Wirtschaft/Karriere

Niemand will verändert werden

Wir müssen umstrukturieren." Diese vier Worte lösen bei den Mitarbeitern in erster Linie eines aus: Verunsicherung. Mitunter auch Angst. Emotionen, die sich nicht leicht abschütteln lassen. Das bekommen dieser Tage etwa die Mitarbeiter von Siemens zu spüren. Im Zuge seiner Umstrukturierungen streicht der Konzern weltweit 13.100 Arbeitsplätze.

Veränderung macht Angst, weil Sicherheit ein Grundbedürfnis ist. Es liegt in unserer Natur, an Gewohntem festzuhalten. Loslassen müssen wir lernen, meinen Psychologen. Vor allem, wenn wir die Veränderung ungefragt verordnet bekommen.

Wie das Management sich gegenüber der Belegschaft verhält, entscheidet über deren Veränderungswillen. Die erste Reaktion ist oft entweder Euphorie – oder Abwehr (siehe Abschnitt: "Vier Phasen der Veränderung unten). "Viele Mitarbeiter sehen Potenziale und wollen verändern, aber nicht verändert werden – und dann noch von den Chefs – das wollen wenige", sagt Andreas Ronken, seit 2014 CEO des Schokoladenherstellers Ritter Sport. Als langjähriges Mitglied der Geschäftsleitung hat er Changeprozesse im Unternehmen miterlebt. Oft seien besonders die skeptischen Mitarbeiter später "die Erfolgsfaktoren der Veränderung". Gemeinsamer Erfolg erzeuge "unternehmerisch denkende Mitarbeiter und Führungskräfte, die zufrieden mit ihrer Arbeit sind und sich mit all ihrem Wissen einbringen können."

Firmen in Veränderungsprozessen, wie Ritter Sport, begleitet Veronika Reichenbrugger mit ihrem Institut gemba.austria. Zwei bis sechs Jahre benötigen Veränderungsprozesse, bis sie zur Routine werden. Reichenbrugger bezieht alle Hierarchien ein, Mitarbeiter und Chefs setzen sich mithilfe von Psychologen mit den Vor- und Nachteilen der Veränderung auseinander. Die Führungskräfte sind gefragt, die Veränderungsbereitschaft im Team zu wecken – am besten so:

Von oben nach unten: Das Topmanagement verkündet in der Mitarbeiterversammlung, dass umstrukturiert wird. Die Mitarbeiter reagieren mit Gegenwehr. "Als Manager die Bedürfnisse aller Mitarbeiter in einer Versammlung zu bedienen, ist schwierig", sagt Veronika Reichenbrugger. Die Mitarbeiter seien mit Managersprech schlecht erreichbar. Die Expertin setzt die japanische Kata-Methode ein: Von einer Hierarchieebene in die nächste müssen Ziele nach unten kommuniziert werden. "Wenn der Teamleiter versteht, was das Ganze der Firma bringt, kann er das seinen Mitarbeitern für ihren Bereich übersetzen", sagt sie. Erst wenn ihnen der persönliche Nutzen einleuchtet, können sie die Veränderung annehmen. Allerdings: Topmanager würden sich häufig schwer tun, ihre Vision dem mittleren Management klarzumachen. "Die obere Führung und das mittlere Management müssen eine gemeinsame Position, Meinung und Vision haben", sagt Andreas Ronken.

Motivatoren ansprechen: Echte Blockierer sind selten, sagt Veronika Reichenbrugger. Jeder Mensch habe seine Motivatoren für Veränderung. Ein sehr häufiger sei Sicherheit, vor allem bei eingesessenen Mitarbeitern. Der Teamleiter müsse ihnen zeigen, dass vieles gleich bleibe – die Arbeitszeit, der Arbeitsort. "Das hilft, um der Veränderung positiv gegenüberzustehen", sagt sie. Auch das Motiv des Geltungsdrangs – man kann sich durch neue Aufgaben profilieren – könne den Veränderungswillen steigern. Angst sei dagegen ein schlechter Motivator: "Veränderung braucht Lernen, das ist in Angst nicht möglich."

Fakten schaffen: Das Unternehmen ist in schwieriges Fahrwasser gekommen. Es muss eingespart werden – ein Szenario, das viele Firmen kennen. Das bedeutet mehr Arbeit für weniger Mitarbeiter, mitunter Stellenabbau. Veränderung zu glorifizieren, macht keinen Sinn. Die Fakten müssen auf den Tisch, die Mitarbeiter zu motivieren sei in so einem Fall schwierig, gibt Reichenbrugger zu. "Man kann den Mitarbeitern klar machen, dass Stillstand keine Alternative ist, dass die Effizienzverbesserung zu Wachstum führt und man dann wieder Mitarbeiter einstellen kann."

Schritt für Schritt: Mitarbeiter wollen den Plan, bevor sie den ersten Schritt machen. Doch in turbulenten Zeiten sei die Zukunft oft nicht vorhersehbar, meint Reichenbrugger. "Man muss mit der Umsetzung rasch beginnen, Schritt für Schritt, und daraus lernen", sagt die Expertin (siehe Interview).

