Professor Tausendsassa
Von Andrea Hlinka
„Es gibt zwei Typen von Professoren an Unis: Erfolgreiche und gute Wissenschaftler, die sich (...) mit dynamischen, unabhängigen Gruppenleitern umgeben und dann ein motiviertes dynamisches Institut leiten.“ Die zweite Gruppe beschreibt Renée Schröder, renommierte österreichische Wissenschaftlerin in einem Kommentar 2002 als „erfolglose und schlechte Wissenschaftler, die aus eigener Kraft keine Forschungsmittel rekrutieren können und daher Dienstposten der Universität (...) mit Dissertanten und Postdocs besetzen und diese zwingen, für sie zu arbeiten.“
Ein Prof für 88 Studierende
2333 Professoren gab es laut Hochschulstatistik im Studienjahr 2012/2013 an den österreichischen öffentlichen Universitäten. Sie lehren, forschen und administrieren, lukrieren Drittmittel und publizieren. Eine Herausforderung, denn ihnen standen im Wintersemester 2013 207.813 ordentlich Studierende gegenüber.
Gerhard Speckbacher ist in seiner Vorlesung „Einführung in die BWL“ für rund 3000 Studierende jährlich zuständig. Er gilt als beliebt. Als Leiter des Departments Unternehmensführung der WU Wien betreut er zehn wissenschaftliche Mitarbeiter, Doktoranden und Prä-Docs. Zehn wissenschaftliche Assistenten, mehrere Studienassistenten, drei administrative Kräfte und ein Senior Lecturer – sie alle zählen zum so genannten Mittelbau – sind in seinem Team. „Assistenten sind aber schon längst keine persönlichen Arbeitssklaven von Professoren mehr, wie es früher manchmal war. Wir arbeiten in der Lehre und Forschung in der Regel in Teams von Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern“, schreibt Speckbacher. Fragen beantwortet er diesmal nur per eMail, weil er laufend in Prüfungen und Meetings steckt. „Den typischen Machtprofessor, dem alle zuarbeiten, den gibt es heute kaum noch“, sagt auch Renée Schröder.
Der Mittelbau könne heute in den meisten Fällen selbstständiger und unabhängiger vom Professor arbeiten als vor dem neuen Universitätsgesetz, das 2002 eingeführt wurde und die Pragmatisierung der Professoren beendete. Doch der Graben ist dadurch nicht kleiner geworden: Auf der einen Seite stehen die Professoren, auf der anderen der Mittelbau.
Nebenbeschäftigung
Trotz all der Aufgaben an den Unis finden manche Professoren immer noch Zeit, um anderen Beschäftigungen nachzugehen. Renée Schröder schreibt Bücher, ist Lektorin eines Journals, schreibt Reviews. Gerhard Speckbacher ist gelegentlich als Gutachter tätig, berät Unternehmen oder hält Vorträge bei Konferenzen. „In letzter Zeit bleibt dafür aber leider wenig Zeit“, schreibt er. Die Lehre gehe vor. Solange die Lehre nicht darunter leidet, kein Interessenskonflikt besteht, sind Nebenbeschäftigungen kein Übel. So kann der Professor Praxis und Netzwerke an die Uni holen und die Forschung aus dem Elfenbeinturm heraus. Vor der Einführung des neuen Universitätsgesetzes 2002 und dem KV 2009 war der Spielraum für ausufernde Nebenbeschäftigungen größer. Inzwischen muss jede Nebenbeschäftigung vom Rektorat genehmigt werden. Interessant ist, dass das Erstellen von Gutachten für pragmatisierte Professoren auch heute nicht als Nebenbeschäftigung gilt und somit nicht gemeldet werden muss. Erhebungen zum Thema Nebenbeschäftigung gibt es keine. Die TU Wien hat die Zahl recherchiert: 135 Professoren zählt die TU – und 28.000 Studierende. 58 Nebenbeschäftigungen wurden gemeldet, „meist Gutachter- und Vortragstätigkeiten oder das Betreiben eines eigenes Büros“, heißt es aus der Presseabteilung. Ob ein Interessenkonflikt gegeben ist, könne nur im Einzelfall beurteilt werden.
Ein solcher Einzelfall hat im Dezember für Aufsehen gesorgt: Der pragmatisierte TU-Professor und Geschäftsführer der Softwarefirma RISE GmbH, Thomas Grechenig, war über eine eigenartig anmutende Konstruktion mit der Neuentwicklung des IT-Systems für die TU beauftragt worden. Grechenig meint, dass die TU nicht genug bezahlt hätte, die TU bestreitet das – die Parteien stehen vor Gericht. Grechenig wurde die Nebenbeschäftigung nun als RISE Geschäftsführer von der TU untersagt, was dieser laut APA-Meldung wiederum beeinsprucht hat. Laut Profil (Dezember 2013) wurden neun Lehrveranstaltungen, die von Grechenigs Assistenten gehalten wurden, von der TU abgesagt.
