Grenzen ziehen: Nein, nein und nochmals nein
„Danke, mir geht es gut. Der Job ist etwas schwierig. Als Neuer muss ich die niederen Arbeiten verrichten, das nervt“, erzählt ein Ex-Banker, der kürzlich in eine öffentliche Behörde wechselte. „Wieso sagst du nicht einfach ,Nein‘?“ „Das kann ich nicht, es ist in der Abteilung üblich, dass der Senioritätsjüngste die Kopierarbeiten erledigt. Und ich bin noch befristet.“ Er hätte eines begriffen: Ein „Nein“ hat Konsequenzen.
Das einfache Wort aus vier Buchstaben ist manchmal unaussprechlich. Obwohl es eines der ersten ist, die Kinder lernen. Was aber als Kind noch als ein Austesten der Grenzen durchgeht, wird im Erwachsenenalter zur Schwierigkeit. Vor allem in der Arbeitswelt.
Ein „Nein“ wird vom Gegenüber oft als Ablehnung empfunden oder als Überforderung interpretiert, auch als mangelndes Engagement gewertet. „Wir sind darauf getrimmt, uns anzupassen, dabei zu sein, es dem anderen recht zu machen“, erklärt Norbert Krennmair, Psychologe und Buchautor.
In der Arbeitswelt erntet der Neinsager immer noch Kopfschütteln. Doch Jasager bleiben auch nicht unbedingt im Spiel, sie werden oft zum Fußabtreter. Die Fähigkeit zu verweigern ist ebenso wichtig wie die Zustimmung. Sie schützt vor Überforderung, vor Fehlern und zeigt Prioritätensetzung. Und Chefs können sich oft gar nicht merken, wann es genug ist. Die Leistungsfähigkeit ist individuell und von den Rahmenbedingungen abhängig. Gut dosiert und argumentiert kann das Nein die Karriere sogar befeuern.
Gehorsam
Gerade dem Chef gegenüber geht das Nein aber besonders schwer über die Lippen: Eine Studie im Auftrag des Magazins Focus zeigte, dass 47 Prozent der Frauen und 36 Prozent der Männer in Deutschland lieber den bequemen Weg der Zustimmung wählen.
Wieso eine Absage manchen leichter fällt, ist nicht nur eine Frage der Firmenkultur, sondern laut Norbert Krennmair auch Charakter- und Erziehungssache. „In der familiären und schulischen Sozialisation wird das unterschiedlich gefördert oder behindert. Je kränkbarer Eltern und Lehrer sind, desto weniger verkraften sie Ablehnung“. Dass Autorität eine mächtige Verbündete ist, zeigte das Milgram-Experiment aus den 1960er-Jahren. Nur ein Drittel der Probanden widersetzte sich den Anweisungen der Versuchsleitung. Zweidrittel fügten Mitmenschen auf Anweisungen mit Elektroschocks Schmerzen zu, sie gingen bis zum Äußersten. Die Welt war schockiert und noch heute wird das Milgram-Experiment an Schulen und Universitäten diskutiert. Mit der ewig gleichen Frage: Wann würde ich Nein sagen? „Ein Nein sollte immer eine Basis und Begründung haben, man sollte im Gespräch bleiben, nicht flüchten.“Norbert Krennmair PsychologeAuch vor der Finanzkrise haben zu wenige Menschen Nein gesagt. Selbst Verantwortliche haben sich nicht eingestanden, Finanzprodukte nicht mehr zu verstehen, wie Gillian Tett in ihrem Bestseller „Fool’s Gold“ eindrucksvoll beschreibt. Jeder wollte dabei sein.
Solche Ausschweifungen führten oft zu einer Gegenbewegung, dann wird das Neinsagen zur Doktrin: Bei der 68er-Bewegung, Zwentendorf, Stuttgart 21 oder jetzt bei Occupy.
