Karrieren bis in alle Ewigkeit
80,7 Jahre. So lange leben Österreicher im Schnitt. Das durchschnittliche Alter, mit dem wir uns in den Ruhestand verabschieden, liegt bei 58,5 Jahren. Die 22,2 Jahre die dazwischenliegen machen Sorgen. Denn sie kosten Geld. Viel Geld.
Wie kann man Ältere länger aktiv am Arbeitsmarkt halten – das ist die Frage. Die Antwort fehlt. Noch. Aubrey de Grey ist einer, der darüber nachdenkt und zwar im großen Stil. "Warum bezahlen wir Leute ab 65 für das Nichtstun? Weil sie uns leid tun. Weil wir wissen, dass sie bald krank werden und sterben", sagt der britische Biogerontologe. Ein Problem, das er lösen will. "Was, wenn Altern einfach die schlimmste Krankheit im menschlichen Leben ist – und was, wenn das heilbar ist?", fragt er sich und in die Welt.
Trifft man Aubrey de Grey, so weiß man auf den ersten Blick: Wenn er vom Ende des Alterns spricht, dann meint er damit nicht Äußerlichkeiten. Der in Cambridge ausgebildete Vordenker in Sachen ewig jung und gesund gibt sich keinem Jugendkult hin. Bis zum Bauch reicht der Bart, über den er sich immer wieder streicht. Die grauen Haarsträhnen sind nicht zu übersehen, ebenso wenig die Rötungen der Haut.
Innerlich aber brennt der wissenschaftliche Leiter der kalifornischen SENS Foundation mit jugendlichem Feuer, wenn er von den ihm entwickelten Strategien zur Bekämpfung des Alterns erzählt. Altern, so de Grey, kann man wie eine Krankheit auf ungünstige biochemische Prozesse zurückführen. Diese könnte man durch regelmäßige Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen rückgängig machen. Anders als Kollegen – der österreichische Arzt Johannes Huber etwa schrieb schon 2005 sein Buch "Das Ende des Alterns" – setzt er aber nicht auf Dinner Cancelling, grünen Tee und Jogging. Reparatur statt Prävention ist sein Motto. "Wie bei Oldtimern, die wurden auch nicht gebaut um heute noch zu fahren – tun es aber trotzdem", erklärt er.
Spritzen gegen das Altern
Wird es irgendwann tatsächlich Spritzen und Pillen gegen altersbedingte Wehwehchen geben? Die wissenschaftliche Akzeptanz des 1963 in London geborenen Informatikers ist umstritten. Für die einen ist er Genie, für die anderen Spinner. Der Bart, der asketisch-ausgemergelte Körper, die fahrigen Bewegung, der Althippie-Anzug – de Grey erfüllt perfekt das Stereotyp des verrückten Forschers. Ein Porträt in der Technology Review löste 2005 eine so stürmische Diskussion aus, dass man 20.000 Dollar für eine streng wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinen Thesen aussetzte. Eines erreicht de Grey: Man hört ihm zu: Die Öffentlichkeit und die Forschungswelt. Ruft er zu einer Konferenz, kommen die Großen.
Flexible Karrierewege
Wenn seine Idee gelingt und er das Altern als Todesursache abschafft – von herabfallenden Klavieren, so de Grey, können wir weiterhin erschlagen werden – hat das Folgen: "Überbevölkerung, Ungerechtigkeiten beim Zugang zu den Instandhaltungsmaßnahmen, unsterbliche Diktatoren", zählt er die negativen auf. Lieber denkt er positiv: "Flexiblere Karriere-Strukturen, Ältere haben mehr Energie um Neues zu probieren und sind keine Belastung mehr für ihre Kinder – was enorme ökonomische Konsequenzen haben wird." Über eine neue Verteilungsgerechtigkeit und ob es Arbeit an sich dann noch gebe, müsse man auch nachdenken.
De Grey selbst jedenfalls hat den Karrierewechsel vom Informatiker zu Biogerontologen geschafft. Wohin es mit seiner Karriere noch geht, falls er wirklich 1000 Jahre alt wird? Glauben wir seinen Thesen, werden wir es alle erleben.
KURIER: Sie sagen, das Ende des Alters würde zu flexibleren Karrierewegen führen. Wie wird das aussehen?
Aubrey de Grey: Ich könnte über periodischen Ruhestand oder multiple Karrieren spekulieren – aber ehrlich, das ist kein wahrscheinliches Szenario. Denken Sie an das rasche Voranschreiten der Automatisierung. Wir müssen ernsthaft restrukturieren, wie Vermögen erworben und verteilt wird. Arbeit wird ein Ding der Vergangenheit sein, lang bevor es das Altern ist.
Wie wird sich das Ausbildungssystem verändern?
Wir werden weit mehr Gebrauch von Erwachsenenbildung und Umschulung machen als heute. Das bedeutet, dass Menschen, die früh im Leben den Kürzeren ziehen, später aufholen können. Jeder kann breit gefächerte und viele Spezialisierungen erwerben.
Wie kann unserer Psyche mit einem ewig gesunden Körper mithalten?
Wie wir fühlen, denken und handeln ist eine Konsequenz der Perzeption unserer Zukunft, nicht unserer Vergangenheit. Heute gilt: Je mehr Vergangenheit wir haben, desto weniger Zukunft gibt es. Eliminieren wir die Gesundheitsprobleme des Alters, eliminieren wir diese Korrelation. Jeder kann dann die gleiche Qualität und Quantität der Zukunft erwarten, egal wann er geboren wurde.
Wo sehen Sie sich mit 100?
Dass ich dabei helfe, das neueste größte Problem der Menschheit zu lösen. Irgendwie scheint das das zu sein, was ich gerne tue.