, wie Marken funktionieren. Dieses Wissen setzte er ab 1994 in der Swatch Group ein – wo er lange Zeit Geschäftsführer Österreichs war. Seit Jänner ist der 66-Jährige Business Angel.