Im Job und wieder mittendrin
Von Nicole Thurn
Österreich, das Vorzeigeland. International gelobt. Europaweit ist Österreich aktuell mit einer Jugendarbeitslosenquote von 8,9 Prozent nach Deutschland zweitbestes Land (laut Eurostat). Der EU-Schnitt liegt bei traurigen 23,5 Prozent.
„Wir sonnen uns in Österreich in diesen Zahlen, wiegen uns in Sicherheit“, sagt IHS-Bildungsexperte Mario Steiner. „Doch die Problemlage ist in Wahrheit viel größer.“ Denn Arbeitslosigkeit hänge mit dem Bildungsniveau zusammen. Und sieht man hier genauer hin, gibt es wenig Grund zur Freude: 60.000 Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahren (7,6 Prozent) fallen nach der Pflichtschule dauerhaft aus dem Bildungssystem (EU-Schnitt: 13 Prozent). 20.000 Jugendliche brechen jährlich die Schule ab. Jeder zehnte Lehrling fällt bei der Lehrabschlussprüfung durch – und tritt nie wieder an.
Wer die Schule abbricht, hat ein doppelt so hohes Risiko, arbeitslos zu werden wie jemand mit Abschluss einer Lehre oder einer weiterführenden Schule, so Steiner. Finden die Schulabbrecher doch einen Job, ist das Risiko, dass sie nicht über den Hilfsarbeiterstatus hinauskommen, fünf Mal so hoch. Das Risiko, zu Hause zu bleiben – sei es als Hausfrau oder Notstandshilfebezieher – sei sogar sieben Mal so hoch wie bei Jugendlichen mit Abschluss. Wie die Rückkehr aus der Arbeitslosigkeit zu schaffen ist, zeigen unsere drei Porträts.
Bildungsmangel
Ansetzen müsse man laut Steiner frühzeitig, am besten noch während der Schulzeit. Denn die Grundkompetenzen der 15-Jährigen seien besorgniserregend: 27 Prozent gehören zur „PISA-Risikogruppe“, haben ein ungenügendes Textverständnis, beherrschen die Grundrechnungsarten nicht. Noch mehr Sorgen bereiten hier laut Steiner Jugendliche mit Migrationshintergrund. 66 Prozent in erster Generation haben mangelndes Grundwissen, 43 Prozent sind es in zweiter Generation. „Hier sind international nur Kasachstan, Brasilien und Mexiko noch schlechter“, sagt Steiner.
Diverse arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wollen arbeitslose Jugendliche in den Arbeitsmarkt integrieren. Wie die überbetriebliche Lehre: Laut AMS schafft die Hälfte der Lehrlinge schon nach dem ersten Lehrjahr den Sprung in einen Lehrbetrieb. Bei den kurativen Maßnahmen sei Österreich gut aufgestellt, sagt Steiner, „bei der Prävention sieht es schlecht aus.“ Ein erster Schritt sei die 2012 gestartete Initiative „Jugendcoaching“ (www.neba.at) von Sozial- und Unterrichtsministerium: Sie soll Jugendliche vor dem Schulabbruch bewahren.
Oft probiert.Lukas könnte man als „klassischen Abbrecher“ bezeichnen. Der 19-Jährige hat eine Odyssee an Ausbildungen hinter sich: In der HTL wechselte er vom Schwerpunkt Elektronik zu IT. „In der dritten Klasse habe ich die Warum-Frage gestellt“, sagt er. Mit der Antwort: „IT interessiert mich zu wenig.“ Also suchte der Hobbykoch eine Lehrstelle als Koch, begann im Sommer 2011 in einem Wiener Restaurant die Probezeit. „Pünktlich zu Beginn der Berufsschule“ brach er ab, denn: „Köche werden ausgebeutet.“ Bald fand er eine Lehrstelle als Versicherungskaufmann. Und wurde in der Probezeit gekündigt. Es war Zeit fürs Bundesheer. Im Herbst 2012 fand er eine Lehrstelle zum Großhandelskaufmann, „in einem Installationsbetrieb ohne Großhandel“, in einem Büro ohne Fenster. Wieder brach er ab. Eine Kollegin erzählte ihm von ihrer Lehre bei der Firma Haberkorn, er bewarb sich. Über die Jugendstiftung (JUST) Implacement macht Lukas seit März die auf eineinhalb Jahre komprimierte Lehre zum Großhandelskaufmann – mit Matura. Jungen Arbeitslosen rät er zu Schnupperpraktika, und „nicht aufgeben, denn dann hat man verloren.“ Abbrechen will er nicht mehr. „Es gefällt mir sehr, ich will später ins mittlere Management.“ Und dafür berufsbegleitend studieren. Lehrlingskoordinatorin Katharina Laggner ist zufrieden: „Er ist engagiert, wir wollen ihm nach der Lehre einen fixen Job anbieten.“
