Wirtschaft/Karriere

Mai: Mitten im Arbeits-Hangover

Der Mai ist herrlich. Von fünf Arbeitswochen werden gleich vier durch einen Feiertag verkürzt. Erfrischend, wenn der dichte Alltag durch freie Tage aufgelockert wird. Noch schöner, wenn man die Zwickeltage für ein langes Wochenende nutzen kann.

Andere finden: Der Mai ist kräftezehrend. Gleich vier Feiertage! Weniger Zeit, Projekte voranzutreiben, Termine unterzubringen und Abgaben zu meistern. Noch schlimmer, wenn die Kollegen auch noch auf Kurzurlaub fahren und deren Arbeit liegen bleibt. Leistungsspitzen und Überstunden derjenigen, die weiterarbeiten, sind programmiert. Freude über den Feiertag? Fehlanzeige. Viel eher wacht man am freien Tag mit müden Augen und Kopfweh auf, zieht lieber die Vorhänge zu als in den Teich zu springen. Die Arbeitstage waren zu intensiv. Man hat einen Job-Hangover.

Hochs und Tiefs

„Jeder hat berufliche Hochs und Tiefs“, analysiert Neurobiologe und Autor des Buches „Besser fix als fertig“ übers hirngerechte Arbeiten, Bernd Hufnagl, diesen Zustand nüchtern. „Wann und warum sie kommen, hat mit dem subjektiven Erleben der Arbeit zu tun.“ Denn: Ob es uns an freien Tagen wegen der vielen Arbeit, die wir davor geleistet haben gut oder schlecht geht, sagt viel über unsere Einstellung zum Job aus. Obacht, Spoiler: Wer jetzt weiterliest, könnte am Ende dieses Textes ziemlich desillusioniert werden.

Aber ganz von vorne. Dass die Arbeit zunimmt und unsere Koordinierungsfähigkeit, alles im Job hoch überm Kopf und das auch noch lächelnd zu jonglieren, abnimmt, ist bekannt. Dass unter diesen Bedingungen eine kurze Arbeitswoche besonders viel von uns abverlangt, liegt auf der Hand.

Welche Berufsgruppen oder Jobs besonders von solchen Leistungsspitzen betroffen sind? „Die Frage ist eher: Welche sind nicht betroffen? Vielleicht Frisöre oder Gärtner. Aber sonst gibt es kaum mehr Jobs, in denen sich die Arbeit nicht permanent stauen würde und Dinge parallel erledigt werden müssen“, so Hufnagl. „Sie werden auf der anderen Seite auch kaum noch einen Kunden finden, der nicht ungeduldig ist und Druck aufbaut.“

Besondere Sorgfalt

Und weil der Mai gleich vier Arbeitstage schluckt, ist im Job besondere Sorgfalt geboten: Unter Zeitdruck machen wir mehr Fehler, nehmen den erstbesten und nicht den kreativen Weg. „Wir werden ungeduldig, oberflächlich und ineffizienter“, sagt Hufnagl. In diesem Modus schaffen wir von einer Arbeitsstunde höchstens 20 Minuten lang wirklich effizient zu sein.

In kurzen Wochen schützt das Arbeitsrecht Mitarbeiter davor, sich zu viel zuzumuten. Sara Pöcheim, Arbeitsrechtsexpertin in der AK Wien: „Als Arbeitnehmer schulde ich dem Arbeitgeber grundsätzlich ein Bemühen. Wenn in eine Woche ein Feiertag fällt, gibt es keine Verpflichtung, diesen einzuarbeiten. Dies widerspräche ja dem Sinn des Feiertages.“ In der Praxis wird das nicht immer eingehalten. Silvia Hruska-Frank, stellvertretende Leiterin der Abteilung Sozialpolitik in der AK Wien, berichtet von unterschiedlichen Erfahrungen. „Einige erzählen, dass sich die Arbeit an den Arbeitstagen vor den Feiertagen verdichtet – oft im Handel oder bei den Dienstleistungen. Vor allem im Tourismus oder in der Gastronomie haben manche dann mehr Arbeit zu den Mai-Feiertagen. Andere wiederum spüren keinen Effekt, weil sie, wie etwa in Krankenhäusern oder in der Industrie, mit rollierenden Dienstplänen arbeiten.“ Die tägliche Höchstarbeitszeit-Grenze von zehn Stunden aber „gilt unberührt davon, ob in einer Woche ein Feiertag ist“, so Hruska-Frank. Feiertage würden von den Arbeitnehmern grundsätzlich positiv aufgenommen.

Cortisol pusht uns

Dass wir in Arbeits-Hoch-Zeiten leistungsfähig bleiben, ist dem Hormon Cortisol zu verdanken. „Cortisol produziert man, wenn man im Stress ist. Es hilft uns, kurzfristig durchzuhalten, es mobilisiert Energie-Reserven und unterstützt unser Immunsystem.“ Problem: Flaut der Cortisol-Spiegel ab, macht uns das mürbe, lustlos. „Viele erleben dann Erschöpfung in der erstmöglichen Entlastungsphase: Am Wochenende hat man Kopfschmerzen, am dritten Tag des Urlaubs bricht plötzlich eine Verkühlung aus“, so Neurobiologe Hufnagl.

