Wirtschaft/Karriere

Die Vermessung der Lehre

Die Lehrlinge

+ Früher Berufseinstieg und Ausbildung zum Experten

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Philipp Leitenmüller mag seine Tischlerlehre. „Mich hat das Arbeiten mit Holz immer gefreut“, sagt er. Sein Umfeld habe positiv reagiert, als er den Entschluss gefasst hat, eine Tischlerlehre zu machen, „weil das ein g’scheiter, sinnvoller Beruf ist.“ Leitenmüller hat sich bei zwei Tischlereien in der Region beworben – die Tischlerei Alois Füchsl in Potzleinsdorf (OÖ) hat ihn aufgenommen. Jetzt ist er im zweiten Lehrjahr und wird im Betrieb bereits voll eingesetzt. Die Stimmung in der Zwölf-Mitarbeiter-Tischlerei sei gut, weshalb er nach Abschluss der Lehrabschlussprüfung auch unbedingt bleiben will. Ob die Prüfung schwierig wird? „Alles Übungssache“, sagt Philipp Leitenmüller.
Fast 40 Prozent aller Jugendlichen entscheiden sich nach der neunten Schulstufe für eine Lehre. Das bedeutet für sie: Einstieg in den Beruf, das erste eigene Geld verdienen (die sogenannte Lehrlingsentschädigung) und den umfassenden Schulbetrieb hinter sich lassen. Die Ausbildung zur Fachkraft erfolgt praktisch in einem Unternehmen, theoretisch in der Berufsschule, im Fall von Philipp Leitenmüller geblockt in zehn Wochen. Jugendliche entscheiden sich also früh für einen Beruf, der im besten Fall auch Berufung ist: Hier können sie ihre Begabungen und Talent ausspielen, ihren Interessen nachgehen, zu Spezialisten werden.
Für Lehrlinge ist die Ausbildung ein Weg mit vielen Chancen. Gut ausgebildete Fachkräfte sind als Mitarbeiter in Unternehmen gefragt, die Aufstiegsmöglichkeiten sind gut. Auch den Weg in die Selbstständigkeit wählen viele. Und wer nach der Lehre draufkommt, dass Matura und Studium doch erstrebenswert sind, hat auch dazu die Möglichkeit.

- Die Lehre braucht ein besseres Image

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Alberto Bismarques versteht nicht, warum die Lehre in Österreich zum Teil ein schlechtes Image hat. Er ist Gärtnerlehrling bei Starkl in der Filiale Simmering, wird am 7. April seine Lehrabschlussprüfung machen („die dürfte kein Problem sein“, sagt er) und dann als ausgelernter Gärtner voll verdienen. Darauf freut er sich. „Ich habe nur positives Feedback auf meine Berufswahl“, so der Gärtnerlehrling.
Die Berufsentscheidung ist Alberto Bismarques „relativ leicht gefallen“. Er wollte raus aus der Schule. Auch wenn man diese Weichenstellung als Lehrling besonders früh treffen muss. „Theorie liegt mir nicht sehr, ich wollte einen Job im Freien machen.“ Bismarques ist eher eine Ausnahme: Mit 14 Jahren wissen viel oft noch nicht, was sie wollen.
Hat man sich für einen der rund 200 Lehrberufe entschieden, ist das Finden eines guten Ausbildungsplatzes – inklusive eines guten Lehrmeisters – oft schwierig. Speziell in der Stadt, wo die Konkurrenz groß ist, sich viele Jugendliche für eine Lehrstelle bewerben. Für Jugendliche steht und fällt die Ausbildung mit der Qualität des Betriebes. Gut aufgestellte, große Firmen wie Starkl sind gute Adressen, aber rar.
Die mindestens dreijährige Lehrzeit bringt geringe Bezahlung (die Lehrlingsentschädigung), davon kann man als junger Erwachsener nicht leben. Bis zum Ende der Lehrzeit sind die Jugendlichen also von den Eltern abhängig.
Dass der Ausbildungsweg nach der Lehre auch Richtung Matura und Studium gehen kann, ist mehr Theorie als gelebte Praxis. Neben der Arbeit findet sich dafür meist nicht die Zeit (und Muße). Alberto Bismarques will jedenfalls bei Starkl bleiben.
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Die Unternehmen