Führungskraft als Coach: Die Führungskräfte sollen den Veränderungsprozess begleiten, "und zwar nicht als Vorgesetzte, sondern als Coaches", sagt die Expertin. Sie stimmen mit dem Mitarbeiter den nächsten Schritt ab, unterstützen ihn. Danach geben sie Feedback. Das wiederum gibt dem Mitarbeiter die gewünschte Sicherheit – die braucht er, um weiterzugehen.

KURIER: Was können große Unternehmen von Start-ups lernen?
Hans-Peter Mutzel:
Sie lernen den Zugang zu Neuem und den Umgang mit Ungewissheit. Oft werden Ziele und Projekte nach dem besterhofften Ertrag ausgesucht. Start-ups agieren dagegen nach dem Prinzip der „Effectuation“: Sie gehen von ihren vorhandenen Mitteln aus und fragen sich: was bin ich bereit zu verlieren, ohne mein gesamtes Geschäft zu gefährden? Start-ups sagen: wenn wir es mit der leistbaren Investition X nicht schaffen, müssen wir eben neue Wege gehen.

Was machen große Firmen falsch?
Projekte in Konzernen sind oft kaum mehr zu stoppen, obwohl klar ist, dass sie in die falsche Richtung laufen. Die Thyssen Group hat einst Milliarden in Stahlwerke investiert, die dann nicht gebraucht wurden und ist daran fast zerbrochen. Unternehmen sollten zudem neue Umstände besser nutzen, anstatt sie zu vermeiden. Es wird zu vieles fix geplant, Zufälle werden nicht zugelassen. Auch sollte man sich häufiger Partner für die Umsetzung neuer Ideen suchen. Viele Firmen machen alles selber, koppeln sich aus Angst vor der Konkurrenz von anderen ab.

Warum ist es so wichtig, als Manager wie ein Start-up-Gründer zu denken?
Firmen, die wie Start-ups agieren, sind langfristig erfolgreicher. Man erkennt frühzeitig, wenn etwas schiefgehen könnte und reagiert früh genug darauf. Die Zukunft lässt sich nicht vorhersagen. Da hilft das Prinzip von „The Lean Startup“, das auf systematisches Experimentieren setzt: Besser als groß zu planen, ist es, verschiedene Dinge auszuprobieren und zu versuchen, was geht. Damit ist aber nicht Trial und Error gemeint. Es macht beispielsweise Sinn, die Kunden frühzeitig für Produkttests ins Boot zu holen.


Experimentieren klingt nach Risiko. Dabei muss man das Scheitern einkalkulieren, oder?
Nicht jedes Experiment wird etwas werden. Aber ich kann auf jedem Experiment neu aufbauen, kann daraus lernen. Das wird zu wenig praktiziert. Die Grundeinstellung ist häufig: es kommt nichts raus, weil ich mein Ziel nicht erreicht habe. Statt: ich nutze das Ergebnis und lerne daraus. Das wäre ein motivierender Ansatz.

Wann funktioniert die Umsetzung der Start-up-Ansätze nicht?
Das Management muss dahinterstehen, sonst ist es ein harter Weg. Aber viele Firmen haben zu starre Machtstrukturen. Wenn es einen Alphachef gibt, der glaubt, alles zu wissen und der die Linie vorgibt, wird es schwierig. In einem dynamischen, agilen Prozess müssen auch Teams Entscheidungen treffen – mit diesem Ansatz tun sich Machterhalter schwer. Die Frage ist auch, ob die Mitarbeiter überhaupt zur Veränderung bereit sind. Haben sie schon zwei Mal Umstrukturierungen, Kostensenkungen, Entlassungen erlebt, wollen sie das nicht ein drittes Mal durchmachen.

1. Euphorie oder Schock: Die Mitarbeiter hören von der geplanten Umstrukturierung, Neuausrichtung oder innovativen Produktschiene. Die einen, die schon ewig zähneknirschend Routine und Stillstand hingenommen haben, sind begeistert und wollen sofort im neuen Modus starten. Die anderen sind sicherheitsbedacht und verunsichert, vielleicht sogar im Schockzustand. Sie fühlen sich überfordert und verfallen in Lethargie. Wichtig: Führungskräfte müssen beide Gruppen beruhigen, mit realistischen Zielen das Horror- oder Glücksszenario in ihren Köpfen zurechtrücken.


2. Die Leugnung: Die Mitarbeiter reden die bevorstehende Veränderung klein. „So schlimm wird es nicht werden“, „Es wird sich sowieso nix ändern“, heißt es dann. Die möglichen und befürchteten Folgen dieser Veränderung sollten Führungskräfte daher unbedingt klar ansprechen.


3. Das Einlassen: Die Mitarbeiter setzen Neues um, lassen sich auf den Veränderungsprozess ein. Die Führungskraft soll Ansprechpartner und Unterstützer sein.


4. Die Verinnerlichung: Routine ist eingekehrt, die Veränderung ist geglückt. Das muss mit den Mitarbeitern gefeiert werden.