"Die Intuition hat ihre Grenzen"
Von Nicole Thurn
Er erforscht, warum Manager sich falsch oder richtig entscheiden. Enrico Diecidue ist Professor für Entscheidungswissenschaften an der Business School INSEAD in Frankreich. Die Telekom Austria Group Business School lud Diecidue zum Vortrag für ihre Mitarbeiter samt Gruppenexperiment. Im Interview spricht er über Managerkrankheiten, die Rolle von Emotionen und wie Führungskräfte ihre Entscheidungen besser vorbereiten.
KURIER: Herr Diecidue, wie entscheiden Manager?
Enrico Diecidue: Was wir wissen, ist, dass Manager in typische Fallen der Entscheidungsfindung tappen. Sie neigen beispielsweise zur Selbstüberschätzung und glauben, Experten zu sein – auch wenn sie es gar nicht sind.
Eine typische Manager-Krankheit?
Ja, eine typische Manager-, Ärzte- und Politikerkrankheit (lacht). Möglicherweise wird sie vom Gehirn gelenkt, das wissen wir noch nicht. Was wir wissen ist, wie diese Selbstüberschätzung abgeschwächt werden kann.
Das Feld der Entscheidungswissenschaft ist hierzulande unbekannt. Welche Bereiche fallen darunter?
Die Entscheidungswissenschaft ist zusammengesetzt aus Statistik, Ökonomie, Managementwissenschaft, Entscheidungsanalyse, Psychologie und Ethik. Die meisten Business Schools fokussieren nur auf einen dieser Schwerpunkte. Wir am INSEAD wollen diese multidisziplinäres Entscheidungswissenschaft – das kostet viel Geld und ist nicht leicht zu managen.
Wie sieht es mit dem Einfluss der Emotionen aus?
Entscheidungen werden von Emotionen beeinflusst, schließlich sind wir menschliche Wesen. Emotionen wie Bedauern und Verlust-Aversion (Anm. die Tendenz, Verlust zu vermeiden statt Gewinn anzustreben) lassen uns dumme Dinge tun. Speziell in Gruppen lässt unser kritisches Denken massiv nach. Wir wollen anderen Gruppenmitgliedern zustimmen. Wenn der Chef zuerst spricht, tendieren wir dazu, ihm beizupflichten.
Welche Rolle spielt die Intuition? Sollten sich Manager mehr auf ihr Bauchgefühl verlassen?
Im Gehirn gibt es System eins und zwei: System eins entscheidet intuitiv und automatisch – wenn Sie im Supermarkt Seife kaufen, benutzen Sie System eins. System zwei entscheidet rational. Das Gehirn ist sehr faul: Es tendiert dazu, System eins zu nutzen, so oft es geht. Es wäre aber gut, System 2 öfter zu nutzen.
Was sind die Folgen, wenn wir der Intuition das Ruder überlassen?
Intuition hat ihre Grenzen: Sie funktioniert schnell, mühelos – aber ich würde sie nur für kleine Routine-Entscheidungen verwenden. Ihr großer Nachteil ist: Wenn jemand eine Entscheidung auf Basis seiner Intuition trifft und sie sich als falsch herausstellt, ist es schwer zu verstehen, was falsch gelaufen ist. Denn der Entscheidungsprozess ist nicht durchschaubar. Entscheide ich als Manager rational, kann ich sagen: Bis hierher war alles o.k., ab diesem Punkt lief etwas schief. Man kann daraus lernen. Aus der Intuition nicht.
Oft hört man aber, dass sich das Bauchgefühl als richtig herausstellt.
Da bin ich sehr skeptisch. Wenn sich bei zehn intuitiven Entscheidungen herausstellt, dass sechs gut und vier schlecht waren, ist unser Gehirn sehr gut darin, die vier schlechten zu vergessen. Und: Wir tendieren dazu, falsche intuitive Entscheidungen im Nachhinein rational zu begründen.
Gibt es den richtigen Weg einer Entscheidung vom Beginn bis zum Ende?
Es ist schwer, ein allgemeines Rezept zu geben. Man sollte eine Checkliste erstellen.
Sind Manager nicht sehr unter Druck, nach Kennzahlen und Bilanzen zu entscheiden?
Unglücklicherweise ja. In der Theorie funktioniert alles gut, aber in der Praxis leiden Manager unter enormem Zeitdruck. Das verstärkt diese Fallen noch. Trotzdem sollten sie hin und wieder zwei Minuten finden, wo sie sich Fragen stellen, die ein neues Licht auf das vorliegende Problem werfen. Das tun sie leider viel zu selten.
Denken Manager darüber nach, wie sie entscheiden?
Üblicherweise tun sie das nicht. Einen Gedanken darüber zu verlieren, wie man entscheidet, anstatt die Entscheidung Hals über Kopf zu treffen wäre gut – hier könnten sie ihre Entscheidungsqualität deutlich verbessern.
Was wäre die schlechteste Entscheidung?
Die wäre, gar nicht zu entscheiden.
Entscheidungsträger: Enrico Diecidue
Enrico Diecidue unterrichtet an der Internationalen Business School INSEAD in Frankreich Entscheidungswissenschaft. Der Italiener studierte an der Universität Bocconi Wirtschaft.
Telekom Austria Group Business School Sie wurde im Oktober 2010 gegründet und bietet offene Kurse für alle Telekom-Mitarbeiter und Weiterbildung für High Potentials und Top-Führungskräfte.