+ Wer Lehrlinge ausbildet, hat keinen Fachkräftemangel

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Niemand ist in Unternehmen so willkommen wie Facharbeiter. Gerade in der Industrie würden 90 Prozent der Betriebe weniger Fachkräfte finden als sie bräuchten. Ein Viertel der Gewerbe- und Handwerksbetriebe leidet unter dem Fachkräftemangel.
Umso wichtiger ist es für Unternehmen, den eigenen Nachwuchs über die duale Berufsbildung selbst heranzubilden. Die Handelskette Spar umwirbt als größter Lehrlingsausbildner Österreichs seine Lehrlinge mit Prämien von bis zu 4500 Euro während der Lehrzeit. Gleichzeitig betreibt Spar die einzige unternehmensinterne, vom Staat anerkannte Berufsschule, die auf der kaufmännischen Schule von Julius Meinl aus dem Jahr 1906 gründet.
„Viele Betriebe jammern, die Jugendlichen sind schlecht qualifiziert, die wirtschaftliche Lage ist katastrophal, der Fachkräftemangel groß. Aber wir im Handel tun etwas“, sagt Jörg Schielin, Leiter der Spar-Akademie. Er hat bisher etwa 4500 Lehrlinge ausgebildet. Unternehmen sollten sich gewahr sein: „Die Lehrlinge von heute sind in 15 Jahren die Fach- und Führungskräfte im Betrieb.“ Dass sich Konzerne bei der Förderung des eigenen Nachwuchs viel leichter tun, lässt er nicht gelten: „Es geht nicht allein ums Geld. Auch für kleinere Betriebe gibt es genügend Unterstützung – wie Hilfe bei Aufnahmeselektionen oder Lehrlingscoachings.“
Lehrbetriebe erhalten diverse Förderungen: pro Lehrjahr gibt es ein, zwei oder drei Lehrlingsentschädigungen nach KV. Betriebe haben Anspruch auf Übernahmeprämien für Lehrlinge aus überbetrieblicher Ausbildung und auf Förderungen für besonders erfolgreiche Lehrabschlussprüfungen.

- Kosten und Aufwand schrecken Firmen ab

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Sie sind rotzfrech, unpünktlich und können weder sinnerfassend lesen noch kopfrechnen. Unternehmen gehen mit dem Image von Jugendlichen nicht zimperlich um. 85 Prozent der heimischen Betriebe klagen laut einer Umfrage der Wirtschaftskammer über die mangelnden Qualifikationen der Lehrstellenbewerber.
„Viele Jugendliche drängen auf den Lehrstellenmarkt, die eigentlich nicht dafür geeignet sind“, erklärt WKO-Bildungsexpertin Katrin Eichinger-Kniely. Viele würden sich auf wenige Lehrberufe versteifen und seien auch nicht bereit, zu einer entfernteren Lehrstelle zu pendeln. Die Tourismusbranche würde beispielsweise viele offene Lehrstellen bieten, sagt Eichinger-Kniely: „Aber Jugendliche sind nicht bereit, nach Tirol oder Vorarlberg zu ziehen.“
Die Grundkompetenzen seien heute spärlicher ausgeprägt als früher, die Jugendlichen in den Schulen oft überfordert, bestätigt Jörg Schielin, Leiter der Spar-Akademie. Oft würde das fehlende Wissen über die eigenen Talente die Lehrlinge in die falschen Berufen führen. Für Unternehmen bedeutet es einen deutlichen Mehraufwand, um fehlende Qualifikationen auszugleichen. Außerdem: Ein Lehrling kostet. Die Betriebe müssen ihm eine monatliche Lehrlingsentschädigung zahlen, Ausbildner zur Verfügung stellen und diese schulen – gerade für kleine Betriebe wird das mit zunehmendem wirtschaftlichen Druck schwierig.
Jeder fünfte Lehrling fällt übrigens bei der Lehrabschlussprüfung durch – Berufsschule und Betrieb konnten bestehende Defizite in diesen Fällen nicht ausgleichen.