Spaß pusht uns

Ein zweiter Grund, warum wir unter Druck leistungsfähig bleiben ist: Der Job macht uns einfach Spaß. Der sogenannte Eustress, den wir erleben, löst in uns Mut und Freude aus – und nicht etwa Erschöpfung. Bernd Hufnagl definiert im Umkehrschluss also eine simple Ursache für das Arbeits-Hangover-Gefühl: Wer es hat, hat genug vom Job. Keine guten Nachrichten für ein Drittel der Arbeitnehmer in Österreich, die sich im Job ausgelaugt und negativ gestresst fühlen. Hufnagl betont: „Es ist nicht die Menge der Arbeit an sich, die uns fertigmacht. Sondern das Gefühl der Sinnlosigkeit. Immer mehr Menschen erleben keinen Sinn im Job, sind eher Passagier und nicht Pilot.“ Der Hirnforscher ist der Meinung, dass nur Freude am Job ein temporäres höheres Arbeitspensum wettmachen könne. „Die Mai-Feiertage sind kein Problem für Menschen, die das Gefühl haben, Sinnvolles zu machen. Das hält wach, gesund und leistungsfähig.“

Interview: „Vom PC ins Bett funktioniert nicht“ 

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KURIER: Warum sind heute so viele Arbeitnehmer nach getaner Arbeit erschöpft?
Martina Neubauer:
Eine Voraussetzung, um sich zu erholen, ist die Fähigkeit, sich zu distanzieren. Wenn man das weniger gut kann, dann grübelt man  nach der Arbeit weiter  und erholt sich nicht.

Kann man lernen, sich zu distanzieren?  
Ja, durch Zeithygiene. Indem man die Arbeit immer wieder unterbricht, Pausen macht, sich  Zeiten für die Erholung reserviert. Es gibt eine Untersuchung, der zufolge Bewegungs- und Entspannungspausen besser sind als freie Pausen. Das kann ein Spaziergang sein, um   Essen zu kaufen, oder auf dem Weg zur Arbeit eine U-Bahnstation früher auszusteigen.
 
Wie kann Erschöpfung vermieden werden?
Grundsätzlich können wir  mit Stress umgehen. Wird die Belastung aber chronisch, hat das Konsequenzen. Ideal ist es, in einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Aktivierung und Entspannung zu pendeln. Das können fünf bis zehn Minuten Pause pro Stunde sein. Unserem Tagesrhythmus zufolge gibt  es nach 90 bis 100 Minuten ein Leistungstief – ein guter Zeitpunkt für eine Pause.

Machen die Arbeitnehmer zu wenige Pausen?
Sie neigen dazu, Pausen einzusparen. Die meisten arbeiten lieber durch, um früher fertig zu sein. Pausenhygiene ist daher für die Vermeidung für Erschöpfung sehr wichtig. Mehrere kürzere Pausen sind effektiver als wenige lange.

 Immer mehr erschöpfte Mitarbeiter: Hat das auch  mit der Veränderungen der Arbeitswelt zu tun?
Die Invaliditätspensionen wegen psychischer Erkrankungen sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Firmen beobachten vermehrt Langzeitkrankenstände sowie Frühpensionierungen. Das hat mit der Zunahme des Zeitdrucks und der kurzfristigen Deadlines  zu tun. Die Arbeitswelt hat sich hin zu mehr Zuständigkeiten für den Einzelnen gewandelt. Dadurch gehen Erholungsphasen verloren.

Was konkret erschöpft die Menschen?  
Eine Kombination von zu wenig Erholungsmöglichkeiten, geringe Distanzierung vom Arbeitsalltag und veränderten Arbeitsbedingungen wie  Zeitdruck oder fehlende Rückzugsräume im Großraumbüro, wo man in Ruhe telefonieren und arbeiten kann.  Aber auch Lärm.  

Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat wiederkehrende Erschöpfung?
Innere Unruhe, Schlafstörungen wie Einschlaf- oder Durchschlafprobleme, Verspannungen, Herz-Kreislauf-Probleme, psychosomatische Erkrankungen aber auch Panik- und Angstattacken sowie Depressionen.

Wie kann den Menschen geholfen werden?
Man schaut sich die Möglichkeiten an, wie der Betroffene in eine Entspannungsphase kommt. Welche Strategien hat die Person bereits? Dann schaut man sich die Tagesstruktur an und wie Regenerationsphasen verteilt sind. Ein großer Faktor für eine gute Regeneration ist die Schlafqualität. Wir schauen uns  die Mediennutzung am Abend an, ob Ruhephasen vor dem Schlafen eingebaut sind.

Wie ist das bei Nachtarbeitern?
Sie brauchen nach Arbeitsende eine bestimmte Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Vom PC ins Bett wird nicht funktionieren.  Da wird man zwei Stunden dazwischen verstreichen lassen müssen. In dieser Zeit fernzusehen ist wegen des blauen Lichts, das die Melatoninausschüttung verhindert und  wach hält, aber nicht ratsam.

Erschöpfte Mitarbeiter: Wie können Arbeitgeber in die Pflicht genommen werden?
Es gibt Firmen, die an Feiertagen keine beruflichen Mails weiterleiten. Führungskräfte sollten diesbezüglich mit gutem Beispiel voranzugehen.  Die Evaluierung  psychischer Belastungen, zu der  Unternehmen verpflichtet sind, zeigt den Stress der Mitarbeiter. Das ist ein gutes Instrument, um die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten.