Nehmen Sie Platz: Richtige Sitznachbarin gesucht
Von Ulla Grünbacher
Ob am Fenster, mitten im Raum, mit der Tür im Rücken, Großraum oder Zweier-Büros: Es kommt weniger darauf an, wo, sondern viel mehr neben wem man sitzt. Dabei geht es nicht vorrangig darum, ob man sich gut versteht oder als Konkurrenz wahrnimmt. Die Frage ist vielmehr: Kann der Mitarbeiter-Output allein dadurch angekurbelt werden, dass die richtigen Leute neben den richtigen Leuten sitzen?
Diese Frage haben sich das Unternehmen cornerstone OnDemand und die Harvard Business School gestellt und mehr als 200 Angestellte in den USA und Europa über einen Zeitraum von zwei Jahren analysiert. „Bis jetzt wurde nicht viel darüber nachgedacht, wie der physische Standort eines Angestellten und die Nähe zu anderen ihre Produktivität und Leistung beeinflussen können“, wird Dylan Minor, damals Gastprofessor der Harvard Business School auf businesswire.com zitiert. Doch das sollte sich mit Vorliegen des Studienergebnisses ändern. Denn Fazit ist, dass die Resultate um bis zu 15 Prozent gesteigert werden können, wenn die richtigen Arbeitstypen nebeneinander gesetzt werden. Aber eben auch umgekehrt: toxische Mitarbeiter beeinflussen ihre Sitznachbarn negativ.
Doch wie funktioniert das?
Die Sitzordnung hat einen spürbaren Einfluss auf das Arbeitsverhalten. Es ist wie damals in der Schule. Neben manchen Klassenkameraden konnte man sich besonders gut konzentrieren, neben anderen gar nicht. Die in der ersten Reihe waren die Ruhigen, in der letzten Reihe saßen die Klassenclowns. Was hat eine clevere Lehrerin gemacht? Sie hat ein paar Schüler aus der letzten Reihe in die erste geholt und zwischen die braven Schüler gesetzt. Plötzlich war Ruhe und die Klassenclowns profitierten von ihren Sitznachbarn. Denn: Wer neben erfolgreichen Schülern sitzt, profitiert. Erfolg und Motivation stecken eben an.
Ähnlich ist es im Arbeitsleben. Auch da gibt es die Fleißigen, die Schlampigen, die Langsamen. Die Studie hat sie auf drei Prototypen von Mitarbeitern zusammengefasst. Die Produktiven (25 Prozent der Belegschaft), die Generalisten (50 Prozent) und die Qualitativen (25 Prozent). Die Mitarbeiter arbeiten dann am besten, wenn sie im Umfeld von jemanden sitzen, dessen Stärken sich von den eigenen unterscheiden. „Mitarbeiter mit komplementären Kompetenzen ergänzen sich laut Teamforschung gut“, sagt Christian Korunka, Arbeits- und Organisationspsychologe der Uni Wien. So ergänzen sich die Produktiven und die Qualitativen besonders gut – und jeder profitiert vom anderen. Denn die Ersteren arbeiten sehr schnell aber nicht ausreichend gründlich, zweitere arbeiten sehr genau und auf hohem Niveau, aber brauchen mehr Zeit, um eine Aufgabe zu bewältigen.
Teams besser zusammensetzen
Die Generalisten hingegen arbeiten nicht nur schnell, sondern auch auf hohem Level. Sie sollten von Sitzplan her unter sich bleiben und nicht im Umfeld von Produktiven oder Qualitativen sitzen. „Jeder Firmenchef ist dafür verantwortlich, zu schauen, wo welche Teams am besten angesiedelt sind“, sagt Markus Wiesner, Geschäftsführer des Büroausstatters Wiesner-Hager. Im Open Office ist es zwar kaum mehr umsetzbar, dafür zu sorgen, dass bestimmte Personen tagtäglich nebeneinander sitzen. „Aber Teams so zu setzen, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert, sehr wohl“, sagt Christian Korunka. „Es gibt eine selbst gewählte Dynamik, Lieblingsplätze zu besetzen, den Badetuch-Effekt.“ Man könne im Open Office für klar strukturierte räumliche und zeitliche Muster in Form von Teammeetings sorgen, sodass sich bestimmte Mitarbeiter treffen.
Überlegt sich ein Unternehmen einen Sitzplan, sodass die Mitarbeiter gut zusammenarbeiten können, dann macht sich das bezahlt. Die Studienautoren schätzen, dass ein strategischer Sitzplan eine Million Dollar Jahresgewinn durch eine höhere Produktivität für einen Betrieb mit rund 2000 Mitarbeitern einbringen könnte.
Der Besprechungstisch als Bühne
Macht wurde schon immer durch den richtigen Sitzplatz ausgedrückt, nach dem Motto: du bist, wo du sitzt. Der Sitzplatz am Besprechungstisch markiert die Rolle und den Status einer Person. Er ist ein Zeichen von Macht, das sichtbar macht, was man erreicht hat. Zwar kann man im Meetingraum keinen Platz reservieren, aber es gibt Stammplätze, die zu berücksichtigen sind. Es kommt nicht gut, wenn sich ein Jungspund auf einen Platz setzt, der eigentlich für Führungskräfte und Ranghöhere reserviert ist. Denn diese gehen davon aus, dass dies ihr Platz sei, den sie sich erkämpft haben, fasst Werner Zatorski, Management- und Unternehmensberater des Hernstein Instituts, zusammen: „Und das wäre eine formale Irritation.“ Idealerweise sollte man sich einen Sitzplatz suchen, der weder beim Eingang noch gegenüber des Fensters ist, empfiehlt er. Wichtig sei auch die körperliche Sitzhaltung.
Die erste, die sich mit dem Sitzcode beschäftigt hat, war die US-Psychologin Sharen Livingston. Sie hat die Sitzordnung in Konferenzzimmern untersucht und mit mehr als 40.000 Arbeitnehmern und Vorgesetzten gesprochen, sie beobachtet und analysiert. Ihr Fazit: Es gibt in der Regel sieben Typen und ihre Sitzplätze. Am Kopfende nimmt meist der Chef Platz, so hat er alle im Blick. Zu seiner Rechten sitzt jemand, der von der Gunst des Chefs profitieren will, sich einschleimen will. Links vom Chef sitzt seine rechte Hand. Moderatoren und ausgleichende Mitarbeiter wählen die Tischmitte. Analytiker streben die Eckplätze an. Der größte Kritiker sitzt dem Chef gegenüber.
Mit der Digitalisierung und Open Space-Büros beginnen die Machtspielchen aufzubrechen, sagt Zatorski. Er rät zu runden Tischen, diese würden den Sitzcode obsolet machen. „Denn solange es um Status geht, geht es weniger um Inhalt.“