Arbeitsmediziner Klicka warnt: "Uns fehlen tausend Ärzte"
Von Theresa Kopper
KURIER: Mit der Pandemie wurden viele Arbeitnehmer von jetzt auf gleich ins Homeoffice befördert, manche von ihnen arbeiten mehr als eineinhalb Jahre später noch immer großteils von zuhause aus. Wie ist das Homeoffice-Konzept aus arbeitsmedizinischer Sicht zu beurteilen?
Gerhard Klicka: Das kann man nicht pauschalisieren. Ein Single, der ungestört bei gutem Wlan-Empfang von zuhause aus arbeitet, kann dem Konzept vermutlich mehr abgewinnen als ein zuhause arbeitendes Ehepaar mit zwei kleinen Kindern. Es kommt immer auf die Rahmenbedingungen an.
Trotzdem scheint es so, dass das Konzept gekommen ist, um zu bleiben. Wie viele Homeoffice-Tage pro Woche sind denn vertretbar?
Wenn die Voraussetzungen stimmen, würde ich zwei Tage pro Woche vorschlagen. Mehr als 50 Prozent sollten es jedenfalls nicht sein. Wir Menschen sind nun einmal soziale Wesen, die auch im Arbeitsleben ein Miteinander, ein Wir-Gefühl brauchen. Das sind Dinge, die bei vermehrtem Homeoffice bestimmt verloren gehen.
Hat denn die Pandemie das Gesundheitsbewusstsein der Unternehmen gestärkt?
Ja, der Stellenwert der Arbeitsmedizin ist im vergangenen Jahr enorm in die Höhe geschnellt. Eine ehemalige Kollegin hat immer gesagt: Der willkommenste Geschäftsführer ist jener, der selbst einen Bandscheibenvorfall hatte. Persönliche Betroffenheit erhöht einfach die Wertschätzung bestimmter Dinge. Die Pandemie hat natürlich einen Schub an Wertschätzung für Gesundheit und die medizinische Betreuung der Mitarbeiter im Unternehmen gebracht. Dies wird auch nachhaltig einen Effekt haben.
Arbeitsmediziner werden also künftig häufig gebraucht werden. Gleichzeitig kämpft man in der Branche mit einem Expertenmangel. Wie geht man damit um?
Es stimmt, österreichweit fehlen rund 1.000 Ärztinnen und Ärzte, die diesen Fachbereich abdecken können. Ich kann Anfragen von Unternehmen nicht mehr nachkommen, weil ich zu wenige Leute habe. Und dies entwickelt sich in der Branche zu einem essenziellen Problem: Wir können als Dienstleister nicht mehr dem gesetzlichen Auftrag der Unternehmen im Rahmen des Arbeitnehmerschutz-Gesetzes nachkommen.
Wie konnte es so weit kommen? Hat man der Arbeitsmedizin in der Vergangenheit einen zu geringen Stellenwert beigemessen?
Wir kämpfen in Österreich grundsätzlich mit einem Ärztemangel. Das hat unter anderem mit der Reglementierung der Studienplätze zu tun. Gleichzeitig muss man festhalten, dass es in der Arbeitsmedizin um Prävention und die Herbeiführung einer Verhaltensänderung geht. Das wird an den Universitäten nicht gelehrt. Es ist eine Randdisziplin und hier schlägt sich der Mangel eben noch stärker durch.
Was könnte man dagegen tun?
Es gibt aktuell eine Kampagne seitens AUVA, Ärztekammer, dem Gesundheits- und Arbeitsministerium, die das Berufsfeld Arbeitsmedizin der Öffentlichkeit aufzeigt. Das ist zwar zu begrüßen. Gleichzeitig sind aber auch Gesetzesreformen notwendig. Ein Beispiel: Vor Kurzem hat sich ein Herzchirurg bei uns als Arbeitsmediziner beworben. Wir können ihn aber noch nicht einsetzen, weil er einen Gärnter nicht einmal Zecken impfen darf, weil er das Diplom nicht hat. Der muss dann wirklich noch einmal ein Jahr die Schulbank drücken, um die rechtliche Befugnis zu haben, um im Arbeitnehmerschutz tätig sein zu dürfen. Und das ist eigentlich schon ein Absurdum.
Weil Gesundheit eine Art Leistungsmerkmal ist: Sind Sie der Meinung, dass es in unserer Arbeitswelt eine Diskriminierung der Kranken gibt?
Ich glaube, dass es in einigen Unternehmen nach wie vor einen Präsentismus gibt. Gleichzeitig nehme ich schon wahr, dass ein Umdenken dahingehend stattfindet, dass Anwesenheit und Produktivität nicht korrelieren müssen. Andererseits besteht natürlich die Gefahr, dass manche Menschen eher dazu neigen, krank zu arbeiten, wenn sie im Homeoffice sind. Aber auch das lässt sich pauschal natürlich nicht sagen und hängt stark mit der jeweiligen Person zusammen. Seine eigenen Grenzen zu erkennen und diese nicht zu überschreiten, lernen wir zumeist erst im Laufe unseres Lebens. Das hat mit Homeoffice wenig zu tun.
Zur Person: Gerhard Klicka absolvierte nach der HTL-Matura am TGM ein Studium der Psychologie, bis zum Doktorat. Zum IBG (Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement GmbH) kam er 2001, seit 2004 ist er in der Geschäftsführung von IBG, seit 2006 alleiniger Geschäftsführer der GmbH.
Klicka ist Unternehmensberater und ausgebildeter klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologie, Psychotherapeut und Arbeitspsychologe.
Zum Institut: Das Institut IBG wurde 1995 als Beratungsunternehmen für gesunde und nachhaltige Unternehmens- und Personalentwicklung gegründet. Es beschäftigt 165 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 70 davon sind Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner.