Wirtschaft/Karriere

Alphas im Kampf um die Macht

Der anonyme Sager hatte es in sich: „Den schwitzen wir auch noch aus“, zitierte die FAZ am 25. April einen Mitarbeiter aus dem Siemens-Standort Erlangen. Gemeint war der kurze Zeit später demontierte Konzernboss Peter Löscher.

Schon damals mutmaßte die FAZ, dass Finanzchef und Vorstandsmitglied Joe Kaeser als „Schattenchef“ am Stuhl des CEO säge. Er lieferte verbindliche Aussagen zur Lage des Konzerns, wo Peter Löscher sich mit Allgemeinplätzen aufhielt. Löscher verlor sukzessive an Boden, weitere Kritiker im Vorstand hatte er angeblich auch mit Peter Süß und Siegfried Russwurm.

In Österreich trat der langjährige Vorstandsvorsitzende der Raiffeisenbank International, Herbert Stepic, im Mai zurück, als seine Wohnungskäufe über Offshore-Gesellschaften bekannt wurden. Alles andere als freiwillig, sagt ein Insider: „Das war eine Demontage, wie sie im Buche steht.“

Erst wird demontiert, dann wird dementiert. Offiziell werden interne Machtkämpfe niemals zugegeben – zu sehr könnte das dem Ansehen schaden. Noch am Montag beteuerte Kaeser in den Nürnberger Nachrichten, nicht an Löschers Ablösung beteiligt gewesen zu sein.

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Tatsache ist: Hat der Vorstandschef keinen Rückhalt mehr im Unternehmen, sind seine Tage gezählt. Und das zugunsten der Vorstandsmitglieder. Denn sie haben beste Chancen, der nächste CEO zu werden.

71 Prozent der CEOs weltweit wurden im Vorjahr aus der bestehenden Führungsriege rekrutiert, ergab eine Studie von Booz & Company. Hierzulande können sie sich sechs Jahre im Chefsessel halten. 14,5 Prozent der ausgeschiedenen CEOs im deutschsprachigen Raum wurden zum Rücktritt gezwungen.

Destruktive Konflikte

Johann Kandelsdorfer hatte viele Management-Positionen inne, war immer wieder bei Vorstandssitzungen dabei. Zuletzt war er Geschäftsführer der OMV Global Solutions, heute führt er seine eigene Unternehmensberatung EBA. Aus seiner Erfahrung seien Machtkämpfe in den Vorständen die Regel. „Bringt der Vorsitzende die Mitglieder auf einen unterschiedlichen Informationsstand, sind destruktive Konflikte programmiert“, sagt er. Er brauche vor allem zwei Fähigkeiten, sagt Kandelsdorfer: „Fingerspitzengefühl und Menschenkenntnis: Er muss das Umfeld im Griff haben, darf niemanden ausgrenzen. Denn das rächt sich.“

Wirtschaftsmediator und Konfliktcoach Christof Baum sieht Konflikte als „Motor für Veränderung, solange man konstruktiv mit ihnen umgeht“. Das sei im Vorstand oft nicht der Fall. Ein Grund sei der starke Druck von außen: Die Vorstände müssten sich mit hohen Erwartungen herumschlagen – von Eigentümern, Aufsichtsräten, Aktionären, den Kollegen, der Belegschaft. „Da ist es oft schwierig, seinen Weg zu gehen“, sagt Baum. Den Vorständen würde helfen, mehr Sensibilität für die eigenen Bedürfnisse zu entwickeln. Denn: „Die meisten haben gelernt, sich ausschließlich auf sich selbst zu verlassen. Da sind sie auch schnell verlassen.“

CEO baut Vorstand um

Um offenbar genau das zu verhindern, baute Franz Struzl, Chef des Feuerfestkonzerns RHI, im vergangenen Juni seinen Vorstand um. Giorgio Cappelli und Manfred Hödl, langgediente Konzernsoldaten, mussten gehen. Gerüchten zufolge wollte Struzl mit dem Umbau Vertraute um sich scharen und seine Macht weiter festigen.