Wirtschaft und Politik

+ Die Welt will unsere duale Berufsbildung

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Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Österreich dank des dualen Systems gering: 8,2 Prozent beträgt sie in Österreich, im EU-Schnitt sind es 21,1 Prozent.
Das Modell der dualen Berufsbildung über die beiden Schienen Berufsschule und betriebliche Ausbildung trägt zur niedrigen Arbeitslosigkeit unter den Jungen bei – und ist daher das internationale Vorzeigeprojekt schlechthin. Mit der Slowakei hat die Wirtschaftskammer Österreich beispielsweise im Vorjahr in der Region Nitra ein Pilotprojekt zur dualen Berufsbildung initiiert, 2013 hat man eine Lehrlingsklasse im chinesischen Schanghai aufgebaut.
Eine aktuelle Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) zeigt: Das duale Ausbildungssystem trage „wesentlich zur erfolgreichen Einbindung Österreichs in globale Wertschöpfungsketten bei“, die betriebliche Ausbildung sei gerade für hochspezialisierte Unternehmen wesentlich. Das exportstarke Österreich sei im internationalen Wettbewerb besonders auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen, „daher müssen wir das international anerkannte Erfolgsmodell Lehre weiterentwickeln und noch attraktiver machen“, so Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner. Die Lehre werde laufend evaluiert und modernisiert.
Das Pilotprojekt Coaching für Lehrlinge und Betriebe wird bis Sommer 2015 auf ganz Österreich ausgeweitet. Die Regierung will die Lehre mit Matura forcieren und das Qualitätsmanagement verbessern. Schon bisher mussten sich angehende Lehrbetriebe akkreditieren lassen. Im Dezember 2014 wurde erstmals das Wiener Qualitätssiegel an 99 Lehrbetriebe verliehen – es gilt bis 2018.

- Lehrbetriebe werden vom Staat zu wenig gefördert

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„Die duale Ausbildung ist für die jetzige Regierung ein Stiefkind“, moniert Egon Blum, Schöpfer der Lehrlingsförderung Blum-Bonus unter Schüssel/Gusenbauer, mit dem 12.500 Lehrstellen geschaffen wurden (um 100 Mio. Euro). Er bestätigt: Das Image der Lehre mag im Ausland glänzen, innerhalb von Österreich ist es ziemlich angekratzt. Neben dem demografischen Wandel – es gibt weniger Jugendliche – sei auch das der Grund, warum die Zahl der Lehrlinge in Betrieben von 2008 mit 128.233 auf 115.068 mit Ende 2014 zurückgegangen ist. Auch die Zahl der Lehrbetriebe schrumpft jährlich um etwa 1500. Viele Unternehmen hätten noch nicht erkannt, dass „die Fachkräfte nicht von selbst aus Tschechien und der Slowakei kommen“. Blum selbst spricht in seiner neuen Broschüre von 30.000 Lehrabsolventen weniger von 2014 bis 2017 – eine Tatsache, die den Betrieben zuwenig bewusst sei.
Um sie in die Ausbildungsverantwortung zu bekommen, fordert er von der Politik die Wiedereinführung eines Blum-Bonus neu: Einen Bonus sollen Lehrbetriebe für ihre Treue bei der Lehrlingseinstellung, für die Qualität der Ausbildung und für zusätzliche Lehrstellen bekommen. Betriebe müssten sich nach dem zweiten Lehrjahr einem Leistungsnachweis stellen: „Die Lehre ist die einzige Ausbildung, in der von Beginn bis Ende kein einziges Mal kontrolliert wird, was der Lehrling gelernt hat.“ Qualitätssiegel für Lehrbetriebe hält Egon Blum für zu kurz gegriffen: „Alle Unternehmen müssen bereit sein, sich kontrollieren zu lassen. Betriebe, die schlecht ausbilden, haben in der Lehre nichts verloren.“