Wirtschaft/Karriere

Blinde Superkräfte

Der Deutsche Frank Hoffmann sitzt jetzt im selben Gebäude in Wien wie vor zweieinhalb Monaten. Damals, am 7. Oktober, erhielt er im Festsaal der Sofiensäle den Sustainable Entrepreneurship Award in der Kategorie Medizin & Gesundheit. Heute sitzt er an einem Holztisch in der Lobby des Hotels Ruby Sofie einen Stock oberhalb des Festsaals. Er bestellt einen Weißwein gespritzt und beginnt seine Geschichte zu erzählen: "Vor sieben Jahren war ich ein Gynäkologe mit einer Idee."

Sieben Jahre

Frank Hoffmann wollte damals nicht akzeptieren, dass Ärzte wie er selbst Tumore in der weiblichen Brust erst ab der Größe einer Glasmurmel ertasten können. Er recherchierte und überlegte und kam zu dem Ergebnis, dass Blinde und Sehbehinderte über einen sehr viel feineren Tastsinn verfügen: Studien zufolge können sie einen Tumor in der Brust bereits mit einem Durchmesser von sechs bis acht Millimeter ertasten – wenn er so groß ist wie eine Erbse. "Es ist nie der Tumor in der Brust, der eine Frau tötet, es sind die Metastasen", macht Hoffmann die Bedeutung der möglichst frühen Diagnose deutlich.

Hoffmann entwickelte eine spezielle Methode, um Sehbehinderte zur Brustkrebsfrüherkennung einzusetzen. Er arbeitete mit Blindenverbänden und Förderstellen zusammen, ein Projektteam entwickelte einen Ausbildungsplan und Hoffmann gründete "Discovering Hands". Nach zwei Jahren waren die ersten zwölf Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTU) ausgebildet.

Ein Erfolg, von dem kaum jemand wusste. Denn man machte einen Fehler, konzentrierte sich auf "Innen" und vergaß , die Entwicklung zu kommunizieren. "Alle blickten auf mich. Ich wusste jedoch keine Lösung", sagt Hoffmann. Dann läutete das Telefon. "Es war jemand von Ashoka dran. Ich hatte noch nie von denen gehört und rief vorsichtshalber die Sekteninfo an. Die sagten: ,Keine Sorge, die kennen wir, die sind gut.‘ Ashoka sagte ihm, dass man ihn als sogenannten Fellow ins Auge fassen würde – ihn mit einem Stipendium unterstützen, ihm hochkarätige Berater zur Seite stellen würde, um Discovering Hands skalierbar zu machen. Er hielt dem Auswahlverfahren stand und wurde Teil der internationalen Organisation zur Förderung von Social Entrepreneurship. "Vor vier Jahren war ich also Gynäkologe mit der Ambition, Sozialunternehmer zu sein." Per Definition einer, der unternehmerische Mittel zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems einsetzt – die Königsklasse im Unternehmertum gewissermaßen. "Investoren müssen ihr Geld wiederbekommen, aber hier geht es um Diagnostik am Menschen, das darf kein Geschäft sein", sagt Hoffmann. Geld verdient Discovering Hands mit Orientierungsstreifen, die bei den Tastuntersuchungen verpflichtend einzusetzen sind.

Status quo

Als Discovering Hands in Deutschland auf gutem Wege war, wollte Hoffmann nach Österreich expandieren. Bei 5000 Frauen wird jährlich Brustkrebs diagnostiziert, 1500 sterben jedes Jahr daran. Um Geld für die Expansion zu sammeln, stellte er sich in der Start-up-Show "2 Minuten 2 Millionen" der Beurteilung von Business Angels. "Von Discovering Hands profitieren drei Gruppen: Alle Frauen in Österreich, Menschen mit Sehbehinderung und das Sozialsystem." Das überzeugte. Seit November werden die ersten vier MTU von der Schulungseinrichtung für blinde und sehbehinderte Menschen ausgebildet und von den Sinnstiftern unterstützt. Neun Monate dauert die Ausbildung – die Absolventinnen werden ab Oktober 2015 in Praxen und Spitälern eingesetzt.

Es ist ein nächster Schritt, damit weniger Frauen an Brustkrebs sterben. Und ein Modell, das auf der ganzen Welt funktionieren könnte. Da passt es gut, dass Frank Hoffmann von sich sagt: "Heute bin ich Sozialunternehmer mit gynäkologischem Hintergrund."

1. Glaube fest an dein Modell: Man muss von seinem Modell so überzeugt sein, dass man sich auch dann nicht davon abbringen lässt, wenn 100 Leute davon abraten. Damit meine ich jedoch nicht, dass man beratungsresistent sein darf. Wichtig ist es, das Fernziel im Auge zu behalten und Vertrauen zu haben. Ich wäre in meinen kühnsten Träumen nicht daraufgekommen, dass sich mit dieser einfachen Idee, die ich vor sieben Jahre hatte, solch eine Wirkung erzielen lässt. Man muss Vertrauen haben und den Glauben an die Idee.


2. Nutze die Opportunitäten. Man kennt das: Es kommen Dinge auf, die eigentlich nicht in die alte Planung reinpassen, die so nicht gedacht waren. Aber man muss flexibel bleiben und beweglich, um auch kurzfristige Chancen nutzen zu können. Ich bin im Herzen Fatalist. Wenn ich das nicht wäre, wäre ich an manchen Stellen vor Spannung und Anspannung wahrscheinlich umgefallen.

3. Nicht zu schnell entwickeln. Man darf bei der Planung niemals die Bodenhaftung verlieren – und die Planung muss immer realistisch sein.

4. Gemeinsam denken: Man muss bei jeder Denkgeschwindigkeit Sorge tragen, dass sein Team mitkommt.

5. Glaube nicht, alles selbst am besten zu können. Bei Discovering Hands sind immer mehr Menschen dazugekommen. Man braucht Begleitung von Menschen, die dem Projekt nicht nur Wohlwollen entgegenbringen, sondern auch Professionalität.