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"Keine McDonaldisierung der Unis"

Hongkong ist für Österreicher unvorstellbar dicht besiedelt: Auf 1104 km² leben 7,3 Millionen Einwohner – Österreich hat 83.855 km² für 8,58 Millionen Bewohner. Wie der Platzmangel in dieser Sonderverwaltungszone Chinas das Hochschulsystem beeinflusst und woran sich Universitäten an einem der großen Finanzplätze der Welt orientieren, beantwortet der Rektor der Chinesischen Universität Hongkong Joseph J.Y. Sung.

KURIER: Kürzlich wurde das Times Higher Education Reputation Ranking veröffentlicht. Ihre Universität ist nicht unter den Top 100. Ebenso wenig wie die Universität Wien.

Joseph J.Y. Sung: Stimmt, aber wir warten auf das Gesamtranking. Dem Reputationsranking liegen keine harten Fakten zugrunde. Ich denke, dass Universitäten mit vielen geisteswissenschaftlichen Studiengängen – wie unsere beide Unis – generell einen Nachteil bei Rankings haben. Denn Geisteswissenschaftler publizieren weniger in Fachzeitschriften und legen ihre Schwerpunkte eher regional. Das ist für die globale Forschungsgemeinde nur bedingt interessant. Forschungsergebnisse der Physik oder Medizin finden global Beachtung.

Hongkong ist ein hoch kompetitiver Ort. Was sind die Faktoren für eine wettbewerbsfähige Uni?

Es gibt keine Formel für alle. Aber ich tendiere dazu, dass eine Universität nicht zu groß sein darf, weil sie dadurch schwierig zu managen wird. Ich habe das Gefühl, dass unsere Universität mit 24.000 Studierenden und 1500 akademischen Mitarbeitern die richtige Größe hat. So ist zwischen Professoren und Studierenden Interaktion möglich und Professoren können gewissermaßen Mentoren sein.

Sie sagen, dass Universitäten im globalen Wettbewerb, lokal verankert sein müssen. Wieso?

Studierende und Wissenschaftler können heute überall auf der Welt studieren und arbeiten. Das bedeutet einen enormen Wettbewerb der Universitäten um die besten Wissenschaftler und Studenten. Aber sie wählen eine Universität auch wegen ihrer einzigartigen Identität aus, wegen der Kultur. Ich bin gegen die McDonaldisierung der Universitäten, wo alle denselben Standards hinterherlaufen, alle denselben Burger anbieten. Der Vorteil der Globalisierung ist, dass sie eine goldene Chance bietet, gemeinsam Bahnbrechendes für die Menschheit zu tun.

Heben Sie Studiengebühren ein?

Ja, aber sie sind sehr niedrig: Für ein Jahr, also zwei Semester, sind es rund 5000 Euro.

Österreichische Unis heben fast keine Studiengebühren ein.

Wirklich? Damit können wir nicht dienen.

In Hongkong wurde 2012 das Bildungssystem umgebaut: Das Undergraduate-Studium dauert nun statt drei vier Jahre. Was war der Grund dafür?

Dafür wurde die Schule um ein Jahr verkürzt und die Hochschullehre im ersten Jahr breiter aufgestellt. Der Grund ist, dass Bildungsexperten in China, Hongkong und den USA annehmen, dass drei Jahre für ein Universitätsstudium zu kurz sind – wir orientieren uns an diesen Ländern und weniger am europäischen und britischen System. Das erste Jahr braucht man um sich zurechtzufinden, das letzte Jahr ist man mit dem Abschluss beschäftigt und der Suche nach einem Job. Bei drei Jahren würde nur ein Jahr übrig bleiben, um das Studium zu genießen.

Wie hat Ihre Universität den Wechsel verkraftet?

Wir hatten dadurch doppelte Jahrgänge zu bewältigen und mussten mehr Raum schaffen. Sonst aber gut.

Wie reagiert der Arbeitsmarkt auf die Veränderung? Ist es in Hongkong schwierig, mit einem Bachelor einen Job zu bekommen?

Nein. Unsere Arbeitslosenrate liegt generell nur bei drei Prozent. Wir haben das Problem, dass die Löhne in den vergangenen 15 Jahren nicht gestiegen sind, die Preise jedoch massiv – speziell die Wohnkosten. Unsere Absolventen werden sich nie eine Wohnung oder ein Haus kaufen können – außer die Eltern bezahlen es. Das frustriert sie.

Bis in den Jänner hinein wurde in Hongkong protestiert – vor allem Junge gingen auf die Straße.

Weil sie keine Hoffnung sehen, ihren Lebensstandard selbst zu verbessern.

Und weil sie freies Wahlrecht forderten.

Ja, weil die Demonstranten denken, dass das jetzige System Reiche begünstigt. Und ein anderes System das nicht tun würde.

Sie schrieben während der Proteste auf Ihrem Blog, dass Sie verstehen, warum Ihre Studierenden protestieren. Aber forderten sie gleichzeitig dazu auf, an die Universität zurückzukehren. Wieso?

Sie waren zu dem Zeitpunkt lange auf der Straße und man weiß nie, wann die Situation kippt. Wir haben uns Sorgen gemacht, wollten niemanden verletzt oder tot sehen. Alle Rektoren haben ihre Studierenden dazu aufgerufen zurückzukehren. Ich verstehe ihre Frustration, und sie haben die Freiheit, ihre Meinung kundzutun. Aber sie haben die Gesellschaft massiv gestört. Ihre Stimmen wurden gehört. Sie müssen der Regierung auch Zeit geben, etwas zu ändern – das geht nicht über Nacht.

Joseph J.Y. Sung machte seinen Bachelor of Medicine an der University of Hong Kong 1983, seinen PhD in Biomedical Sciences 1992 an der University of Calgary, Kanada und 1997 seinen Medical Doctor an der Chinese University of Hong Kong, wo er heute die Position des Rektors innehat. Joseph J.Y. Sung ist einer der führenden Experten im Bereich Gastroenterologie und wurde mehrfach ausgezeichnet. Er hat 680 Artikel in renommierten Fachzeitschriften verfasst.