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Über die Grenzen fürs Studium

Es ist sieben Uhr neununddreißig. Ein scharfer Wind bläst über den Bahnsteig. Die Kältewelle hat Bratislava erreicht. Einige junge Frauen warten. Ein älterer Herr hastet die Treppen herauf. Der rote ÖBB-Zug mit Destination Wien fährt ein. Ein gutes Dutzend der Wartenden steigt in den vordersten Waggon.

Im Zug platziert ein junger Mann seinen Laptop auf dem Klappbrett, ein Mädchen hört Smartphone-Musik. Etwa 27 der 35 Fahrgäste dürften unter 30 Jahre alt sein. Der Schaffner schätzt später, dass jeder zweite Fahrgast aus Bratislava unter 26 Jahre alt ist.

Fünf Prozent der in Österreich studierenden „Bildungsausländer“ (mit ausländischer Studienberechtigung) pendeln aus ihrer Heimat an die österreichischen Hochschulen. Das zeigt eine noch unveröffentlichte Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS). Die meisten Uni-Pendler stammen aus Osteuropa oder Südtirol.

Eine von ihnen ist Skandinavistik-Studentin Lenka. Die 19-Jährige fährt mit dem Zug montags bis freitags 80 Kilometer von Bratislava an die Universität Wien. „In Bratislava wird das Studium nicht angeboten“, sagt sie. Lenka wohnt bei den Eltern, Wien sei zu teuer. Die Kosten für die Reise sind dagegen überschaubar – die Monatskarte für die Bahn kommt auf 57 Euro. Das Pendeln stört Lenka nicht: „Meine Vorlesungen beginnen mittags, man kann im Zug lernen“, sagt sie. Um mehr Kontakte zu finden, will sie trotzdem im Herbst nach Wien ziehen und sich einen Nebenjob suchen.

Gegenüber blättert ein junger Mann in einem Skriptum. Michal, Informatikstudent an der Uni Wien, sagt, er könnte sich eine Wohnung in Wien leisten, „aber ich lebe lieber in Bratislava, auch wenn Freunde und meine Freundin in Wien sind.“ Der 22-Jährige ist das Pendeln gewöhnt. Schon die Hauptschule besuchte Michal im grenznahen Marchegg, später das Gymnasium in Wien. Mühsam wird es einmal die Woche, „da muss ich um fünf Uhr aufstehen.“ Spannend findet Michal den Einblick in eine andere Kultur. „Die Mentalität, der Humor der Österreicher ist anders.“

Auch Studentin Lucia pendelt seit ihrer Kindheit von Bratislava nach Österreich. Erst an die Unesco-Hauptschule im grenznahen Kittsee, dann nach Wien ins Gymnasium. Heute studiert die 20-Jährige Internationale Entwicklung an der Uni Wien – auch ein Studium, das es in Bratislava nicht gibt. Wenn ihre Kollegen nach der Vorlesung auf ein Bier gehen, sitzt Lucia im Zug. Das Wiener Studentenleben geht ihr nicht ab: „Ich habe mein soziales Leben daheim.“

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Pendlerbus

Der Bildungstransfer zwischen der Slowakei und Österreich hat Tradition: 1989 richtete Wissenschaftsminister Erhard Busek einen Pendlerbus für slowakische Studierende ein. 1992 gründete er das bilaterale Hochschulprogramm „Aktion ÖsterreichSlowakei“, den slowakischen Studierenden wurden die Studiengebühren in Österreich erlassen. Heute ist das nicht mehr nötig: Mit der freien Mobilität im EU-Raum und dem Fall der Studiengebühren in Österreich ist das Studieren hierzulande für EU-Bürger kostenlos.

Auch für die Deutschen gehört Österreich zu den beliebtesten Uni-Ländern. Jeder zweite deutsche Pendler studiert an der Uni Salzburg. Publizistik-Studentin Stephanie Till fährt drei Mal pro Woche 60 Kilometer mit dem Auto vom bayrischen Burghausen hierher. Die 23-Jährige entschied sich nach dem Bachelor an der Uni Passau für das Masterstudium in Salzburg. Sie konnte sich die während des in Australien absolvierten Kurse als Wahlfächer hier anrechnen lassen, „an der Uni Passau war das nicht möglich.“

Die Motive für ein Studium in Österreich sind für alle Befragten dieselben: Auslandserfahrung, bessere Deutschkenntnisse und höherwertige Bildung. Die Reputation der österreichischen Hochschulen spielt vor allem für die osteuropäischen Studierenden eine Rolle. Die Entscheidung für das Pendeln hat finanzielle und soziale Gründe: Die Lebenshaltungskosten in Wien sind teurer, der Wohnort ist nicht allzu weit entfernt, das soziale Leben in Bratislava kann so erhalten bleiben.

