Wirtschaft/Karriere

ÖH:"Pass dich an, aber sei systemkritisch"

KURIER: Es ist so still um die Österreichische Hochschülerschaft geworden. Wo ist sie?

Hannah Lutz: Wir haben uns alle zur Aufgabe gesetzt, das wir wieder mehr nach außen treten in den nächsten zwei Jahren. Aktuell ist uns das bei einer kleinen Kampagne zum Thema Studierendenförderungsgesetz gelungen. Weil viele Studierende nicht mitbekommen haben, dass es eine Erhöhung gegeben hat, oder sie die Auswirkungen nicht abschätzen können. Viele bekommen 100 oder 200 Euro mehr im Monat, das ändert die Lebensrealität der Leute enorm. Sie können entweder weniger arbeiten, oder sich eine bessere Wohnung leisten.

Mehr Aufmerksamkeit: Wie kann das gelingen?

Indem man Erfolge feiert. Wenn irgendwo der Schuh drückt, dann kommt die ÖH und hilft. Wir müssen uns auch darum kümmern, dass nicht nur die Person, der geholfen wird, mitbekommt was passiert, sondern auch rundherum Leute wissen, was wir tun. Das bedeutet, auch mit Verfahren, die wir gewinnen, nach außen zu gehen. Wir führen zum Beispiel Verfahren zu Fragen der Familienbeihilfe, der Studienbeihilfe , des Aufenthaltsrechts für Studierende und des Mietrechts, etwa wenn einer Studentin nach Aufkündigung der Wohnung die Kaution nicht ausbezahlt wurde.

Wo aber sehen Sie Ihre Aufgabe als Interessensvertretung der Studierenden?

Proaktiv zu sein, die Bedingungen für Studierende zu verändern. Wir haben zum Beispiel einen Forderungskatalog für die Nationalratswahl ausgearbeitet. Ein Punkt dabei ist die studentische Mitbestimmung in den Gremien, die gekürzt wurde.

Was wollen und brauchen die Studierenden?

Mehr Wahlfreiheit im Studium, die verschiedenen Studiengänge sind immer mehr verschult. Man kriegt die zehn Kurse, die man machen muss und kann nicht davon abweichen. Unsere Forderung ist, dass man sich mehr aussuchen kann. Es gibt zum Beispiel tolle Ringvorlesungen, aber es geht sich oft zeitlich nicht aus, sie zu besuchen. Auch ein wichtiger Punkt: Der Altersdurchschnitt der Studierenden liegt bei 26 Jahren. Das liegt daran, dass viele keine Chance auf Studienbeihilfe haben und deshalb arbeiten müssen, dadurch verzögert sich das Studium. Viele gehen außerdem nicht den klassischen Bildungsweg und studieren nach dem Gymnasium. Es gibt immer mehr Leute, die zuerst ein paar Jahre arbeiten, und dann draufkommen, für die Arbeit, die sie machen, wäre ein Studium nicht schlecht. Das sind oft Menschen, deren Eltern keinen akademischen Background haben. Man muss schauen, dass man die gesetzlichen Bestimmungen an sie anpasst.

Die Wahlbeteiligung bei der letzten ÖH-Wahl war mit 24,5 Prozent ein historischer Tiefstand. Das kann man nicht schönreden.

Warum das so ist, hat verschiedene Gründe. Wir müssen wieder mehr bewusst machen, was die ÖH wirklich für Studierende tun kann. Oft ist es so, dass die ÖH erst dann auftritt, wenn es ein Problem gibt und sie dieses löst. Es hat in diesem Wahlkampf zudem viele Turbulenzen gegeben, das hat viele abgeschreckt und der ÖH geschadet. An einigen Hochschulen hat es besser funktioniert, in Leoben haben wir immer eine hohe Wahlbeteiligung, generell niedriger ist die Beteiligung an Fachhoch- und Privatschulen.

Woher kommt das politische Desinteresse?

Das Phänomen, dass man immer wieder von einer unpolitischen Jugend spricht, fällt unter das Schema: Früher war alles besser. Wenn man sich anschaut, was 2015, als viele Flüchtlinge in Österreich angekommen sind, innerhalb von Stunden auf die Beine gestellt wurde, was für ein Engagement auf einmal da war: Daran sieht man, dass die Bereitschaft, etwas zu tun, auch heute da ist. Ich glaube, dass grundsätzlich politisches Interesse da ist und dass man dieses auch öfter wecken muss. Aber wir haben das Problem, dass Studierende in ein System gezwängt werden: Sie müssen nach der Uni fit für den Arbeitsmarkt sein, auf der anderen Seite sollen sie kritisch sein und Systeme hinterfragen. Es heißt: Pass dich an, sonst kriegst du keinen Job, aber sei systemkritisch, revoltiere. Das ist eine Diskrepanz, die schwer zu meistern ist. Der Wille, einmal auf eigenen Beinen zu stehen, ist oft wichtiger als politisches Engagement.