Karriere machen? Das kann nicht jeder
Von Andrea Hlinka
Aufgewachsen in einer kleinen Wohnung, kein Geld für Fußballschuhe oder Schulausflüge. Aber der unbändige Wille sich durchzubeißen, zu lernen und hart zu arbeiten, bis die Sonne aufgeht, wird dann doch belohnt mit Erfolg und Macht.
Wir hören sie gerne, die Geschichten, die erzählen, wie der unbeirrbare Held seinen Weg trotz aller Widrigkeiten geht und am Ende triumphiert. Diese Heldenlaufbahnen gibt es auch in der Realität (siehe Beispiele unten). Doch der Aufstieg des Tellerwäschers zum Millionär ist eine Ausnahme. Denn der Stallgeruch übertüncht den Schweiß der harten Arbeit fast immer.
1. Du kannst alles werden
Eltern erzählen ihren Kindern gerne, dass sie alles werden können, was sie wollen. Dabei ist in Österreich Chancengleichheit – so unglücklich das macht – nach wie vor eine Illusion: Karriere wird immer noch meist in die Wiege gelegt, Bildung vererbt – auf Menschen mit Migrationshintergrund trifft das noch in stärkerem Ausmaß zu. "Es liegt nicht im Selbstverständnis eines Jugendlichen aus einer niedrig qualifizierten Familie, ein Studium zu beginnen", sagt der Soziologe Kenan Güngör, der sich selbst als deutschsprachigen Europäer mit kurdisch-türkischen Wurzeln bezeichnet.
Generell erreicht in Österreich nur ein sehr geringer Anteil der Bevölkerung einen höheren Bildungsabschluss als die Eltern. Bei den 26- bis 64-Jährigen schaffen nur in Deutschland und Tschechien noch weniger den Aufstieg, zeigte die OECD-Studie Bildung auf einen Blick 2014. Auch eine Studie, die kürzlich vom Fördergeber FWF veröffentlicht wurde, bestätigt, dass Erfolg zwar ein Produkt aus vielen unterschiedlichen Faktoren ist, doch am wichtigsten ist der soziale Habitus. Projektleiter Wolfgang Mayrhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien erklärt: "Wenn die Mutter und der Vater schon jemand waren, dann ist deine Chance höher hinauf zu kommen, auch höher." Denn man bekäme von zu Hause eine bestimmte habituelle Veranlagung mit, die im gehobenen Kontext anschlussfähiger machen würden. Der Stallgeruch muss passen, denn der Leistungsvergleich ist in den höheren Positionen nicht das Zünglein an der Waage.
2. Die Schere wird kleiner
Die Gesellschaft wurde in den vergangenen Jahren durchaus durchlässiger. Der Anteil der Frauen an Hochschulen steigt seit Jahren immer weiter: So waren im vergangenen Wintersemester 53 Prozent der Studierenden an den öffentlichen Universitäten weiblich, 48 Prozent der Studierenden an den Fachhochschulen. An den Pädagogischen Hochschulen sind sogar drei von vier Studis Frauen. Und obwohl Frauen Männer auch in Sachen tertiäre Bildungsabschlüsse überholen (41,6 Prozent der Frauen und 38,3 Prozent der Männer haben einen Tertiär-Abschluss, Anm.) sind sie im Management noch immer deutlich unterrepräsentiert: Ende Juli waren laut der Beratungsfirma Ernst & Young nur neun von insgesamt 214 Vorstandsmitgliedern Österreichs börsennotierten Unternehmen Frauen. Das entspricht einer Quote von 4,2 Prozent. Zum Teil erklären diese beide Erhebungen, die noch immer hohen Einkommensunterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern: Frauen sind in den Bereichen tätig, die niedrig entlohnt werden und schaffen es kaum an die Spitze. Karriereforscher Mayrhofer: "Wir haben die Einkommen bei unseren Absolventen der Jahrgänge 2000 und 2010 untersucht. Die Schere hat sich in dieser Zeit kaum weiter geschlossen." Dass die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen in Österreich größer als anderswo ist, zeigte kürzlich auch ein OECD-Bericht. Der Stundenlohn liege 23 Prozent unter dem der Männer, eine der größten Einkommenslücken im OECD-Raum.
3. Jobwechsel – gut fürs Gehalt
Die traditionelle, stabile Karriere in einer (Groß-)Organisationen, das ist der Wunsch der meisten Europäer – und das seit mehr als 25 Jahren. Nicht die viel zitierte Freiheit, von überall zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit arbeiten zu können und den Job laufend zu wechseln.
