Wirtschaft/Karriere

„Wann, wie oder wo ist für uns nicht von Interesse“

Zwei programmiertechnisch völlig unbedarfte Uhrenverkäufer jenseits der 40 bewerben sich um ein Praktikum beim Suchmaschinengiganten Google. Der Film „The Internship“ mit Vince Vaughn und Owen Wilson ist – wenn auch viel zu schön gemalt – nicht ganz aus der Luft gegriffen: Google gilt tatsächlich als Garten Eden der Arbeitswelt, ist der Inbegriff für Flexibilität und Innovation. Google-Manager Frank Kohl-Boas über einen Mythos.

KURIER: Sie haben Ihren Job gegoogelt? Kein Marketing-Gag?

Frank Kohl-Boas: Es stimmt. Ich war mit meiner Familie damals bereits drei Jahre bei Coca-Cola in Sydney. Die Frage war, ob wir nach Deutschland zurückgehen. Ich dachte nicht, dass ich auch Sydney heraus einen Job in Hamburg finden könnte. Doch meine Frau bat mich es zu versuchen. Also googlte ich Jobs.

Welchen Suchbegriff haben Sie eingegeben?

Personal, Human Ressources, Hamburg. In der dritten Woche habe ich gesehen, dass Google einen HR-Manager für die Region DACH und Nordics sucht. Ich habe mich beworben und geärgert. Man bekommt nämlich, sobald man auf „send“ drückt, die Nachricht „Vielen Dank, wir lassen von uns hören.“ Man hat das Gefühl: Das war’s? Eine Woche später hatte ich Antwort. Der Rest ist Geschichte.

Wie läuft der Auswahlprozess?

Die Bewerbungen gehen zu unserem Center of Expertise nach London – dort wird gesichtet und vorsortiert. Dann wählt ein Clearing-Manager aus, wer zu einem Interview geladen wird. Dann wird konsensbasiert entschieden, wer passt.

Wie viele entscheiden mit?

Vier Interviewer führen unabhängig die Gespräche und geben ihr Feedback in ein Tool ein. Ein Recruiter sammelt das, vergleicht und kontrolliert, ob es Ausreißer gibt. Nach wie vor wird es dann Larry Page (Anm.: Google-Gründer) vorgelegt.

Der globale HR-Chef von Google Laszlo Bock pfeift auf Noten als Kriterium beim Einstellungsgespräch. Ihre Meinung?

Man muss etwas können. Die ersten zwanzig Googler kamen von der Stanford University – das war ein akademischer Freundesklub. Man hat gesagt, wenn Leute von guten Universitäten kommen und exzellent sind, dann macht es Spaß, mit ihnen zu arbeiten und sie können sich schnell für etwas begeistern – sie sehen Wandel gelassener.

Wie viel Prozent Ihrer Mitarbeiter sind Akademiker?

Der Großteil.

In welchen Bereichen rekrutieren Sie?

Wir wachsen. Wie, ist für Europa noch offen.

Wie viele Bewerbungen hatten Sie im Jahr 2012?

Ich bin überfragt, ob es pro Woche 20.000 oder 30.000 sind. Aber nur, weil wir populär sind, befreit es uns nicht davon, uns umzusehen. Wir schauen, wer uns durch sein Wirken in anderen Unternehmen begeistert.

Viel Aufwand für Mitarbeiter.

Es lohnt sich. Gute Mitarbeiter ziehen andere gute Mitarbeiter an. Und mit Begeisterungsfähigkeit und Energie kann man große Probleme angehen und Niederlagen wegstecken. Wir versuchen ein Arbeitsumfeld zu schaffen, wo die Leute gerne hingehen. Sie wachen nicht auf und fragen sich: Wie viel verdien’ ich heut’? Sie sagen: Hier kann ich etwas bewegen, hier werde ich respektvoll behandelt, meine Kollegen inspirieren mich.

Die Googles Offices sind berühmt für Räder am Campus, Rutschen und gratis Essen. Schwer vorstellbar, wie Sie herumrutschen.

Die Rutsche gibt es in Zürich. Wir spielen ein, zwei Mal die Woche eine Viertelstunde Tischtennis.

Was soll das bringen?

Es kommt nicht darauf an, all die Spielereien zu nutzen. Entscheidend ist, dass es die Möglichkeit dazu gibt. Sie laden zu Kreativität und Verspieltheit ein. Das hilft, um sich aus dem Konventionellen zu verabschieden. Es ist nicht so, dass die Leute den ganzen Tag nur spielen – die Zeit haben sie nicht. Das wichtigste ist, dass sich Menschen begegnen und Ideen austauschen und daraus Innovation entsteht. Das ist der Grund, warum wir so viele Services anbieten: Damit hat man einen Grund, ins Büro zu kommen.

