Essen in der Gruft
Von Nicole Thurn
Der junge Mann im ausgebeulten braunen Pulli beugt sich über die Küchentheke: „Könnt i a Glasl ham?“ Sein Blick fällt auf das Emblem am roten Shirt der Küchenmitarbeiterin. „Ah, Trenkwalder. Habt’s an Job für mi?“ Küchenmitarbeiterin Julia Labenz ist die PR- und Marketingleiterin bei der Zeitarbeitsfirma. Weiter hinten in der Küche rührt ihr Kollege, Controlling-Chef Martin Wendelin, in einem riesigen Topf das gedünstete Gemüse. Es ist Dienstagmittag in der „Gruft 1“, einer Obdachloseneinrichtung in Wien. Heute gibt es Huhn mit Gemüse und Reis, gekocht wird von den Abteilungsleitern des Personaldienstleisters Trenkwalder. Im Gemeinschaftssaal ist es unerwartet ruhig, an den Tischen sitzen Menschen mit leeren Blicken, es wird wenig gesprochen. Ältere Männer mit zerfurchten Gesichtern, junge Männer in modisch-zerrissenen Jeans, die aussehen, als würden sie gerade Mittagspause vom Job machen.
Um sieben Uhr Früh haben sich die Trenkwalder-Mitarbeiter beim Metro getroffen. 200 Hendlteile, 25 Kilo Gemüse, 15 Kilo Reis. 180 hungrige Menschen wollen verköstigt werden. Die Firma engagiert sich zum ersten Mal in der Gruft. „Das Schöne ist, man tut Gutes, ohne eine Gegenleistung zu erwarten,“ sagt Julia Labenz. Und es sei ja auch gar nicht viel. Ein freier Tag für sechs Mitarbeiter, Essen kaufen und kochen.
Kochen und Klischee
Seit 2002 kommen externe Kochgruppen in die „Gruft“. Anfangs waren es private Initiativen, mittlerweile viele Firmen. Immer helfen zwei Obdachlose oder „Ehemalige“ in der Küche mit, erzählt die leitende Sozialarbeiterin Susanne Peter. „Für sie ist es ein regelmäßiger Tagesablauf und dadurch manchmal auch ein Einstieg in die Arbeitswelt.“ Heute kocht der ehemals Obdachlose Herr Franz mit, aus Dank. Er erklärt den Kombidämpfer. Das Bild, das die Gesellschaft von den Obdachlosen habe, stimme schon lange nicht mehr, sagt Susanne Peter. Vor 27 Jahren seien es die Bauarbeiter gewesen, heute könne es jeden treffen: „Wir betreuen ehemalige Polizisten, Diplomingenieure, sogar frühere Kollegen von uns“, erzählt sie. Die Jobkündigung setze oft einen Teufelskreis in Gang. „Auch Menschen, die arbeiten gehen, kommen zu uns“, sagt Peter. Im Vorfeld, sagt Julia Labenz, hätten auch die Trenkwalder-Mitarbeiter über die Ursachen für Obdachlosigkeit nachgedacht. 41 Prozent der Zeitarbeiter kämen aus der Arbeitslosigkeit, „nur 14 Prozent kehren in die Arbeitslosigkeit zurück“.
Essensausgabe
Die Tische sind bereits voll besetzt, noch immer stehen 60 Menschen an der Theke an, bis nach draußen in den Vorraum. Drei Trenkwalder-Mitarbeiterinnen legen im Sekundentakt auf die Teller: Hendlschenkel, Reis, Gemüse. Auch Wolfgang Müller wartet in der Schlange. Der Herr mit der schwarzen Lederjacke strahlt Ruhe und Würde aus. Als junger Mann, erzählt der 61-Jährige in wienerischem Hochdeutsch, war er Journalist beim Profil, im Alter von 25 Jahren wurde er Direktor des Wirtschaftsverlags Bondi. Dann gründete er ein Bauunternehmen, „denn die Gipskartons kamen damals auf“. 25 Jahre lief das Geschäft gut. „Vor zehn Jahren“, sagt Müller und nimmt den Teller von Frau Labenz entgegen, „kam der Einschnitt“. Sein größter Kunde ging in Konkurs, „das war mein Niedergang“. Die typischen Stationen der Negativspirale folgten: Scheidung, Alkohol, Straße. Sieht er sich als Opfer der Umstände? „Um Gottes Willen, nein“, ruft er und schlägt die Hände zusammen, „ich bin selbst schuld. Ich hätte immer umdrehen können.“
Als der letzte Teller über die Theke wandert, ruft Herr Franz: „Essen ist aus.“ Applaus im Saal. Die Kochgruppe beginnt mit dem Abwasch. Trenkwalder will die Initiative ausweiten, sagt Labenz. Bald wird sie mit ihren Kollegen die „Gruft“ verlassen, hinaus in die Kälte. Wie Wolfgang Müller auch. Nur wartet auf den Herrn mit dem würdevollen Lächeln kein warmes Zuhause. Auf ihn wartet „mein Park“, am Hundsturm.
Die „Gruft“ bietet an zwei Standorten in Wien Betreuung und Notquartiere für obdachlose Menschen. Kochgruppen gibt es in der Obdachloseneinrichtung seit 2002. 180 bis 200 Personen können in der „Gruft 1“ verköstigt werden. Im Notquartier ist Platz für maximal 100 Menschen. Diverse Firmen und private Gruppen kochen für die Klienten mittags bzw. abends auf. Interessierte können sich melden bei:
Susanne Takacs
Tel. 01/ 587 87 54
kochenfuerdiegruft@caritas-wien.at
oder Walter Gamba, kochen-zweitegruft@caritas-wien.at
Tel.: 01/479 23 94