Die unteren 33.000
Wie viel ein Professor an der Uni verdient, hängt in den Berufungsverhandlungen von seiner wissenschaftlichen Qualität und vorherigen Position ab. Unterste Grenze ist laut Bernhard Keppler, Vorsitzender des Österreichischen Universitätsprofessorenverbandes und Dekan der chemischen Fakultät der Uni Wien, rund 70.000 Euro brutto im Jahr, 100.000 kommen eher an die Realität heran. Genug? „Wir müssen für die Guten viel Geld in die Hand nehmen. In der Schweiz verdienen Professoren umgerechnet 150.000 bis 200.000 Euro pro Jahr.“ Professoren gingen dorthin, wo die besten Bedingungen geboten werden. „Wir können mit den guten Unis im Ausland oft gerade noch mithalten“, sagt Keppler. Professoren arbeiten in der Regel viel, müssen sich an vielen Fronten behaupten. Keppler sagt: „Es gab eine Zeit, da waren Professoren Könige.“ Die sei überwunden. Gerhard Speckbacher: „Ob man sich als Superstar fühlt ist eine Frage des Betrachtungsrahmens. Jeder versucht, in der Forschung in seinem Bereich international spitze zu sein, manchmal hat man dabei mehr Erfolg, manchmal weniger.“ Als prekär kann man die Lage der Professoren nicht bezeichnen. Die Situation des Mittelbaus schon eher (siehe unten).
33.173 Universitätsassistenten, Senior Scientists, assoziierte und Assistenzprofessoren etc. sind an den öffentlichen Unis tätig. Ohne sie, dem Mittelbau, kann eine Uni niemals funktionieren.
Anna Babka ist Assistenzprofessorin am Germanistik-Institut der Universität Wien, sie verdient rund 53.000 Euro brutto im Jahr. „Es herrscht eine Diskrepanz zwischen Mittelbau und Professorenkurie“, sagt sie. Sie war, bevor sie die Tenure-Track-Stelle (siehe unten) bekommen hat, über zwei Exzellenzprogramme an der Uni angestellt. In einigen Monaten wird sie, wenn sie alle Leistungsvereinbarungen einhalten kann, Associate Professor. Hier enden die meisten Karrieren, denn volle Professorenstellen gibt es nur wenige. Auch Babka lehrt, forscht, administriert, lukriert Drittmittel, publiziert. Nur hat sie im Gegensatz zu den Professoren keinen Verhandlungsspielraum beim Gehalt und bekommt keine Mitarbeiter zur Seite gestellt.
Einen typischen Karriereweg für Wissenschafter gibt es, wegen der zahlreichen Reformen in den vergangenen Jahren, derzeit nicht. Bis in die späten 1990er-Jahre befand sich ein hoher Anteil des akademischen Personals der österreichischen Universitäten auf unkündbaren Beamtenstellen. Seit dem neuen Universitätsgesetz hat sich das geändert: Keine Pragmatisierungen mehr, dafür privatrechtliche Dienstverhältnisse, eine wachsende Zahl an befristeten Stellen und Drittmittelposten und eine in Relation klein gebliebene Gruppe von Ordentlichen Professoren, die von Assistenz- und Assoziierten Professoren ergänzt wird.
Vorbild USA
Als Vorbild gilt das angloamerikanische „Tenure Track-Modell“: Vom Assistant Professor wird man, wenn man sich bewiesen hat, Associate Professor. Das österreichische Laufbahnmodell sieht jedoch, im Gegensatz zur amerikanischen Variante keine Möglichkeit vor, bis zu einer vollen Professur aufzusteigen. Denn zum „Ordentlichen Professor“ wird man in Österreich weiterhin von einer Kommission berufen.
Personalmangel
Gerechtigkeit zwischen den Generationen gebe es derzeit keine, findet Hochschulforscher Hans Pechar. Immer weniger Professoren würden für eine steigende Anzahl an Studierenden zur Verfügung stehen. Die Lehre kann an den Unis derzeit nur mit Hilfe externer Lektoren aufrecht erhalten werden. Sie wurden ursprünglich geholt, um Erfahrung in die Unis zu holen. Lange Zeit wurden sie als Sachkosten verrechnet, inzwischen gibt es einen Kollektivvertrag: Für zwei Semesterwochenstunden Lehre gibt es 370 Euro brutto pro Monat. Damit sind sie nicht zufrieden. Grundübel ist die ungenügende Finanzierung der Unis.