Junglehrer auf Zeit – aber mit viel Elan
Von Nicole Thurn
Was willst du werden, wenn du 28 bist?", fragt der junge Mann mit der Hornbrille und dem schwarzen Vollbart. "Ärztin", murmelt das Mädchen und senkt verschämt den Blick.
Der junge Mann stellt diese Frage zurzeit gern. Adib Reyhani unterrichtet sozial benachteiligte Schüler. Nach dem Studium verschlug es den Volkswirt für vier Jahre in die Unternehmensberatung. "Ich wusste, dass ich das nicht ewig machen will", sagt er. Heute steht er jeden Tag in der Klasse und unterrichtet – ganz ohne Lehramt. Aber mit viel Idealismus.
Möglich macht es die im Vorjahr von Walter Emberger, einem Berater und "spätberufenen Lehrer" gegründete Initiative "Teach for Austria", Teil des weltweiten Bildungsnetzwerks "Teach for All". 22 Jungakademiker mit exzellentem Studienerfolg unterrichten bildungsbenachteiligte Schüler seit Anfang September für die nächsten zwei Jahre an kooperativen Mittelschulen, Hauptschulen und Polytechnischen Schulen in Wien, drei in Salzburg. Studiert haben sie Linguistik, IT, Molekularbiologie – nur eben kein Lehramt. Im Durchschnitt sind die "Fellows" 28 Jahre alt und haben bereits Berufserfahrung. Angestellt sind sie beim Stadtschulrat per Sondervertrag.
"Als Studiengangsleiter an einer FH habe ich gesehen, dass es Leute gibt, die fit sind fürs Studium, und solche, die es gerade noch schaffen", erklärt Gründer Walter Emberger seine Motivation. "Ich dachte, man muss viel früher bei den Potenzialen der jungen Leute ansetzen." Gerade, wenn es um sozial benachteiligte Schüler gehe. Emberger will auch das Lehrer-Image verbessern: "Wir bilden eine Arbeitgebermarke, wo die Besten eines Jahrgangs sagen: Ich möchte Lehrer werden."
Wie Clarissa Böck. Die 25-Jährige studierte Publizistik, Politikwissenschaft, Slawistik. Heute unterrichtet sie an einer Kooperativen Mittelschule in Wien sieben Fächer – "darunter Physik und Chemie, das hatte ich zuletzt bei der Matura". Der Idealismus sprüht aus ihren Augen: "Ich hatte selbst keine leichte Schulkarriere, habe erlebt, dass ein Lehrer viel verändern kann."
Hochmotiviert
Keiner der 25 wollte ursprünglich Lehrer werden – doch ausgewählt wurden sie im Assessment-Verfahren unter anderem gerade wegen ihrer Motivation. Gefragt waren nicht nur gute Noten, sondern erste pädagogische Erfahrungen und Führungsaufgaben. Ausgebildet wurden die Fellows in einem zweiwöchigen Online-Campus und einer sechswöchigen Sommerakademie. "Sie haben sich intensiv vorbereitet", sagt Lehrerbildner Johannes Mayr, der das Modul "Konflikte in der Klasse" auf der Sommerakademie leitete. "Sie suchen die Herausforderung, wollen benachteiligte Kinder unterrichten, nicht nur ein Fach mit möglichst wenig Aufwand." Das unterscheide sie vom durchschnittlichen Lehramtskandidaten. Im Laufe der zwei Jahre wird ihnen auch Weiterbildung geboten.
Nicht nur die Kinder, auch die Fellows würden einiges lernen: nämlich zu führen – "ein positiver Nebeneffekt für ihre spätere Karriere", sagt Emberger. Ziel sei, dass sie sich später in ihrem Berufsumfeld weiterhin für Chancengleichheit einsetzen. In Großbritannien initiieren viele ehemalige Fellows Bildungsprojekte in der Privatwirtschaft. Adib Reyhani tut das vorerst bei seinen Schülern: "Ich will ihnen zeigen, dass ich an sie glaube. Und dass sie alles erreichen können."
Teach for Austria:Bewerben für 2013
In Österreich Ab 1.Oktober können sich Jungakademiker – vorzugsweise mit Berufserfahrung bzw. pädagogischer Erfahrung (z. B. als Tutor) – um eine Stelle bei „Teach for Austria“ bewerben. Auch Partnerschulen werden von der Initiative noch gesucht. Interessierte Schulen wenden sich an office@teachforaustria.at.Weitere Infos gibt es unter www.teachforaustria.at.Weltweit Am globalen Bildungsnetzwerk „Teach for All“ beteiligen sich 24 Länder. In den USA existiert „Teach for America“ seit 22 Jahren, in Großbritannien gilt das zehn Jahre alte „Teach First“ als größter Recruiter unter Hochschulabsolventen – jeder fünfte Lehrer in ärmlichen Gebieten stammt von „Teach First“.