Komm runter!
Von Andrea Hlinka
Schneller, schneller, schneller. Wir sind zu einer Gesellschaft der Beschleunigung verkommen. Der Soziologe Hartmut Rosa schreibt in seinem aktuellen, hochgelobten Essay Beschleunigung und Entfremdung: „Fast Food, Speed Dating, Power Naps und Drive-Through Funerals demonstrieren unsere Entschlossenheit, das Tempo alltäglicher Handlungen zu beschleunigen.“ Computer würden schneller rechnen, Kommunikation und Transport nur noch einen Bruchteil der Zeit benötigen, Menschen weniger schlafen – die durchschnittliche Schlafdauer hat seit dem 19. Jahrhundert um zwei Stunden abgenommen, seit den 70er-Jahren um weitere 30 Minuten.
Diese Entwicklungen hätten mehr Freizeit verheißen können. Doch wir genießen nicht mehr freie Zeit, sondern wollen immer mehr in derselben Zeit unterbringen – und leiden deshalb tragischerweise unter Zeitknappheit – beruflich wie privat. „Wir müssen jedes Jahr schneller rennen, nur um mithalten zu können“, schreibt Rosa. Das erschöpft.
„Wir müssen jedes Jahr schneller rennen, nur um mithalten zu können.“ Das macht irgendwann krank. Wer früher zehn Briefe schrieb, hat zehn zurückbekommen. Wer 70 Mails schreibt, bekommt 50 zurück und schreibt zusätzlich 30 neue. Laut der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sind die Hälfte der Arbeitnehmer in ganz Europa der Ansicht, dass Stress an ihrem Arbeitsplatz häufig vorkommt. 54 Prozent der Führungskräfte haben laut einer im Oktober veröffentlichten Studie des Hernstein Instituts Erfahrungen mit Burn-out bei einem Mitarbeiter gemacht. Solange Sprüche wie „Jeder ist ersetzbar“ oder „Qualität kommt von Qual“ im Sprachschatz der Führungskräfte sind, wird die Zahl auch weiter zunehmen. Schon jetzt verursachen psychosoziale Erkrankungen jährlich 800 Milliarden Euro Kosten in der EU.
Hirngerechtes Arbeiten
Bernd Hufnagl studierte Biologie und Medizin mit dem Schwerpunkt Neurobiologie. Sein Spezialgebiet ist das hirngerechte Arbeiten. Er erklärt: „Nach einer Anstrengung kommt es vor, dass unser Gehirn Dopamin, ein Belohnungshormon, ausschüttet – aber nur, wenn wir zeitnah sehen, wofür wir uns anstrengen.“ Genau das sei in der digitalisierten Welt der Industrieländer kaum noch der Fall. „Büro, Schreibtisch und Desktop sehen morgens wie abends gleich aus, mit der Konsequenz, dass wir geringe innere Belohnung verspüren. Die Anstrengung wird zum Selbstzweck und das Gefühl, die Arbeit nicht mehr bewältigen zu können, nimmt zu.“ Es sei nicht die Menge an Arbeit, die zum Zusammenbruch führt, sondern das Gefühl, sie nicht mehr bewältigen zu können. Überlastete Menschen sprechen laut Hufnagl oft vom Gefühl, Passagier zu sein, keinen Spielraum mehr zu haben. „Gelernte Hilflosigkeit – mit fatalen Konsequenzen.“ Die Führungskraft bekommt hier eine neue zentrale Funktion: Sie muss beruhigen können.
Der Gegentrend
Eine ganze Industrie hat sich rund um das Thema Entschleunigung erhoben: Manager ziehen für einige Tage ins Kloster ein, machen Yoga und üben sich in Meditation. Sie sollen auch tatsächlich helfen, diese Kurz-Ausstiege (wir haben rechts sechs Möglichkeiten zusammengetragen). Bernd Hufnagl: „Während man sich auf eine Sache konzentriert, lernt unser Gehirn, negative Gedanken auszublenden: erhöhte Aufmerksamkeit, die zu innerer Beruhigung führt, ist die Folge.“
Doch dienen diese Pausen dann nicht wieder nur dem Zweck, danach umso erfolgreicher, innovativer und kreativer zu sein? Nur um dann erneut erschöpft festzustellen, wie schnell das Leben vorbeizieht? Jedenfalls kann sich laut Hufnagl durch erhöhte Achtsamkeit retrospektiv die Zeitwahrnehmung positiv verändern.
Den Stress zu bändigen, ist nicht leicht. Die Gegenwart wieder zu erleben und weniger Ablenkung zuzulassen, aber ein Anfang.
Wer eine Stunde im Multitasking-Modus arbeiten, konzentriert sich nur 20 Minuten. Wir lassen uns nicht nur von außen ablenken – von Anrufen, Kollegen und Mails, die am Bildschirm aufscheinen, während wir eine Excel Tabelle erstellen – sondern zwingen uns selbst dazu, schauen nach wenigen Minuten aufs Handy, ob wir einen Anruf verpasst haben – so haben wir es uns selbst antrainiert. Hören Sie damit auf. Versuchen Sie, konzentriert bei einer Aufgabe zu bleiben und nicht gleichzeitig an mehreren Baustellen zu arbeiten. Trauen Sie sich, die Pop-up-Funktion bei den Mails auszuschalten. Legen Sie mit Kollegen Störungs-Spielregeln fest.
Stress definierenFür jeden Stress, jede Anspannung gibt es einen oder mehrere Auslöser. Die Gedanken kreisen darum. Finden Sie die Stress-Ursache und durchbrechen Sie das Muster.
Reduzieren„Das Leben in all seinen Zügen, seinen Höhen und Tiefen und seiner Komplexität auszukosten wird zum zentralen Streben des modernen Menschen“, schreibt der Soziologe Hartmut Rosa. Doch leider hat die Welt stets mehr zu bieten, als wir in einem Leben erfahren könnten. Wer das erkennt, kann ein wenig ruhiger bei einer Sache bleiben.
AtmenWir haben uns zu einer Gesellschaft der Einatmer entwickelt. Unter Druck und wenn wir uns konzentrieren, halten wir die Luft an – das führt zu noch mehr Spannung im Körper. Setzen oder stellen Sie sich aufrecht hin und versuchen Sie, tief in einer Wellenbewegung durch die Nase vom Bauch bis zu den Schlüsselbeinen zu atmen. Zählen Sie bei der Einatmung langsam bis vier, bei der Ausatmung bis fünf.
SchaffenDass etwas zu schaffen glücklich macht, zeigte eine britischen Studie, derzufolge Friseure, Tischler und Gärtner eine höhere Dopaminausschüttung haben als abstrakte Arbeiter. Tun Sie etwas, wo sie zeitnah ein Ergebnis sehen. Wir haben oft das Gefühl, nicht das zu tun, was wir wollen – obwohl wir nicht gezwungen werden. Machen Sie, was Sie wollen, schieben es nicht auf.
Bewegung & SelbstgesprächBewegung ist noch immer die beste Medizin, denn man baut Stresshormone ab und setzt Glückshormone frei. Forscher haben herausgefunden, dass auch der innere Dialog dabei helfen kann, Stress abzubauen und Probleme schneller und besser zu lösen. Hans-Dieter Hermann von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement sagt, dass es ruhig leise und fast in Gedanken ablaufen könne. Sich sagen „Der kocht auch nur mit Wasser“ oder „Ich gehe jetzt Schritt für Schritt vor“.