Lieber Ethik als Kaffee
Von Ute Brühl
PISA-Tests, Zentralmatura und Bildungsstandards verändern den Unterricht. Es wird zunehmend ausschließlich das gelernt, was zentrale Prüfungen abfragen. Die Gefahr ist groß, dass sich Lehrer in der Stunde nur mehr auf die Vermittlung formalen Wissens konzentrieren.
Für Diskussionen, wie angeeignetes Wissen zu interpretieren und zu werten ist, bleibt wenig Zeit. Wo also lernen Schüler, kritisch zu denken und sich eine eigene Meinung zu bilden? Eine Möglichkeit bietet der Ethikunterricht, der seit 1997 an einigen österreichischen Schulen angeboten wird.
Allerdings noch nicht an allen Schulen. Das kritisiert der Erziehungswissenschaftler und Religionsphilosoph Anton A. Bucher in seinem Buch "Der Ethikunterricht in Österreich. Politisch verschleppt und pädagogisch überfällig". Hintergrund: Das Fach Ethik läuft derzeit nur als Schulversuch und wurde nicht ins Regelschulwesen übernommen. Dabei wird es von den meisten Schülern geschätzt, wie Buchers Studie zeigt: Zwei Drittel gehen lieber in Ethik als ins Kaffeehaus. In dieser Stunde ist Raum und Zeit, über Moralvorstellungen, religiöse Werte, Ideologien und politische Phänomene zu diskutieren. Auch über Persönliches wie Moral oder die eigenen Ängste wird offen geredet.
Keine Pflicht
Doch darauf, dass das Fach Ethik in jeder Schule angeboten wird, werden die Schüler nach lange warten. Denn über eine Regelung wird – wie so oft – ideologisch gestritten. Die einen wollen das Fach verpflichtend für alle Oberstufenschüler einführen, die anderen nur als Ersatzfach für Schüler, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben. Bucher sieht den Ausweg aus dem Dilemma in einem Kompromiss: Ein verpflichtendes Fach "Ethik und Religion" für alle Oberstufenklassen. Der Unterricht würde sich für Religionsschüler kaum ändern, ist er überzeugt. Denn bereits jetzt enthalte das Fach Religion viele "Ethik-Elemente", weiß der Religionsphilosoph. Soll das Fach Ethik verpflichtend werden? Stimmen Sie online ab.
Michael Jahn – pensionierter Schulleiter des BORG Hegelgasse 12 in Wien – kämpfte für die Einführung des Ethikunterrichts an seiner Schule.
KURIER: Wie kam es zur Idee, Ethikunterricht einzuführen?
Michael Jahn: Für mich wurde das aus zwei Gründen zur Notwendigkeit. Zum einen nahmen die Religionsabmeldungen zu. So geht viel Allgemeinwissen verloren – Schüler wissen nicht mehr, woher Sätze kommen wie z. B: "Ich wasche meine Hände in Unschuld". Zum anderen stellte sich die Frage: Was mache ich während der Religionsstunden mit den abgemeldeten Schülern? Mein Hauptanliegen war, dass die Schüler über Werte diskutieren.
Damals gab es das Fach in Österreich noch nicht. Wie wurde es eingeführt?
Mit meinem Kollegen Dieter Braunstein (AHS-Direktor in Wien-Liesing) kam ich auf einen Sager von Kurt Scholz. Der sagte einst, er könne sich einen Ethikunterricht vorstellen. Gemeinsam mit Dieter Braunstein habe ich Mitte der 90er-Jahre Werbung dafür gemacht. 1996 wurde der Schulversuch Ethik genehmigt. Parallel habe ich Ethik studiert und den ersten Lehrplan mitentworfen.
Wie sieht der Unterricht in der Praxis aus?
Wir haben den Ethikunterricht meist fächerübergreifend gestaltet: Themen aus Philosophie, Religion, Physik, Wirtschaftskunde, Biologie etc. wurden gemeinsam diskutiert. Und zwar im klassenübergreifenden und jahrgangshomogenen Verband. Oft debattierten Ethik- und Religionsschüler gemeinsam. So erlebten sie Toleranz: Sie lernen, dass man dem Standpunkt eines anderen zuhört, ihn reflektiert und diskutiert.
Über welche Themen wurde diskutiert?
Einmal hat Kardinal Christoph Schönborn über sein intelligent design (Idee, dass der Evolution ein Plan und ein Zweck innewohnt, Anm.) gesprochen. Wir haben das Thema in den Naturwissenschaften vorbereitet. Die Schüler diskutierten dann mit dem Kardinal, der danach voll des Lobes war: "Ich habe noch nie ein so intelligentes Fragestellen von Schülern ohne jede Untergriffigkeit erlebt."
Ist Ethik das Fach, in dem humanistische Bildung stattfindet?
Ja, unser Fach heißt eigentlich "Kulturen, Ethik, Religionen". Das Schöne: Diejenigen, die Religion behalten wollen, werden nicht zwangsentwurzelt. Und das sollte man auch nicht. Religion ist das, woran sich Menschen orientieren. Und eine Orientierung ist nie schlecht. Die Ethik ist die Reflexion auf Glaubensvorgaben und Moralcodices.
Sollte der Religionsunterricht abgeschafft und für alle durch Ethik ersetzt werden?
Nein, das käme einer Vergewaltigung einer gewachsenen Struktur aus dem Erziehungsbereich gleich.
Sie hatten Schüler zwischen 14 und 18 Jahren. Wie haben Sie deren Entwicklung erlebt?
Alle sagten hinterher: "Es war fein, wir haben so diskutieren gelernt." Aber Diskutieren geht nicht ohne Wissen. Der Input kam von uns. Wie einzelne Dinge zu bewerten waren, darüber sollten die Schüler selber nachdenken. Wir Lehrer waren nur die Moderatoren.