"Gen Y will nicht nur über bunte Blumenwiesen hüpfen"
Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widerspricht ihren Eltern, legt die Beine übereinander und tyrannisiert ihre Lehrer. Dieser Satz ist über 2400 Jahre alt und soll von Sokrates stammen. Er könnte genauso gut aus 2015 sein. Denn auch heute wird von der Generation Y, den 15- bis 30-Jährigen, gesagt: Sie habe null Erfahrung, sei frech, faul und fordernd. Sie wolle Freizeit und suche stets Sinn. Sie pfeife auf finanzielle Sicherheit und den lebenslangen Job – den gibt es ohnehin nicht mehr. Ihre Maxime ist die Selbstverwirklichung. Eines scheint sicher: Diese Generation tickt gegen das System.
Die gesamte Generation? Nein. Nicht alle Jungen lassen sich den verrufenen Stempel der verwöhnten Ys aufdrücken. Kultur, soziales Umfeld und Ausbildung prägen, wer und was man werden will – unabhängig vom Ruf einer ganzen Generation. Denn bei näherem Hinsehen erkennt man: die Masse ist heterogen. Ihre Protagonisten haben lediglich gemeinsam, dass sie sich sehr wohl Gedanken über das Arbeitsleben machen. Sie sind sich ihrer Optionen bewusst und wollen nicht um jeden Preis fremdbestimmt den Zielen von anderen zuarbeiten. Und sie haben ähnliche Rahmenbedingungen, geprägt von Krise und Unsicherheit.
Dass es "die eine" Generation Y nicht gibt, bestätigen mittlerweile auch Studien, wie etwa jene der deutschen Unternehmensberatung Consulting Cum Laude, die die Ys in verschiedene Psychogramme einteilt: Die (von Anerkennung motivierten) Leistungsorientierten, die (nach Sicherheit strebenden) Konservativen, die (Karriere verweigernden und Spaß an der Arbeit fordernden) Querdenker, die (Unabhängigkeit liebenden) Träumer, die (Verantwortung suchenden) Gründer und jene, die all diesen Menschen gerne folgen – vorausgesetzt, sie können sich mit deren Zielen identifizieren.
Was sie (nicht) wollen
Wie unterschiedlich die Ys ticken, zeigen unsere vier Porträts: Selbstverwirklichung im Arbeitsleben sucht Dominik A. Ježek. Der 27-Jährige bekam von seinen Eltern ein klassisches Arbeits- und Wohlstandsbild vorgelebt, fing daher gleich nach der HTL bei einer IT-Firma an. Das reichte ihm schon bald nicht mehr – Ježek wollte seine Talente ausleben. "Mit meinem 9-to-5-Job subventioniere ich mir mein zweites Standbein, meine Musikkarriere", erzählt er. Von seinem 40- bis 50-Stunden-Brotjob erwartet der Teamleiter freie Zeiteinteilung und Gestaltungsmöglichkeiten. Seine anderen 20 bis 30 Arbeitsstunden – macht 80 Stunden pro Woche – investiert er in seine vier Bands, die er unter der Marke www.djsmusic.at zusammenfasst. Mit 14 Musikern und vollem Auftrittskalender füllt er seine Freizeit komplett aus.
Moritz Plassnig unterscheidet erst gar nicht zwischen Arbeit und Freizeit. Er verwirklichte sich mit seiner Geschäftsidee – und brach mit 21 Jahren deshalb sein BWL-Studium ab. Der Erfolg gab ihm recht. Für sein Software-Start-up "Codeship" lukrierte er im vergangenen Jahr 2,6 Millionen Dollar Investorengelder. Plassnig sieht sich und sein 16-köpfiges Team als "supermotiviert und superselbstständig": "Ich mache das so furchtbar gerne, ich arbeite auch im Urlaub." Er würde kein Unternehmen nur des Geldes wegen aufbauen. Auch nicht, weil er keinen Chef will. "Sondern weil ich machen möchte, was die Kunden brauchen – und das mit Freiraum", sagt er. "Ich mag Spaß bei der Arbeit haben und viel lernen, zwischendurch auch reisen und leben. Diesen Luxus hat unsere Generation der vergangenen voraus – ihr Fokus lag darauf, ihren Job niemals zu verlieren."
