Wirtschaft/Karriere

Ohne Matura zum Akademiker

Wer einen Lehrabschluss hat, hat eine fertige Berufsausbildung. Wozu sollte man dann an die Uni gehen? Die Antwort ist einfach: Weil es, neben dem hohen Wert der persönlichen Weiterbildung, in Österreich fast unmöglich ist, die Karriereleiter ohne akademischen Titel zu erklimmen – heute noch mehr als früher. Höherqualifizierung liegt voll im Trend.

Seit Jahren wird versucht Bildungswege durchlässiger zu gestalten. "Es muss die Durchlässigkeit in die höhere berufliche Bildung besser werden", sagte Experte Thomas Mayr, Direktor des Instituts für Bildungsforschung kürzlich im KURIER-Interview. Damit der Weg, den ein Teenager gewählt hat, keine Sackgasse ist. Und damit das Image der Lehre endlich gehoben wird.

Tatsächlich sind immer mehr österreichische Studienanfänger Nichtmaturanten. Der Anteil hat sich laut Studierendensozialerhebung des Instituts für Höhere Studien (IHS) im vergangenen Jahrzehnt auf zehn Prozent verdoppelt.

Viel Einsatz

Einer von ihnen ist Andreas Pieber: Er besuchte die Hotelfachschule, merkte recht schnell, dass es nicht das war, was er suchte. Alsdann machte er die Lehre zum Großhandelskaufmann.

Nach dem Lehrabschluss wurde er Shopmanager bei A1, dann für acht Jahre selbst Franchisepartner. Seit Oktober 2014 ist Andreas Pieber in der Post AG Category Manager in Wien. Als Draufgabe studiert er seit vergangenem Herbst an der Fachhochschule des bfi Wien Technisches Vertriebsmanagement. "Wer sich nicht weiterbildet, der wird nicht weiterkommen", erklärt der 35-Jährige. "Es ist schwierig, ohne akademischen Abschluss in gewisse Positionen zu kommen, vor allem in Großkonzernen", sagt er.

Um studieren zu können machte Andreas Pieber die Studienberechtigungsprüfung: "Es war eine Herausforderung. Speziell, da ich bereits seit 17 Jahren aus dem Schulsystem draußen war. Für mein Studium musste ich Zusatzprüfungen in Englisch und Mathematik ablegen" erklärt er. Pieber lernte, schaffte die Studienberechtigungsprüfung und die FH-Aufnahmeprüfung. Mit Volldampf ging es weiter: Vollzeit berufstätig hatte er im ersten Semester bis zu fünf Mal pro Woche Lehrveranstaltungen. Mittlerweile ist er im 2. Semester und kriegt nicht genug. Nach dem Bachelor will er noch den Master machen.

Akademisierung light

Die Lehre, sagt Andreas Pieber, ist immer ein guter Weg. Das wird von vielen anders gesehen, denn seit Jahren schon leidet die Lehre unter einem Imageproblem. Einer Prognose zufolge soll die Anzahl der Lehranfänger von derzeit 35.000 auf 26.000 im Jahr 2025 sinken. Um diesen Trend aufzuhalten und die Lehre wieder attraktiver zu machen, führt ein Weg über die Öffnung des tertiären Ausbildungsbereichs.

Wer ein klassisches Studium an einer Hochschule beginnen möchte, kommt nach wie vor nicht an der Studienberechtigungsprüfung, Berufsreifeprüfung oder einem Studienbefähigungslehrgang vorbei. Vor einigen Monaten wurde jedoch die Berufsakademie eingerichtet – eine berufsbezogene zielgerichtete Weiterbildung für Lehrabsolventen. Sie soll die Hürden zur Weiterqualifizierung reduzieren und den Aufstieg in Führungsetagen erleichtern.

Bereits 2008 wurde das Projekt „Lehre mit Matura“ gestartet. Damit wollte man die Attraktivität der seit Ende der 1990er bestehenden Berufsreifeprüfung erhöhen.
Bei der Berufsreifeprüfung musste man bis nach der Lehre warten und für Vorbereitungskurse zahlen. Bei der Lehre mit Matura kann man drei von vier Teilprüfungen bereits während der Lehre ablegen, der Bund übernimmt die Kosten für Vorbereitungskurse von bis zu 6000 Euro pro Lehrling.
Mit Ende 2014 haben jedoch nur 2481 Lehrlinge auf diesem Weg gleichzeitig einen Lehrabschluss und die Matura gemacht.

Zu wenig, wie von vielen Seiten kritisiert wird. Die Lehre mit Matura sei keine Alternative für direkte Bildungsanschlüsse, sagen etwa die Grünen. „Sie wird auch kaum in Anspruch genommen, weil jahrelange Ausbildungszeit im Betrieb, der Berufsschule und am Abend Maturakurse dem Jugendlichen keinen Raum für ein Leben neben dem Lernen und Arbeiten lassen“, sagte im November Birgit Schatz, Arbeitnehmersprecherin der Grünen.