Konflikte würden oft gar nicht erst ausgetragen, sagt Mediator Baum: „Statt konstruktiv damit umzugehen, wird in den Unternehmen jahrelang kalter Krieg geführt.“ Fehler würden zu lange nicht eingestanden, die Verantwortung dafür nicht übernommen. „Anstatt zu sagen, wir haben im Team einen Fehler gemacht, wird ein Schuldiger gesucht.“ Der seinen Sessel räumen müsse und in der Öffentlichkeit desavouiert werde. Dass die Alphamenschen emotionale Intelligenz zu wenig einsetzen, meinen auch die Buchautoren Kai W. Dierke und Anke Houben (siehe Interview).

Doppelspitze im Clinch?

Auch bei gemeinsamer Führung – und geteilter Macht – sind Konflikte keine Seltenheit. Als Dreamteam wurden Jim Hagemann Snabe und Bill McDermott noch im Februar tituliert. Sie hatten den Softwarekonzern SAP aus der Krise zum Rekordgewinn geführt. Ende Juli wurde bekannt: Das Dreamteam hat ausgeträumt, Jim Hagemann Snabe gibt 2014 die Führung ab. Offiziell will er sich seiner Familie widmen. Laut Insidern soll McDermott ihn in einem monatelangen Machtkampf verdrängt haben.

Die Vorstände sind laut Baum und Kandelsdorfer gut beraten, aufeinanderzuzugehen. Allein schon, weil sie als Vorbilder dienen. Denn interne Konflikte haben drastische Folgen: Laut einer KPMG-Studie verliert ein Unternehmen dadurch im Schnitt jährlich 500.000 Euro. Die Produktivität sinkt, die Unsicherheit in der Belegschaft steigt, Krankenstände nehmen zu. Spätestens dann ist es Zeit, miteinander zu reden.

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Die deutschen Managementcoaches Kai W. Dierke und Anke Houben bringen Vorständen bei, offen und konstruktiv Auseinandersetzungen zu führen. Ihr aktuelles Buch „Gemeinsame Spitze – wie Führung im Top-Team gelingt“ (Campus Verlag, € 41,20) beleuchtet die Schwierigkeiten in der obersten Etage.

KURIER: Gehört Machtkampf im Vorstand zum Alltag?

Kai W. Dierke: Machtkampf findet dann statt, wenn der produktive Konflikt zwischen Inhalten in einen unproduktiven Konflikt zwischen Personen kippt. Dieses Risiko ist ganz oben groß.

Woran liegt das?

Anke Houben: Man ist unter Gleichen. 60 Prozent der CEOs werden aus dem bestehenden Vorstand rekrutiert. Wie im Fall Kaeser und Löscher: Der Finanzchef wird zum CEO. Vorstände sind Alphamenschen, erfolgsgetrieben, durchsetzungsstark. Im Team mit anderen Alphas werden diese Stärken schnell zu Schwächen, zu Verbissenheit. Drittens: Die emotionale Intelligenz, die Fähigkeit zur Empathie nimmt in der Hierarchie von unten nach oben ab. Im Glauben an die eigene Dominanz meinen Alphas, sich den Perspektivenwechsel sparen zu können. Dabei hätten gerade sie Vorbildfunktion.

Was bedeutet das für die Zusammenarbeit im Vorstand?

Dierke: Dass die Mitglieder sehr vorsichtig miteinander umgehen. Jeder weiß um die Explosivität des anderen. Sie vermeiden Konflikte, unproduktive Pseudoharmonie entsteht. Entscheidungen werden verschleppt – höchst schädlich für den Unternehmenserfolg.

Inwiefern?

Dierke: Der ungelöste Konflikt wird auf die zweite Führungsebene verlagert. Die wiederum kann den Konflikt auch nicht lösen. Die Organisation versagt.

Houben: Wenn der Vorstand Konflikte nicht offen anpackt, führt das zu Vertrauensverlust auf der zweiten Ebene – und zur Verunsicherung im Unternehmen.

Was kann man dagegen tun?

Dierke: Nachwuchsführungskräfte auswählen, die emotionale Intelligenz mitbringen. Und sie im Top-Team stärken – durch Reflexion. Das ist Aufgabe des CEO.

Houben: Man achtet oft nur auf die Zusammensetzung des Teams, nicht auf die Zusammenarbeit. Den CEO auszutauschen, bringt nicht viel.