Spaß bei der Arbeit sei aber nicht alles, sagt Publizistik-Studentin Sinah Edhofer. "Die Generation Y will nicht nur über bunte Blumenwiesen hüpfen", entkräftet sie das Klischee. Auf theblackshirtblog.wordpress.com rechnete sie mit dem Praktikantensystem ab – und brachte es auf 580.000 Klicks an nur einem Tag. Sie kritisiert darin "Unternehmen, die Leute Vollzeit für ein Arschloch-Drecks-Praktikumsgehalt arbeiten lassen und dann noch erwarten, dass man schön lächelt und Danke sagt". Die Jugend sei im Dilemma – ohne Praktika hätte sie kaum Jobchancen. Ihnen rät sie: "Sagt Nein zum System, nicht zur Arbeit." Auch als faul und fordernd erlebt Sinah ihre Generation nicht: "Wir wollen den Eltern nicht auf der Tasche liegen und machen uns selbst Druck, möglichst schnell mit dem Studium fertig zu werden."
Auch Lehrling Alexandra Klingeisen spürt den Druck. Um am Ball zu bleiben, müsse sich ihre Generation am Arbeitsmarkt immer schneller auf neue Situationen einstellen, sagt sie. Klingeisen macht eine Handels-Lehre bei Hofer. Vom Arbeitgeber erwartet sie sich gute Bezahlung, Weiterbildung und "dass ich mich in der Arbeit wohlfühle und genügend Freizeit habe." Kein Widerspruch zu ihrem Ehrgeiz: Sie möchte studieren und Filialleiterin oder Regionalverkaufsleiterin werden.
Plassnig schmeißt mit 21 Jahren sein BWL Studium und gründet das Software-Start-up Codeship. Heute beschäftigt er 16 Mitarbeiter in Österreich, den USA und Belgien.
Was ihm im Job wichtig ist*:
Spaß im Job: 10
Verantwortung: 10
Gestaltungsfreiraum: 10
Aufstiegsmöglichkeiten: 9
Sicherheit: 3
Gehalt: 6
Keine Überstunden: 0
* 0 = gar nicht wichtig; 10 = sehr wichtig
Klingeisen macht bei Hofer eine Handels-Lehre. Beim Diskonter bewarb sie sich, „weil ich auf eigenen Beinen stehen und trotzdem hoch hinaus will“.
Was ihr im Job wichtig ist:
Spaß im Job: 10
Verantwortung: 10
Gestaltungsfreiraum: 10
Aufstiegsmöglichkeiten: 10
Sicherheit: 10
Gehalt: 5
Keine Überstunden: 4
Ježek fängt gleich nach der HTL beim IT-Unternehmen Danube IT Services an. Er mag seinen 9-to-5-Job, vor allem, weil er in seiner Freizeit an seiner Gesangskarriere arbeiten kann.
Was ihm im Job wichtig ist:
Spaß im Job: 9
Verantwortung: 10
Gestaltungsfreiraum: 10
Aufstiegsmöglichkeiten: 8
Sicherheit: 7
Gehalt: 9
Keine Überstunden: 2
Die Publizistik-Studentin kritisiert in ihrem Blogbeitrag „Danke für (fast) nichts“ die prekäre Lage von Praktikanten, die als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden.
Was ihr im Job wichtig ist:
Spaß im Job: 7
Verantwortung: 9
Gestaltungsfreiraum: 10
Aufstiegsmöglichkeiten: 10
Sicherheit: 7
Gehalt: 7–8
Keine Überstunden: 0
Alix Faßmann:Es fühlen sich verdammt viele verarscht, die an das Versprechen von „Wohlstand und Sicherheit durch Arbeit“ geglaubt haben. Meine Generation ist nur überdurchschnittlich betroffen. Wir sollen rucki-zucki rein ins Studium, uns dort für die Verwertung trimmen, auf Gehalt verzichten, endlose Praktika machen, unbezahlte Überstunden in befristeten Verträgen leisten. Rente und Sozialsysteme sind in Deutschland immer neuen Privatisierungsschüben ausgesetzt – wir werden also ziemlich direkt enteignet. Und das Das Desaster wird uns dann auch noch als „Chance“ verkauft. Wir sollen den Kakao, durch den wir gezogen werden, nun auch noch trinken und den Saftladen alter Männer aufräumen.
Sie schmissen Ihren gut bezahlten Job hin, aus Resignation?
Eher aus Kapitulation. Ich wurde von einer deutschen Volkspartei für ein „revolutionäres Kommunikationsprojekt“ angeworben: Keine Propaganda mehr, unabhängiger Journalismus, direkt und offen im Netz. Tatsächlich sollten wir dann doch nur wieder die Verlautbarungen des großen Vorsitzenden schick aufbereiten. Ich habe gekündigt, mit dem letzten Gehalt das Land verlassen. Dem Elend mit wehenden Fahnen zu entfliehen war befreiend.
