Wirtschaft/Karriere

Berufswahl: Entscheiden wir wirklich frei, was wir einmal werden?

Wann immer sich zwei Fremde kennenlernen - auf einer Party, an der Bar oder einem Kongress - früher oder später fällt die obligatorische Frage: „Was machen Sie eigentlich beruflich?“ Damit kann man grundsätzlich fast nie falsch liegen. Sie gibt dem Gesprächspartner Gelegenheit, etwas über sich selbst zu erzählen, gleichzeitig zeigt man Interesse am Gegenüber, kann etwas über ihn erfahren  und Anhaltspunkte für das weitere Gespräch finden. So weit, so gut.  

Spannend wird es zumeist aber erst, wenn man nach dem Grund für die berufliche Tätigkeit fragt. Erfahrungsgemäß hört man dann etwas von der Erforschung eigener Stärken und Talente und die dazu passenden Berufsprofile oder das Analysieren und Vergleichen von Arbeitsmarktchancen und das Wählen der sich daraus ergebenden besten Möglichkeit – eine völlig systematische Vorgehensweise also. Und vielleicht mag das auf den Einen oder Anderen  zutreffen.

Unterschiedliche Einflüsse

Doch Fakt ist auch: Die Berufswahl treffen wir längst nicht so unabhängig, wie wir vielleicht meinen. „Viel mehr ist sie das Ergebnis eines langen Prozesses, der schon in der Kindheit beginnt“, erklärt Manuela Paechter, Professorin für pädagogische Psychologie an der Universität Graz. Der familiäre und sozioökonomische Hintergrund wirke auf sich dabei ebenfalls so prägend aus wie konkrete Erfahrungen in der frühen Kindheit.  

Alle Inhalte anzeigen

Auch traditionelle Rollenbilder spielen nach wie vor eine Rolle. Wie die aktuelle WKO-Lehrlingsstatistik zeigt, entscheidet sich ein überwiegender Anteil der jungen Frauen für einen Beruf wie Verkäuferin, Bürokauffrau und Friseurin, während junge Männer typischerweise Berufe wie Metall-, Elektro-, oder Kraftfahrzeugtechniker wählen.  „Stereotype, wie Mädchen tragen rosa und Buben tragen blau, werden schon in frühester Kindheit vermittelt. Im Alter von 14 oder 15, also dann, wenn die Berufswahl ansteht, haben sich viele Vorstellungen schon verfestigt. Und aus ihnen auszubrechen, ist schwierig“, erklärt Paechter die überwiegend „klassische Berufswahl“. Entscheiden sich Jugendliche doch für einen untypischen Beruf, so zeigt es eine ihrer Studien unter Schülern einer polytechnischen Schule, wird das dafür notwendige Interesse jedenfalls schon früh, zumeist von den Eltern, geprägt. 

Frühe Erfahrungen prägen die Wahl

Das weiß auch Bildungs- und Arbeitsmarktforscher Helmut Dornmayr vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw). Im Auftrag des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort hat er  den Zusammenhang von Berufswahl und Erfahrungen  in der Kindheit  erforscht. Und die Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache: 66 Prozent der Berufsschülerinnen und Berufsschüler in technischen Lehrberufen gaben in der Online-Befragung an, in ihrer Kindheit sehr häufig mit Bausteinen und -kästen gespielt zu haben, aber nur 36 Prozent der Lehrlinge in Büro- und Handelsberufen.

Noch deutlicher zeigen sich die Zusammenhänge, wenn es ausschließlich um weibliche Lehrlinge geht. 54 Prozent der befragten Mädchen in technischen Lehrberufen haben in ihrer Kindheit sehr häufig mit Bausteinen gespielt, null Prozent nie. Und Lehrlinge, Buben als auch Mädchen, die in ihre Kindheit häufiger im Haushalt mitgeholfen haben, entscheiden sich auch später häufiger für einen Beruf im Gastgewerbe.

Alle Inhalte anzeigen

"Man müsste früher ansetzen"

„Der Zusammenhang ist also unbestritten. Führt man sich dann noch vor Augen, dass die Häufigkeit verschiedener Kindheitserfahrungen nach Geschlecht unterschiedlich ist (59 Prozent der männlichen Lehrlinge haben in ihrer Kindheit mit Bausteinen gespielt, aber nur 32 Prozent der weiblichen), zeigt sich ein Mitgrund, warum weniger Mädchen in technische Berufe strömen“, sagt Dornmayr. Denn der Mangel an technisch-handwerklichen Erfahrungen würden sich später kaum noch kompensieren lassen. „Seit geraumer Zeit bemüht sich die Wirtschaft mit Initiativen für Jugendliche, zum Beispiel mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern. Grundsätzlich ist das auch positiv zu beurteilen, in Wirklichkeit müsste man aber schon sehr viel früher ansetzen“, so der Experte. 

Elter prägen am stärksten

Richard Meisel, Bildungsexperte der Arbeiterkammer Wien schlägt in eine ähnlich Kerbe und sagt: „Die Berufsorientierung, die wir heute haben, bringt kaum etwas, um Mädchen und Burschen auch für untypische Berufe zu begeistern.“ Zum einen, weil sie zu spät ansetze, zum anderen, weil die Eltern nach wie vor die größten Einflussfaktoren seien. Das gehe von Wünschen über einen bestimmten Bildungsweg, vorgelebte Rollenklischees bis hin zum Drängen in denselben Beruf wie Mutter oder Vater. „Es liegt natürlich auf der Hand, von der eigenen Berufsbiografie auszugehen, vielen Eltern ist es gar nicht bewusst. Gleichzeitig werden dadurch aber auch festgefahrene Vorstellungen über Generationen weitergetragen. Und der Raum für Veränderung bleibt gering.“ 

Neben Familie und Kindheit gebe es jedenfalls noch weitere Einflussfaktoren. So sei die Berufswahl speziell in Österreich auch abhängig vom regionalen Angebot an Schulen und Lehrstellen. Hinzu kämen auch Peer-Groups  oder eine besonders positive Darstellung bestimmter Berufe im medialen Umfeld. Zu überschätzen sei das aber alles im Gegensatz zum Einfluss der Familie nicht, sind sich die Experten einig. 

Es müsste sich was ändern

Vorschläge für  die Erleichterung unabhängiger Entscheidungen haben sie ebenfalls. „Die berufspraktischen Tage, vor allem auch im nicht-traditionellen Bereich, sollten unbedingt ausgebaut werden, da sie eine wichtige Orientierungshilfe für Jugendliche unabhängig von den Eltern sind“, sagt Meisel. Auch in der Lehrerausbildung könne man ansetzen und Berufsorientierung dort mehr Einfluss geben. „Und wir plädieren für die Einführung des Faches Berufsorientierung.“

Bildungs- und Arbeitsmarktforscher Dornmayr sieht auch  die Kindergärten in der Verantwortung. „Sie sollten den Kindern ermöglichen, auch technisch-handwerkliche Erfahrungen zu machen. Und das nicht nur in der Werk- und Bastelstunde. Warum nimmt man sie nicht auch einmal mit, wenn etwas im Kindergarten repariert wird?“