Wirtschaft/Karriere

"Es geht ums Ego, ums mickrige Ich"

Bernhard Heinzlmaier: Haben Sie das Buch gelesen? Es ist an und für sich fürchterlich.

KURIER: Warum ist es fürchterlich?

Weil es die Menschen erschüttern wird.

Es ist eine Abrechnung. Warum gerade jetzt?

Weil es niemandem mehr um die Sache geht. Nur noch ums Geld und die Befriedigung der Eitelkeit, in Wirtschaft und Politik.

Ist das anders als früher?

Die alten Unternehmer, die etwas aufgebaut haben und sich mit ihrer Firma und ihren Beschäftigten identifiziert haben – die gibt es nicht mehr. Heute will man Geld verdienen, egal womit.

Sie sprechen den Kleinbetrieben und dem Mittelstand ab, dass sie hehre Ziele verfolgen?

Nein, die nehme ich raus. Es geht um die Konzerne. Die Kleinen glauben an das, was sie tun – und leiden. Weil sie von den Konzernen vom Spielfeld gefegt werden. Am schlimmsten sind übrigens diese Start-ups: Die kreiert man nicht wegen der Sache, sondern weil man irgendwie ein Business hochzieht, es schnell verkauft und Geld verdient. In der Politik ist es genauso: Jedem ist egal, was rauskommt, Hauptsache, er steht mit einem schönen Anzug und viel Ansehen auf der Bühne.

Sie haben das jahrelang ironisch kommentiert.

Ja, man flüchtet sich in die Ironie. Aber das geht einfach nicht mehr, es ist zu viel.

Sie sagen, es geht jedem nur um den eigenen Vorteil. Woher kommt dieser Egoismus?

Wir erleben das Ende der großen Erzählungen. Menschen sind ideologiefreie Wesen geworden, sie glauben an nichts mehr, außer an sich selbst und den Erfolg. Keiner glaubt mehr an Gott, an die christliche Soziallehre, an die Gemeinschaft, an das Unternehmertum. Was bleibt übrig? Nur der individuelle Erfolg des Einzelnen.

Und der ist auch noch salonfähig.

Ja, genau. Erfolg ist das Um und Auf in der Leistungsgesellschaft. Ich hätte gerne wieder Unternehmer und Politiker, denen es um die Sache geht. Die dafür alles aufgeben.

Dazu kommt ein hohes Maß an Inszenierung. Das muss die Menschen doch mittlerweile nerven.

Überhaupt nicht. In der Inszenierungsgesellschaft zeigen sich auch normale Menschen im Internet. Jeder ist den ganzen Tag beschäftigt, sich in seiner Nichtigkeit zu präsentieren.

Sie sagen, dekadente Eliten ruinieren die Gesellschaft. Wieso lassen das die unteren Schichten zu?

Weil die gesamte Gesellschaft ruiniert ist. Die Unteren neiden, sind boshaft, versuchen, ihren eigenen Misserfolg dadurch verkraftbarer zu machen, indem sie alle anderen niedermachen. Die Oberen inszenieren sich im Großen. Und allen geht es nur ums Ego. Um das kleine, mickrige Ich.

Wieso hat man sich früher für den anderen, für die Gesellschaft mehr eingesetzt?

Früher gab es Erzählungen, Ideen. Dafür hat man sich aufgeopfert. Heute fehlt jede Begeisterung. Die Menschen sind emotional ruiniert. Sie sind nicht mehr konstruktiv, sondern versuchen nur, dem anderen sein Spielzeug kaputtzumachen.

Wieso geht es überhaupt nicht mehr um die Sache?

Weil die Idee des "gemeinsam" desavouiert ist. Der Mensch ist überzogen individualisiert.

... und marktgetrieben und marktgesteuert.

Ja. Das einzige Argument, das zählt, ist das Wirtschaftliche. Niemand kommt auf die Idee, aus einer gesellschaftlichen Verantwortung heraus zu agieren. Kein Gefühl mehr für den Nächsten. Werte und Moral sind erledigt.

Was ist der Ausweg?

Ich habe die Hoffnung, dass der Supercrash kommt. Dass dieses Wirtschaftssystem zutiefst erschüttert wird. Das ist die einzige Möglichkeit.

Diese Erschütterung gab es 2008.

Genau. Das Übel ist, dass das System nicht lernfähig ist, die Menschen schlimmer agieren als zuvor. Ohne Katastrophe kein Neuanfang.

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Sozialforscher und Buchautor Bernhard Heinzlmaier provoziert auch in seinem neuen Buch. In Wirtschaft und Politik gehe es längst nicht mehr um die Sache, sondern allein um die Befriedigung von Eitelkeiten. Jede gesellschaftliche Verantwortung ist abhanden gekommen, die Menschen sind überzogen individualisiert und leben nur für ihren eigenen Vorteil. „Anpassen, Mitmachen, Abkassieren“, Hirnkost-Verlag, um 18 Euro.