Julia Engelmann: "Jeder ist seine eigene Stimme"
Von Andrea Hlinka
"Eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können." Als die Psychologiestudentin und Schauspielerin Julia Engelmann diesen ersten Satz ihres Textes beim Bielefelder Hörsaal-Slam im Sommer 2013 geschmeidig in den Raum entlässt, wird es still. Studierende, Professoren, Freunde der Lyrik folgen ihren Worten in den nächsten fünfeinhalb Minuten, wenn sie von der Sehnsucht spricht, mutig zu tun und nicht passiv aufs Leben zu warten. Sie bekommt Applaus. Sehr viel Applaus. Und auf YouTube sieben Millionen Klicks.
KURIER: Ihr Auftritt hat sich im Internet verbreitet wie ein Lauffeuer. Beim Poetry Slam sind Sie aber nicht Erste geworden. Was sagt das aus?
Julia Engelmann: Das ist richtig. Ich bin noch nicht einmal in die zweite Runde gekommen. Ach, das sagt ganz viel oder auch gar nichts aus. Vielleicht sagt es, dass Erfolg auch Zufall ist, oder den richtigen Moment braucht. Oder, dass gewinnen nicht unbedingt wichtig ist. Aber das ist beim Poetry Slam immer so. Da gibt es viele super Leute, da geht es nicht ums Gewinnen.
Wann war der Moment, als Ihnen ihre Berühmtheit bewusst wurde?
Als die Millionengrenze überschritten wurde, kam ein Anruf – ich saß mit meinen Eltern im Auto. Eine Tageszeitung war am Telefon und die wollten wissen, ob ich die Stimme meiner Generation bin.
Sind Sie das? Denken Sie, kann man Ihre Generation in einen Topf werfen?
Nein. Meine erste Gegenfrage ist dann immer, was und wer denn meine Generation genau sein soll und wer ich denn sein sollte, um das zu wissen. Jeder ist seine eigene Stimme – und das zusammen bildet die Gesellschaft. Ich bin Teil eines Ganzen, wie die anderen auch.
Werden Sie auf der Straße erkannt? Was sagen die Leute zu Ihnen: "Du sprichst mir aus der Seele"?
Tatsächlich, genau das.
Was antworten Sie?
Ich finde das ziemlich nett und versuche mit ihnen zu quatschen.
Wie hat der Erfolg Ihr Leben verändert?
Auf ganz verschiedene Arten und Weisen. Ich konnte dadurch mein Buch herausbringen. Das ist für mich die größte Sache. Ich habe gemerkt, wie gut es ist, wenn man man selber ist. Es ist alles möglich, wenn man daran glaubt. Es gibt viele Menschen, die ein Interesse daran haben, gut zu sein und gut zu leben.
Man hat den Eindruck, Sie arbeiten hart: Sie sind Schauspielerin, studieren, schreiben, haben eine Menge Auftritte. Sie beschreiben in Ihrem Gedicht jedoch ein Leben in der Lethargie, im Konjunktiv, in dem man das Leben bis an sein Ende aufschiebt. Klingt pessimistisch.
Tatsächlich habe ich so viel zu tun und so viele Projekte, dass ich jetzt ein Semester vom Studium beurlaubt bin. Mir wurde oft gesagt, dass mein Text viel mit Trägheit zu tun hat. Aber es hat etwas mit aus dem Haus gehen zu tun und damit, Sachen zu machen. Man muss eben auch mal drin sein, um festzustellen, wie gut es draußen ist.
Ihr Buch "Eines Tages, Baby" ist im Goldmann Verlag erschienen. Wie entstehen die Texte?
Das ist gar kein Zauber. Ich schreibe auf, womit ich mich am meisten beschäftige und was ich denke und was ich gerne mal laut sagen will, was ich nicht vergessen will. Erkenntnisse und Fragen.
Was beschäftigt Sie gerade?
Eine Menge. Ich denke viel darüber nach, wie sich die Gesellschaft verändert. Darüber, was es braucht, um zufrieden zu sein im Leben. Ich habe viele Möglichkeiten im Leben und denke über ein ganz normales nach. Seitdem ich so viele fliege und die Wolken oft von oben sehe, denke ich viel über das Universum nach.
Meinen Sie im naturwissenschaftlichen oder im philosophischen Sinn?
Tatsächlich im naturwissenschaftlichen Sinn – über Sterne, was ist dahinter.
Was ist Ihnen im Leben wichtig?
Tatsächlich Freunde und Familie. Ein Ziel zu haben, eben Sinn zu haben. Spaß. Tatendrang. Selbstwirksamkeit.
Sprechen Sie in den Texten eigentlich von sich? Kennt man Sie, wenn man Ihre Texte liest?
Ich glaube, wenn man das liest, lernt man viel mehr über sich selbst als über mich.
Was treibt Sie an?
Der Wunsch, ein gutes Leben zu führen. Ich glaube, der Beginn ein gutes Leben zu starten, ist die Idee davon. Was auch immer das ist. Welcher Berufsweg auch immer das ist: Es gibt Unternehmen, die nicht mehr auf den Lebenslauf achten, die Kritik am System äußern.
Eine Zeile in Ihrem Gedicht lautet: "Wer immer wir auch waren´– lass mal werden wer wir sein wollen." Wer wollen Sie sein?
Ein guter Mensch, gute Gesellschaft für andere. Ehrlich und loyal zu sein, optimistisch, vertrauensvoll und so.
Übt es Druck auf Sie aus, dass Sie einen Hit hatten?
Ich finde das total befreiend. Es ist ein schönes Kompliment: Es ist eine Einladung das zu machen, was mir leichtfällt. Das nimmt den Druck.