Laut Mayrhofer steigt die Anzahl der Jobwechsel innerhalb der ersten zehn Karrierejahre bei den Jüngeren. Da die wahrgenommenen Jobalternativen in den vergangenen Jahren gesunken sind, findet die stabile Konzernkarriere mehr und mehr Anhänger. Einen positiven Einfluss auf das Einkommen haben Jobwechsel ohnehin nicht. Denn wer mehr Lohn auf seinem Gehaltskonto finden will, braucht vor allem eines: Erfahrung. Die Karrierejahre haben einen wesentlich stärkeren Einfluss auf Einkommenszuwächse als ein Jobwechsel.
4. Netzwerke helfen immer
Netzwerke bringen durchaus weiter – das stimmt. Aber wer Visitenkarten sammelt wie Selfies, bekommt dadurch weder Profil noch tiefgehende Beziehungen zustande. Denn bei Netzwerken geht es vor allem um Qualität. Wolfgang Mayrhofer erklärt: "Ein Netzwerk ist nur dann zuträglich, wenn auf Augenhöhe ein Geben und Nehmen ist. Dann hilft es." Laut dem Forscher tragen Netzwerke zudem weniger zum Einkommen bei, als die Fähigkeit sich und seine Leistung auch gut verkaufen zu können. Aber bitte nicht Dampfplaudern – das fliegt immer auf.
KURIER: Ihren Studien nach beeinflusst kein anderes Merkmal die Karriere so stark wie die soziale Herkunft. Vom Tellerwäscher zum Millionär – ein Mythos?
Wolfgang Mayrhofer: Es gab immer Ausnahmen. Aber der große Vorteil heute ist, dass die Reichweite wesentlich größer ist. Früher gab es die drei wichtigen Leute und haben die deine Ideen nicht unterstützt, war es vorbei. Wer heute eine gute App-Idee hat, kann sein Projekt auf eine Crowdfunding-Plattform stellen oder am anderen Ende der Welt suchen – und plötzlich geht etwas. Aber es ist eine Illusion, dass man unabhängig von der Herkunft die gleichen Chancen hat.
Kann Fleiß die Herkunft kompensieren?
Fleiß hilft. Aber kompensieren? Wenn jemand fleißig ist und über den richtigen Habitus verfügt, ist er dem überlegen, der nur fleißig ist. Man bekommt von zu Hause eine bestimmte habituelle Veranlagung mit, die im gehobenen Kontext anschlussfähiger macht. Es gibt Hinweise, dass dieser Habitus vor allem in der zweiten Karrierehälfte eine wichtige Rolle spielt. Dort ist es mit den harten Leistungsdaten schwierig. Da muss der Stallgeruch passen.
Welchen Stellenwert haben Netzwerke?
Ein Netzwerk ist nur dann zuträglich, wenn auf Augenhöhe ein Geben und Nehmen ist. Dann hilft es. Mir hat mein Professor damals außerdem gesagt: „Du musst schauen, dass sich die anderen fragen, wieso du noch keine Professur hast.“
Selbstmarketing also?
Das wiegt sogar mehr als die Netzwerke. Leistung verkauft sich nicht von alleine.
Welche Rolle spielt die Förderung durch das Unternehmen im Emporkommen?
Was wir in Österreich sehr genau beobachten ist, dass die Verantwortung für die Karriere ganz deutlich dem Einzelnen übergeben wird. Das fürsorgliche Unternehmen, das mitverantwortlich für die Karriereentwicklung ist – das, was man früher als relationalen Vertrag bezeichnet hat – löst sich immer weiter auf. Im Unterschied zu meiner Generation empfinden die jungen Leute das aber nicht als Verrat oder Betrug. Eher als teilweise befreiend und selbstverständlich.
Was sind die Konsequenzen dieses Wandels?
Dieser Wechsel vom relationalen Vertrag hin zum transaktionalen hat in den 80er-Jahren begonnen. Und obwohl die jetzige junge Generation am Arbeitsmarkt keine rebellische ist, ziehen sie schon Konsequenzen daraus. Sie akzeptieren das, nehmen das hin, aber lassen sich nicht vertrösten. Das eingesetzte Kapital muss sich unmittelbar verzinsen, sonst suchen sie sich Alternativen – vor allem die gut Ausgebildeten. Damit haben die Unternehmen weniger gerechnet. Das ist wirklich ein Mega-Shift, den wir hier beobachten.
Viel zitiert ist auch die neue fluide, grenzenlose Arbeitswelt. Ist das ein Trend?
Nur für ganz bestimmte Gruppen. Nur für die wirklich stark Nachgefragten. Aber ein genereller Trend ist das bestimmt nicht. Null.