Tipp: JUST Implacement vermittelt Arbeitslose von 19 bis 24 Jahren an Firmen und übernimmt die Qualifizierungskosten. Der Jugendliche erhält Arbeitslosengeld und 50 bis 200 Euro pro Monat vom Unternehmen. Infos unter www.neba.at
Die Zahnschmerzen ihres Bruders haben Rizida Logieva eine Lehrstelle beschert. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit und Jobsuche. 2006 flüchtete die heute 19-Jährige (Bild 1) im Alter von zwölf Jahren mit ihrer Familie aus Tschetschenien nach Österreich. Logieva stieg in der dritten Klasse Hauptschule ein, machte den Abschluss und absolvierte die Polytechnische Schule. Danach besuchte die ehrgeizige junge Frau zwei Semester lang das Abendgymnasium, absolvierte parallel eine dreimonatige Ausbildung zur Kindergruppenbetreuerin und danach in einem Kinderhort ein Praktikum – nur Job fand sie ein Jahr lang keinen. Im Herbst 2012 begleitete sie den Bruder zum Zahnarzt. Eigentlich hatte Logieva den Wunsch, in einer Apotheke zu arbeiten. „Aber ich habe dort einfach nachgefragt, ob sie Lehrlinge zur Zahnarztassistentin aufnehmen“, erzählt sie. Die Antwort war ja. Sie bewarb sich, Unterstützung für die Bewerbung holte sie sich beim Habibi Jobcenter des Integrationsfonds. Ihre 16-jährige Schwester bewarb sich ebenfalls dort, wurde im Dezember 2012 eingestellt, sagt sie. Für Rizida Logieva war es im Februar 2013 so weit. „Ich liebe meinen Job. Wenn man ein Ziel vor Augen hat, kann man es auch erreichen“, sagt sie. Jugendlichen auf Jobsuche empfiehlt Logieva: „Traut euch, nachzufragen. Und hört nicht auf, euch zu bewerben.“ Bei Österreich will sich die junge Frau bedanken, „dass es uns Ausländern eine Chance gibt. Und beim Habibi Jobcenter für die Unterstützung.“
Tipp: Auch informell suchen: Bei Firmen vorstellig werden und nach freien Lehrstellen/Jobs fragen – und sich bei Freunden und Verwandten umhören.
Er hatte keine Lust mehr auf Strebern. Im Gymnasium hätte Christian Daniliuc (Bild 3) eine Ehrenrunde in der fünften Schulstufe drehen müssen, kurz vor Schulbeginn im Herbst 2011 entschied er sich spontan, die Schule zu verlassen – und Koch zu werden. Zu spontan, um einen Lehrplatz zu finden. Über das AMS kam der junge Arbeitslose in die überbetriebliche Ausbildungseinrichtung Jugend am Werk (JAW). „Die theoretische Ausbildung ist sehr gut“, sagt der 17-Jährige heute. Doch die Praxis vermisste er. Also absolvierte er im ersten Schuljahr gleich vier freiwillige Praktika in Hotels – obwohl nur eines verpflichtend war. Eigeninitiative sei wichtig, viele Lehrlinge in der Überbetrieblichen würden nur das Nötigste machen. „Wenn man motiviert ist, wird man vom Ausbildner auch gefördert“, sagt er. Als Jahrgangsbester nahm er am Berufswettbewerb seiner Berufsschule teil. Beim Finale lernte er Bernhard Basziszta, Chef des Wiener Restaurants „Zum weißen Tiger“ kennen, der vom JAW-Leiter auf den engagierten jungen Mann aufmerksam gemacht wurde. Daniliuc bewarb sich bei ihm, machte im Restaurant ein zweiwöchiges Praktikum – und wurde im Juni 2012 als Kochlehrling übernommen. Er ist zufrieden: „Hier habe ich viel mehr Verantwortung als in der überbetrieblichen Ausbildung.“ Den Lehrlingen dort empfiehlt er: „Auch freiwillige Praktika machen.“ Den Wettbewerb gewann Daniliuc übrigens. Seinen Preis wird er nach der Lehre einlösen: ein Stipendium für einen Auslandsaufenthalt.
Tipp: Die überbetriebliche Lehre ist erst dann ein Sprungbrett in ein Unternehmen, wenn man Engagement zeigt und sich hervorhebt.