Trotzdem ist laut IHS-Studie jeder fünfte ausländische Pendler unzufrieden mit seiner Wohnsituation, bei den Pendlern aus Osteuropa ist es jeder Vierte. Die Pendler benötigen im Schnitt eine Stunde zur Hochschule – doppelt so lange wie in Österreich sesshafte Studierende. Bei den „Grenzgängern“ aus Osteuropa sind es 100 Minuten. Für manche ein Grund, das Pendeln bleiben zu lassen. Das tat auch Emoke Karacsony. Das tägliche Pendeln vom ungarischen Sopron an die FH Wiener Neustadt wurde ihr zu viel, nach einem Jahr bezog sie eine Wohnung neben der FH: „Ich war bis abends an der Uni in Projektarbeiten eingespannt. Beim Pendeln habe ich drei Stunden am Tag verloren.“

Auch Lucia, Michal und Lenka wollen keine Zeit verlieren. Sie sind in Wien angekommen, verlassen die U-Bahn am Schottentor. Die Rolltreppe fährt sie nach oben Richtung Universität, in die österreichische Studentenwelt. Es ist acht Uhr neunundfünfzig.

Fünf Prozent der in Österreich studierenden Bildungsausländer (Studierende mit ausländischer Studienberechtigung) pendeln aus ihrer Heimat an die österreichischen Hochschulen. Das zeigt eine noch unveröffentlichte Studie des Instituts für Höhere Studien.
Die meisten Uni-Pendler stammen aus Osteuropa oder Südtirol. Ein Drittel der ausländischen Pendler studiert in Wien, ein Viertel in Salzburg und ein Viertel in Innsbruck.
Die meisten Pendler, besonders jene aus Osteuropa , leben im Ausland bei den Eltern. Der Anteil der Pendler an den Bildungsausländern ist in Salzburg mit 18,9 Prozent am höchsten, gefolgt von Linz mit 8,9 Prozent, Innsbruck mit 5,9 Prozent und Graz mit 3,1 Prozent.
In Wien pendeln nur 2,4 Prozent der Bildungsausländer, die meisten haben einen festen Wohnsitz in der Bundeshauptstadt.

Das Bologna-Ziel 2020 sei schon jetzt erreicht, verkündete das Wissenschaftsministerium im Jänner. Jeder fünfte heimische Studierende absolviert während des Studiums einen Auslandsaufenthalt, zeigt eine Untersuchung des Institut für Höhere Studien zur „Internationalen Mobilität von Studierenden“. Neun Prozent der Studierenden haben ein Auslandssemester absolviert, 14 Prozent ein Auslandspraktikum.
Studentinnen und Unter-25-Jährige sind laut Studie tendenziell mobiler. Auch sammeln Studierende aus höherer sozialer Schicht häufiger Auslandserfahrungen als jene aus niedriger Schicht. Die österreichischen Studierenden möchten öfter im Ausland studieren, als sie es tatsächlich tun: Die Hürden liegen bei den Jüngeren im befürchteten Zeitverlust für das Studium, und in möglichen Schwierigkeiten bei der Anrechnungen von absolvierten Prüfungen und Kursen. Ältere geben Erwerbstätigkeit und Familienplanung als Hindernisse an. Häufig genannt würden laut Studie auch finanzielle Hürden. Ein Auslandssemester koste zwischen 6600 Euro (in Deutschland) und 10.400 Euro (in Australien), Eltern und Studierende würden einen Großteil der Finanzierung übernehmen, dazu gäbe es Beihilfen und Stipendien.
68.000 österreichische Studierende haben seit dem Start vor 21 Jahren am EU-weiten Mobilitätsprogramm Erasmus teilgenommen.