SAP schafft den Sarkasmus ab
Von Nicole Thurn
Der Software-Konzern SAP sucht Mitarbeiter mit Detailverliebtheit und Genauigkeit: Bis 2020 will das Unternehmen darum weltweit 650 IT-Consultants mit Autismus einstellen – das sind ein Prozent der gesamten Belegschaft. Erste Pilotprojekte gibt es bereits, heuer sollen 80 Mitarbeiter an fünf Standorten weltweit eingestellt werden. Was sich das Unternehmen davon verspricht und welche Herausforderungen daraus entstehen, erklärt Anka Wittenberg, global verantwortlich für Diversity & Inklusion bei SAP.
KURIER: Wie ist SAP auf die Idee gekommen, Menschen mit Autismus einzustellen?Anka Wittenberg: Im Zuge einer Grassroot Initiative von indischen Mitarbeitern. SAP hat damals iPads an autistische Kinder und Jugendliche gespendet und mit ihnen gemeinsam Lern-Apps entwickelt. Das war für uns spannend, denn somit hatten wir unsere Kunden am Tisch. Menschen mit Autismus sind sehr ehrlich – sie lügen nie, verstehen keinen Sarkasmus, sagen, wo Lücken sind. 2011 haben wir autistische Menschen für Softwaretests in Indien eingestellt. Für uns war das ein Weg, um an Talente zu kommen.
SAP will bis 2020 weltweit 650 solcher Mitarbeiter beschäftigen. Wie will man das schaffen?
Wir haben in Indien und in Walldorf bereits je sieben eingestellt, in Irland sechs, gerade sind wir in Vancouver, Montreal dran. Unser Ziel ist es, heuer auf weltweit 80 Mitarbeiter zu kommen. Pro ausgewähltem Standort fangen wir mit fünf bis sieben Mitarbeitern mit Autismus an, die in Teams integriert werden. Wir schulen die Mitarbeiter, organisieren offene Veranstaltungen, laden Forscher ein, die Vorträge halten. In der zweiten Welle, wenn Schwellenängste abgebaut sind, wird es rascher gehen, Menschen mit Autismus zu integrieren.
In welchen Bereichen arbeiten sie?
Zurzeit in den Bereichen Software-Tests und Qualitätssicherung, künftig wollen wir sie auch in Development und Innovation einsetzen.
Warum sind sie vielversprechende Mitarbeiter?
Sie können sich sehr lange konzentrieren, auf Tätigkeiten, die sich regelmäßig wiederholen – ein nicht-autistischer Mensch langweilt sich schnell, braucht viel mehr Stimulation. Sie können Fehler überhaupt nicht vertragen, finden sie rasch.
Was sind die Erfahrungen bisher?
Die Mitarbeiterzufriedenheit in diesen Teams ist massiv nach oben gegangen, die Kommunikation hat sich verbessert, die Teammitglieder sind positiver, aufmerksamer, sensibler für ihr Umfeld geworden. Dieses Projekt zeigt, dass Unternehmen eine Kultur entwickeln müssen, damit jeder seine Einzigartigkeit zulassen kann.
Inwiefern?
Man kann Menschen mit Autismus nicht formen. Wir haben daher klare Kommunikationsregeln für die Teammitglieder aufgestellt: Kein Sarkasmus, keine Zweideutigkeiten, denn das verstehen Autisten nicht. Diese Kommunikationsregeln weiten wir nun auf alle Teams aus.
Was sind die Herausforderungen?
Man kann von einem autistischen Mitarbeiter nicht erwarten, dass, wenn man ihm zehn Mal einen Kaffee mitgebracht hat, er das umgekehrt auch tut. Daher setzen wir Coaches ein. Jeder dieser neuen Mitarbeiter bekommt auch einen SAP-Kollegen als Buddy zur Seite gestellt. Wir achten darauf, dass die Buddies eine hohe Affinität zum Thema haben, setzen gern Eltern autistischer Kinder ein.
Sie sprechen Menschen mit dem Asperger-Syndrom an?
Ja, viele von ihnen verfügen auch über ein Studium. Trotzdem liegt die Arbeitslosenrate bei etwa 40 bis 50 Prozent. Weil sie einfach nicht durch den Mainstream-Recruiting-Prozess durchkommen. Denn worauf schaut man beim Bewerbungsgespräch? Ob der Kandidat ein Teamplayer ist und welche Kommunikationsfähigkeiten er hat. Hier fallen Bewerber mit Autismus durch. Wir müssen anders rekrutieren, um an diese Talente zu kommen.
Wie machen Sie das?
Wir arbeiten mit der Organisation Specialisterne zusammen, die weltweit eine Million Arbeitsplätze für Menschen mit Autismus schaffen will. Gemeinsam haben wir das Assessment Center verändert: Small Talk gibt es nicht. Die autistischen Bewerber müssen einen Roboter nach Anleitung zusammenbauen. Dabei können wir viel sehen – wie sie sich konzentrieren, wie sie an das Problem herangehen. Wir haben wahnsinnig viele Bewerbungen bekommen, weil keiner in der Industrie das bisher gemacht hat.
Wie sieht das Gehaltsschema aus?
Wie bei den anderen Mitarbeitern auch. Es geht uns nicht darum, billige Arbeitsplätze zu schaffen, sondern Vielfalt ins Unternehmen zu bringen.
Wieso ist Vielfalt wichtig?
Diversity machen wir ja nicht, um eine buntere Bevölkerung zu bekommen, sondern um innovativer zu werden. Wir wollen bis 2017 eine Marge von 35 Prozent erreichen. Unser Ziel ist es, unsere Kunden zu verstehen – sie sind ebenso vielfältig.
SAP
Anka Wittenberg ist als Chief Diversity & Inclusion Officer beim Softwarekonzern SAP für die Umsetzung der Diversity-Strategien für 66.500 Mitarbeiter in 180 Ländern weltweit zuständig. Bis 2020 sollen ein Prozent der Belegschaft Autisten sein.
Specialisterne
Die dänische Organisation Specialisterne vermittelt Menschen mit Autismus an die IT-Branche, u.a. an SAP. In Österreich arbeitet Specialisterne seit Mitte 2013 mit Unternehmen wie A1, der Wiener Städtischen und Baxter zusammen.