Verweigerung
Dass Immer-Nett-Sein nicht unbedingt zum Erfolg verhilft, zeigt eine Studie von Timothy Judge von der Notre Dame University, Beth Livingston von der Cornell University und Charlice Hurst von der University of Western Ontario: Sie fanden heraus, dass freundliche Menschen weniger Gehalt bekommen, als die weniger Verständnisvollen. Bei Männern war der Unterschied eklatant, machte durchschnittlich 10.326 US-Dollar pro Jahr aus. Der Grund: Liebsein wird nicht mit Kompetenz assoziiert.
Die gute Nachricht: Neinsagen kann gelernt werden – wenn ständige Überforderung noch nicht zum Zusammenbruch geführt hat. Denn dann ist der Mensch nicht mehr in der Verfassung, sein Tun zu beurteilen. Die Folge: Burn-out.
Nein braucht aber immer ein Argument: Unberechtigt kann es als Arbeitsverweigerung gewertet werden und sogar zur Kündigung führen. Zudem nimmt sich der notorische Neinsager selbst aus dem Spiel. Dann geht der Chef künftig mit den spannenden Projekten zum Kollegen. Also: Grenzen ziehen und das Nein gut abwägen.
Erich Kirchler, gebürtiger Südtiroler, studierte zuerst Architektur, wechselte dann aber zur Psychologie. Er leitet das Institut für Wirtschaftspsychologie an der Universität Wien. Er beschäftigt sich mit Motivation in Organisationen und den Themen der Arbeits- und Marktpsychologie. Seine zahlreichen Gastprofessuren führten ihn u. a. nach Rom, England und in die USA. Sein großes Hobby ist Bergsteigen.
KURIER: Wieso trauen sich Menschen oft nicht, Nein zu sagen, wenn sie ohnehin schon mit Arbeit überhäuft sind?
Erich Kirchler: Im Arbeitsalltag bedarf die Annahme eines Auftrages meist keiner weiteren Begründung, die Ablehnung hingegen schon. Oft ist es nicht leicht, gute Gründe zu finden und die Aussage, es wäre keine Zeit dafür, ist meist zu vage. Ein Nein verlangt nach guten Begründungen, ein Ja meist nicht und ist deshalb viel einfacher zu sagen.
Welche psychologischen Hintergründe hat ein Nein?
Warum wird das Nein negativ empfunden, obwohl es doch oft völlig angebracht wäre?
Wenn eine gute Begründung gefunden werden muss, kann es durchaus sein, dass die Argumente nicht überzeugend genug erscheinen. Dann ist ein schlechtes Gewissen die Folge, weil ein Nein Ablehnung suggeriert. Auch, weil Überlastung als Argument den Schluss zulassen könnte, nicht fähig oder motiviert im Job zu sein. Und weil die Befürchtung möglich ist, dass der Chef die Ablehnung als Arbeitsverweigerung interpretieren könnte.
Geht die Gleichung auf: Je höher der wirtschaftliche Druck, desto weniger traut man sich, Aufträge abzulehnen?
Das ist sicher so. Wenn ein Nein als Arbeitsverweigerung interpretiert werden kann, könnte bei Mitarbeitern natürlich die Angst vor unangenehmen Folgen bis hin zum Jobverlust entstehen.
Neinsagen hat etwas mit Grenzen ziehen zu tun. Ist unsere Welt völlig entgrenzt?
Ein Nein ist immer eine Grenzziehung. Aber klare Grenzen zu ziehen muss vielfach erst gelernt werden.
Die Welt ist egoistisch – beim Neinsagen können viele Menschen das aber nicht sein. Wie erklären Sie sich das?
Ein Nein muss nicht zwangsläufig egoistisch sein. Ein Nein ist selbstbestimmt und kann auch klar mitteilen, dass ein Auftrag nicht neben der anstehenden Arbeit möglich ist. Nein heißt eventuell auch, dass die Arbeit gründlich gemacht werden will und ein Mehr an Arbeit zurzeit nicht möglich ist.
Kann man Neinsagen üben?
Ja.