Bei Google wird man nicht blöd angeschaut, wenn man um zehn kommt, zwei Stunden arbeitet, dann Mittagessen geht?

Sie wollen darauf hinaus, dass andere denken könnten, dass jemand faul ist? Dazu Folgendes: Sie sitzen in einem Team, das hochgradig ambitioniert ist und viel leistet, wo sie auch etwas leisten wollen, sonst merken sie schnell, dass die anderen immer besser, schneller, höher, weiter sind. Klar können Sie um zehn kommen, mittags zum Zahnarzt gehen und bis acht im Office bleiben. Wann, wie oder wo Sie das Ergebnis erzielen, ist für uns nicht von primärem Interesse.

Wie lange bleiben Mitarbeiter bei Google? Neueinsteiger, Noogler, bleiben 1,1 Jahre.

Das stimmt nicht für Europa. In den Regionen, die ich betreue, haben wir eine sehr geringe Fluktuation.

Jedes Produkt hat seinen Zyklus. Fürchten Sie die Talfahrt?

Nein. Da ist der Glaube, dass man mit Computertechnologie große Probleme lösen kann. Die Faszination, daran mitwirken zu können, bringt Leute ins Unternehmen. Unsere CEOs haben beim Börsegang gesagt: „Zentral sind für uns die Googler und wie wir sie behandeln.“ Das ist eine Notwendigkeit, weil man sonst die Ingenieure nicht bekommen hätte, die man brauchte, um das Unternehmen groß werden zu lassen. Es ist notwendig, gute Leute zu gewinnen. Denn letztlich fragen sich Arbeitnehmer: Was bekomme ich geboten und wie sehr kann ich ich sein und bleiben.

Als Head of Human Ressources DACH, Nordics & Benelux ist Frank Kohl-Boas (44) für Googler in neun Ländern zuständig. Er studierte Rechtswissenschaften, ist seit 1998 zugelassener Rechtsanwalt. 1998 wurde ebenso Google von Sergey Brin und Larry Page gegründet. Kohl-Boas begann seine Karriere bei Unilever, wechselte 2003 zu Shell Deutschland Oil. 2005 ging er zur Coca-Cola, 2007 wurde er nach Sydney entsandt. 2010 kehrte er mit seiner Familie zurück und startete bei Google.

Nirgends sonst ist die Konzentration an innovativen Unternehmen größer als im Silicon Valley. Dennoch kämpft man auch (oder gerade) hier um die besten Mitarbeiter. Und verwöhnt sie deshalb gerne mit Essen, Fahrrädern und Fitnesscenter.

Bonus

Der IT-Gigant Google wurde am 4. September 1998 von Sergey Brin und Larry Page gegründet. Ende 2012 beschäftigte es nach der Übernahme von Motorola Home und Motorola Mobile 53.861 Mitarbeiter. In die Schlagzeilen kam der Konzern in den vergangenen Monaten – ebenso wie Facebook – wegen dubioser Überwachungstechniken. Das wurde im Film „The Internship“ völlig ausgeklammert, bekritteln Feuilletonisten.

Mitarbeitern gegenüber ist der IT-Konzern jedenfalls großzügig: Wer bei Google in Mountain View, Kalifornien, beginnt, wird im ergonomischen Zentrum beraten, um Laptop, Handy, Maus, Monitor und Tastatur auszuwählen. Die Mitarbeiter werden mit Massagen belohnt und Väter von Neugeborenen bekommen laut Business Insider sechs Wochen bezahlten Heimurlaub, Mütter 18 Wochen (in den USA!).

Facebook wurde am 4. Februar 2004 von Mark Zuckerberg gegründet und hat per Ende Juni 2013 5299 Mitarbeiter. Jeder dieser Mitarbeiter produziert mehr als 1,3 Millionen Dollar Umsatz und 120.000 Dollar Profit pro Jahr. Auch Facebook geizt nicht mit Reizen: Bei Facebook bekommen Eltern von Neugeborenen „Baby Cash“ – 4000 Dollar Unterstützung für Windeln und Nanny. Meetings werden, wenn möglich, nicht am Mittwoch abgehalten. Zumindest an einem Tag der Woche sollen Mitarbeiter ohne Unterbrechung arbeiten können.