Hatten Sie zu hohe Erwartungen?
Das habe ich mich auch gefragt. Doch es ging nicht mehr nur gegen ein Jobprojekt, die desolaten Strukturen in der Politik hatten mich radikalisiert. Die Illusion von dem, was wir früher stolz Demokratie und Freiheit nannten, lernte ich als hässliche Fratze kennen. Ich stellte mir die Frage: Welches System stütze ich, wenn ich das Hirn ausschalte und für die Karriere gehorche?
Die Kapitel Ihres Buchs sind „Karriere macht dumm“, „Ehrgeiz macht krank“: Ist die Ära der Workaholics nicht vorbei?
Diese Karrieregeilen von früher erzählen den jungen Leuten heute, sie sollten erstmal abliefern, bevor sie den Mund aufmachen. Richtig ist, dass ein Großteil der Jungen keinen Sinn darin sieht, sich für bröckelnde Eliten abzurackern. Die neoliberale Epoche ist fertig, der Kapitalismus ist pleite. Es ist einfach nicht mehr viel da für Leute unter 40. Trotzdem sollen wir den Laden unter Einsatz unseres Lebens aufräumen, die Schulden abzahlen, die Alten pflegen, auf Sozialsysteme und Gehalt verzichten, uns vermehren und nett lächeln. Da kann ein unbezahltes Praktikum mal ein Jährchen dauern, danach ist man von auslaufenden Verträgen bedroht.
Kommt ein flexiblerer Arbeitsmarkt dem Freiheitsdrang der Jungen nicht auch entgegen?
Der „Freiheitsdrang“ ist eine Geschichte der alten Männer. Die jungen Dinger lassen sich leichter in Abhängigkeit halten, wenn sie flexibel und billig outgesourct werden. Das spart den unangenehmen Betriebsrat gleich mit ein. Letztlich ist das Geld wohl wirklich nicht mehr da. Außer für Waffenproduzenten, Großeigentümer und Berufspolitiker. Bei allen Menschen wird gespart, damit alte Herren wie Joachim Gauck sich den Traum von der großen Kanone erfüllen können. Vielleicht sollte unser Bundespräsident mal einen guten Wiener Psychoanalytiker besuchen.
Unternehmen beklagen, dass 23-jährige Bewerber ohne Berufserfahrung viel Freizeit, Spaß und wenig Stress fordern.
Wenn Sie sich die Propaganda von McKinsey bis hin zur Industrielobby „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ anschauen: Das Gefasel vom Fachkräftemangel, von der ungebildeten Jugend, den naiven Träumen. Was ist das für ein Verständnis vom Menschen? Wir sind doch nicht geboren, um dem Herrn seinen neuen BMW hinzustellen.Wir sind die leistungsbereiteste, disziplinierteste und devoteste Generation seit 100 Jahren. Aber wir riechen den Braten: Wir sollen im verlorenen Krieg des Kapitalismus gegen sich selbst billig verheizt werden, um die Sünden der Vergangenheit auszubügeln. Nein danke, ohne uns. Wir brauchen eine andere Art zu wirtschaften.
Inwiefern?
Wir leisten uns ja einen riesigen Wasserkopf aus Berufspolitikern, Großgrundbesitzern und Geldadel. Wir brauchen diese Leute gar nicht, um uns miteinander zu arrangieren. Wir können das alleine. Das wäre billiger und weniger menschen- und umweltfeindlich. Tatsächlich glaube ich kaum, dass die derzeitige frenetische Art zu wirtschaften noch zu retten ist.
Sie haben mit Anselm Lenz das Haus Bartleby – Zentrum für Karriereverweigerung gegründet. Wozu?
Wir forschen gemeinsam mit Wissenschaftlern und Experten des Alltags am neuen Verständnis von Arbeit und Muße. Die alte Erzählung vom Wirtschaftswachstum läuft aus, verliert ihre Gültigkeit. Wir müssen dringend neue Erzählungen erfinden, neue Verabredungen des Miteinanders. Wir stellen Fragen, aber sind ganz klar auf der Suche nach Antworten.
Sie sind Autorin, freie Journalistin: Klingt nicht nach Karriereverweigerung.
Ach, wissen Sie, mit meinem Buch habe ich bisher 7000 Euro brutto verdient. Die stecken eins zu eins im Haus Bartleby. Und da sind hier alle zusammen drin und nicht gegeneinander. Erfolg im Wortsinne nehmen wir da in Kauf, wenn er denn echten Fortschritt bedeutet.